Horst D. Deckert

Corona-Berichterstattung: Journalisten hatten am Framing «Corona-Leugner» den Narren gefressen

Hetzen, hetzen und nochmals hetzen: So lautete das Credo der grossen Pressehäuser im deutschsprachigen Raum während der Pandemie. Wer nicht in Reihe und Glied mit den Pandemisten mitmarschierte, gegen den wurde ein rhetorisches Feuerwerk gezündet.

«Was es jetzt braucht, ist nicht mehr Offenheit, sondern ein scharfer Keil. Einer, der die Gesellschaft spaltet», schrieb Zeit-Journalist Christian Vooren im November 2021.

Für den Stern stand 2021 fest: «Keine Rücksicht auf die Rücksichtslosen.» Und Fernseh-Moderator Günther Jauch meinte im Januar 2022:

«Mir fehlt jedes Verständnis für Leute, die sich nicht impfen lassen wollen.» Die sogenannte vierte Gewalt: Sie erlitt in der Corona-Zeit Schiffbruch.

Kritik an den Mächtigen wurde tabu, Bürger-Bashing zur Tugend erklärt. Doch heute will kaum jemand noch auf dieses unrühmliche Kapitel des Journalismus zu sprechen kommen.

«Wie bei einem Unfall»

Die Arbeit in dieser Hinsicht machen unabhängige, alternative Journalisten. Nennenswert sind in diesem Zusammenhang die Bücher «Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen» von Markus Klöckner und Jens Wernicke. Oder das «Buch der Schande» von Daniel Stricker.

In der Medien- und Kommunikationswissenschaft sieht man wenig Bedarf, die Corona-Berichterstattung kritisch unter die Lupe zu nehmen. Eine löbliche Ausnahme bildet hier der Medienjournalist Timo Rieg aus Bochum.

Er hat die Berichterstattung über Corona von Anfang an als katastrophal wahrgenommen. «Wie bei einem schrecklichen Unfall wollte ich nicht glauben, was ich da sehe und höre», erklärte Rieg.

«Aber ich war sicher, dass genügend Menschen ‹Alarm› rufen würden – vom einfachen Radiohörer bis zum Medienforscher –, so dass sich bald etwas ändern würde.»

In einer Fachzeitschrift schrieb Rieg einen Essay über das Thema und thematisierte sein Entsetzen. Dies, nachdem die Kommunikationswissenschaft zuvor nahezu stumm geblieben war.

Aus dem Essay ist nun eine 127 Seiten umfassende Fallsammlung mit ausführlichen Quellenverweisen entstanden, die Rieg im vergangenen Monat als Preprint online stellte.

Diese zeigt eindrücklich, was schiefgelaufen ist. Und wie mit Kampfbegriffen und diffamierenden Artikeln von Anfang an gegen jeden gehetzt wurde, der nicht hinter der Regierung stand.

Dazu Rieg: «Am Framing aller Kritiker der Corona-Politik als ‹Corona-Leugner› und damit der Etikettierung als Realitätsverweigerer und Lügner haben viele, wenn nicht die meisten Journalisten von Anfang an einen Narren gefressen.»

Das Problem daran: «Die Etikettierung ist schlicht falsch. Sie mag auf einige zutreffen, aber keineswegs auf das Gros», so der Medienjournalist Rieg. Mit diesen Kampfbegriffen sei der «der komplette Diskurs vergiftet, ja unmöglich gemacht» worden.

«Meilenstein für Einseitigkeit und Verzerrung»

Besonders heftig zeigte sich das totale Versagen des Journalismus im Zuge der Grossdemonstration gegen die Corona-Politik am 1. August 2020 in Berlin; einer Demo, an der es laut den Medien nur so von «Corona-Leugnern» wimmelte. Rieg spricht von einem neuen «Meilenstein für Einseitigkeit und Verzerrung».

Die grossen Medien bemühten sich nicht einmal, die Positionen der Demonstranten dem Publikum zu vermitteln. Stattdessen wurden sie aufs übelste diskreditiert und diffamiert. Meinungsvielfalt, so Rieg, hatte im deutschen Journalismus nichts mehr zu suchen.

Dabei ist sie im Medienstaatsvertrag sogar explizit vorgeschrieben. Anstatt die Meinungsvielfalt und den Pluralismus hochzuhalten, taten die Pressehäuser das Gegenteil. Man beschäftigte sich in der Krise alle paar Wochen «mit den Grenzen des Sagbaren». Journalisten entpuppten sich als moderne «Sittenpolizei», die sich regelmässig fragte, was Satire noch dürfe.

Tragisch, findet Rieg. Denn: «Dabei ist Meinungsvielfalt mit das Wichtigste, das Journalismus bieten muss, wenn er der Orientierung dienen will.» Der Medienjournalist stellte zudem fest, dass die Alpha-Journalisten der grossen Medien die Nachrichten willkürlich selektierten.

