Der Anlass wird ein Zeichen setzen: «Das erste Open-Air Festival mit dem zentralen Thema Freiheit» im kommenden August «Freedom Festival» in Münsingen bei Thun; mit Live-Musik, Podiumsgesprächen und vielen hundert Besuchern. Anscheinend versucht man, ein jüngeres Publikum auf niederschwellige Weise an wichtige Fragen der Zeit heranzuführen. Gut so.
Sofort dachte ich an den Sohn eines langjährigen Freundes, der dort in der Nähe wohnt; nennen wir ihn Dani. Meine Notiz an ihn war denkbar kurz: «Ganz heiss», dazu ein Link zum Telegram-Kanal der Verstalter. In seiner ersten Reaktion staunte Dani, dass so etwas fast in seinem Nachbarort stattfindet, signalisierte aber zugleich, das sei eher nichts für ihn; «zuviel Politik».
So schnell liess ich nicht locker. «Die aufgeschlossenen jungen Leute fehlen da regelmässig. Setz ein Zeichen», entgegnete ich ihm. Zu meiner Verwunderung meinte er, seinesgleichen würde dort «nicht ganz in die Zielgruppe passen», ergänzte jedoch: «Aber vielleicht täusche ich mich auch.» – «Ja, das denke ich auch»; versehen mit entsprechendem Emoticon.
Unser Miteinander verträgt einen kontroversen Austausch. So fuhr ich fort: «Angepasst leben wollen, das galt früher als Kennzeichen der Älteren. Eigentlich fast schon eine Schande, dass sich das umgekehrt hat. Findest du nicht?» Unser Dialog ist offen, und so auch Daniels Rückfrage an mich: «Hat sich das wirklich umgekehrt?» Ich bekräftigte ihm meinen Eindruck.
Die Frage ist jetzt nur noch: Warum ist das eigentlich so? Warum sind bei der Diskussion um politische Themen, warum sind bei Einzelveranstaltungen und Spaziergängen die jungen Leute in den 20ern und 30ern fast immer untervertreten? Besonders das Thema jenes August-Wochenendes in Münsingen sollte doch auch ihr ureigenes sein. Oder ist das nur ein Klischee, dass «junge Leute» und «Freiheit» zusammengehören?
Meine Argumentation ging weiter. Ich betonte, dass derartige Veranstaltungen eine kritische Grundhaltung voraussetzten, und an die wolle man dort mit Hinweisen und Impulsen anknüpfen. In dem Gespür, dass irgendwo ganz massiv der Wurm drin sein könnte, darin äussere sich bereits ein selbständiges Denken. Es sei gleichsam seine Keimstufe. «Das hatten die jungen Leute früher mehr drauf als heutzutage, ja», schrieb ich.
Und was haben sie dann heute «drauf»? Wohl mehr die Frage: Wo und wie finde ich in den vielen Angeboten und Möglichkeiten denn überhaupt meinen Ort, den Platz, an den ich hingehöre? Jahrelanges Probieren macht müde, im Berufsleben ebenso wie bei den Beziehungen oder bei Glaubensfragen. «Freiheit verteidigen»? Ich denke, viele haben eher das Gefühl, sie könnten in einem Übermass an «Freiheit» ersaufen.
Richtig: Dem liegen verschiedene Begriffe von Freiheit zugrunde; ein kurzfristiger, verstanden als ein Verfügen über Wahlmöglichkeiten, und ein langfristiger, verstanden als die Grundlage, um überhaupt innerhalb guter Möglichkeiten leben zu können. Bei ersterem stöhnen die Jungen über ein Zuviel, bei letzterem mahnen die Älteren wegen einem drohenden «Zu eng».
Die einen wollen und müssen sich erst einmal orientieren, bevor sie sagen können, was etwas taugen könnte oder wo man wirklich kritisch sein müsste. Den anderen hat sich bereits vieles sortiert und gewichtet, und sie erkennen Fallstricke auf dem Weg – für sich selber, aber auch für andere, die nun aus dem eigenen Schaden klug werden könnten.
Insofern, habe ich Dani dann sinngemäss geschrieben, sei ihm und vielen seiner Leute nur bedingt vorzuwerfen, dass sie bei solchen Anlässen nicht gleich aufspringen; der Fragehorizont mag ihnen spontan abstrakt und fremdartig weit vorkommen.
Mein zweites Votum: Gerade weil der Bogen grösser und die Fragen tiefer sind, können einen solche Angebote weiterbringen: den eigenen Weg klarer zu sehen, sich Umwege von Jahren und Jahrzehnten zu ersparen und ein Erbe aus Generationen nicht zu verspielen.
Dieses Hören aufeinander erscheint mir heute dringend geboten. Freiheit ist kein abstrakter Wert, sondern eine Lebensbedingung der nächsten und übernächsten Generation. Und ein Glaubensstand der eigenen:
«Redet und handelt als solche, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen!» Jakobus 2,12
«Talk and act like a person expecting to be judged by the Rule that sets us free.» Jakobus 2,12 nach The Message Bible
Beklemmenden Gesetzen und Verordnungen stellt Jakobus, ein leiblicher Bruder von Jesus, also das übergeordnete «Gesetz der Freiheit» gegenüber:
- Welche Freiheit habe ich, haben wir gelebt und gewährt?
- Wo haben wir gute Freiheiten beschnitten oder uns beschneiden lassen?
- Welchen Freiheiten zum Bösen haben wir uns entgegengestellt, bei welchen gar mitgemacht?
«Freedom Festival 2023. Die Fackel der Freiheit!» – mal schauen, ob es klappt bei Dani und mir für einen dieser drei August-Tage. Aber letztlich rufen ja keine Veranstalter, sondern es mahnt uns ein gegenseitiges «Gesetz der Freiheit».
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Wort zum Sonntag vom 28. Mai 2023: Neuer Geist aus alten Brunnen
Lothar Mack war als Gemeindepfarrer und bei verschiedenen Hilfswerken und Redaktionen tätig. Sein kritischer Blick auf Kirche und Zeitgeschehen hat ihn in die Selbständigkeit geführt. Er sammelt und ermutigt Gleichgesinnte über Artikel und Begegnungen und ruft in Gottesdiensten und an Kundgebungen zu eigenständigem gläubigem Denken auf.
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Website: www.stimme-und-wort.ch