Alle Informationen, die mit der Auffassung der Regierung übereinstimmten, fanden ihren Weg in die Nachrichten. Umgekehrt wurden fast alle Infos, die nicht ins herrschende Bild passten, gecancelt. Weglassen, so Rieg, ist ein starkes Propagandainstrument.

Dass es 2020 nach den ersten Daten gar keine Übersterblichkeit gab, wurde nicht näher thematisiert. Mehr noch: Viele Medienschaffende ignorierten diesen Fakt schlicht und einfach, schreibt Rieg. Als im ersten Impfjahr eine Übersterblichkeit zu beobachten war, inklusive mehr Corona-Tote, wurde auf Recherchen verzichtet.

Maximales Schweigen zu den Folgen

Schlimmer noch: Die sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schäden, welche die Corona-Politik angerichtet hat, verschwiegen die Pressehäuser maximal. Für die gouvernementalen Journalisten stand fest: Corona-Politik ist alternativlos. Ein Musterbeispiel hierfür, auf das Rieg aufmerksam macht: Ein SpiegelBeitrag mit der Titelgeschichte «Albtraum Lockdown» vom 17. Oktober 2020.

26 Autoren schrieben an dieser Geschichte, «doch sie verlieren nicht ein einziges Wort über die Nebenwirkungen eines Lockdowns», so Rieg. Stattdessen machten die Journalisten den anvisierten Lockdown schmackhaft. Diese regierungshörige Selektion durchzog die gesamte herrschende Publizistik im deutschen Blätterwald.

Ein weiteres Beispiel hierfür, auf das Rieg hinweist: Der belgische Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke tauchte in deutschen Medien immer dann auf, wenn er sich für harte Massnahmen zur Corona-Bekämpfung aussprach – oft geschehen beim ZDF.

Als Vandenbroucke allerdings das Bekenntnis ablegte, dass die harten Massnahmen gar nicht dem Infektionsschutz, sondern nur dem Schock der Bevölkerung gedient hätten, schwiegen dieselben Medien. Begründung: Mangelnde nachrichtliche Relevanz, wie Jens Petersen, Leiter Konzernkommunikation der Deutschen Presse-Agentur dazu erklärte. Riegs Fazit:

«Die grossen General-Interest-Medien haben oftmals wesentliche Informationen nicht zur Verfügung gestellt, die zur Beurteilung der Corona-Pandemie und der sie managenden Politik nötig gewesen wären. Viele relevante, oft sogar sehr naheliegende Fragen sind medial nicht gestellt worden, entsprechend wurden Fakten einseitig bewertet, Geschehnisse und Entwicklungen unvollständig und/ oder nicht-repräsentativ dargestellt. Damit war eine verantwortungsvolle Meinungsbildung schlicht nicht möglich.»

Journalistenverband sieht kein Problem

Das Schockierende: Der Deutsche Journalistenverband (DJV) bewertet die journalistische Arbeit während der Pandemie völlig anders. Mehr noch: Der DJV hält die Arbeiten von Timo Rieg für irrelevant.

«Dass es Mängel in der Berichterstattung über die Corona-Pandemie gab, liegt nur schon deshalb auf der Hand, weil noch nie in der jüngeren Geschichte eine Pandemie mit so verheerenden Auswirkungen über die Gesellschaften hereingebrochen ist», sagte Sprecher Hendrik Zörner gegenüber der Berliner Zeitung, die als eine der ganz wenigen Medien bisher über Riegs Studie berichtet hat.

Zörner zufolge gelte es zu bedenken, wie hilflos und fachfremd Journalisten waren:

«Da mussten sich Journalisten und Redaktionen erst einmal sortieren und auf die für sie völlig neue Situation einstellen. Anders als der Verfasser der Studie, Timo Rieg, bin ich jedoch der Meinung, dass sich die deutschen Journalisten in ihrer überwältigenden Mehrheit die grösste Mühe gegeben haben, die Menschen gut und umfassend zu informieren.»

Zörner fand das Krisenmanagement gelungen: «Fehler, Pannen und gelegentliche Verstösse gegen journalistische Grundregeln sind durchweg zeitnah benannt und diskutiert worden. Das war gut und notwendig. Das funktionierende Korrektiv ist der Deutsche Presserat, für den Corona erwartungsgemäss auch ein Thema war. Darüber hinaus sehe ich keine Notwendigkeit, dass wir als Gewerkschaft und Berufsverband der Journalisten Kritik an den Kollegen üben, die zum Teil Übermenschliches geleistet haben.»

Rieg selbst zeigte sich irritiert über das Statement des DJV und meinte: «Wenn Zörner sagt, das funktionierende Korrektiv sei der Presserat, meint er das sicherlich nicht wirklich so – denn damit würde er ja den Medienjournalismus ignorieren, der viel eher in den DJV passt als der Presserat, der immerhin zur Hälfte aus Verlegern besteht.» Klar ist: Die journalistische Aufklärung hat noch einen weiten Weg vor sich.

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