Horst D. Deckert

Das Millionen-Experiment: Abnehmspritze „Wegovy“

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Das Millionen-Experiment: Abnehmspritze „Wegovy“

Seit Monaten wird auf der ganzen Welt die neue Abnehmspritze „Wegovy“ bejubelt. Bis zu zwanzig Prozent ihres Ausgangsgewichts sollen Übergewichtige durch das Medikament verlieren können. Der Hype ist jedoch höchst gefährlich – denn bisher ist der Stoff nur wenig erforscht. 

von Larissa Fußer

Eine Spritze, im hübschen schmalen Design, liegt professionell beleuchtet auf einem Tisch aus teurem Holz. Daneben wurden akkurat ein Apfel und ein Smoothie drapiert. Ein paar schmale Finger mit Ringschmuck und perfekt lackierten Nägeln legen sich sanft um die Kanüle – jedoch ohne das Logo auf dem Spritzbesteck zu verdecken: Wegovy steht dort in modernem, hochwertigem Design. Genau so könnten in naher Zukunft die Social Media Accounts von Influencern auf der ganzen Welt aussehen.

Der Hype um die neue „Abnehmspritze“ des dänischen Pharmaunternehmens Novo Nordisk ist enorm. Prominente wie Elon Musk, Oprah Winfrey und Robbie Williams haben sich öffentlich damit gebrüstet, das Medikament zu spritzen. Kim Kardashian soll sich mitthilfe von Wegovy in ein Kleid von Marilyn Monroe gezwängt haben. In amerikanischen Zeitschriften finden sich zahlreiche Interviews mit Schönheitschirurgen, die proklamieren, die Spritze habe sich in der High Society schon jetzt als beliebtes Wundermittel für kurzfristige Gewichtsabnahme herumgesprochen. Und auch in den deutschen Medien sind seit Monaten die Aufregung und Faszination zu spüren, die durch das verheißungsvolle Medikament ausgelöst wurden. 

Tatsächlich ist der Effekt des Wirkstoffes Semaglutid auf das Körpergewicht außergewöhnlich. Je nach Studie nehmen Probanden durch das Medikament zwischen neun und 20 Prozent ihres Ausgangsgewichtes ab. Mehr Gewichtsabnahme ist aktuell nur durch eine chirurgische Magenverkleinerung zu erreichen. Zudem soll das Medikament den Blutdruck, den Blutzucker, die Blutfette und das Körperfett allgemein reduzieren.

Was wie Magie klingt, ist tatsächlich nur eine Nachahmung der ausgeklügelten Stoffwechselprozesse unseres Körpers. Semaglutid ist ein sogenannter GLP-1-Agonist. Das bedeutet, dass der Wirkstoff an Rezeptoren im Magen-Darm-Trakt und im Hirnstamm bindet, an denen natürlicherweise das im menschlichen Körper vorkommende Hormon GLP-1 andockt. Sowohl das Medikament als auch das natürlich vorkommende Hormon bewirken über diese Bindung eine Insulinausschüttung und eine verzögerte Magenentleerung. Im Hirnstamm hemmen sie zudem das Appetitgefühl. 

Hungern ohne Hungergefühl

Natürlicherweise hilft das GLP-1-Hormon dem Körper dabei, auf eine hohe Glucosemenge in der Nahrung zu reagieren. Durch die vermehrte Ausschüttung von Insulin wird der Zucker schneller aus dem Blut in die Zellen aufgenommen – so wird verhindert, dass es zu anhaltend hohen Blutzuckerspiegeln kommt. Eine hohe Glucosemenge bedeutet für den Körper außerdem, dass ihm vorerst genug Energie zur Verfügung steht und er erst einmal keine neue Nahrung aufnehmen muss. Entsprechend sind sowohl die Hemmung des Appetitgefühls als auch die verzögerte Magenentleerung, die ebenfalls eine sättigende Wirkung hat, sinnvolle Effekte des Hormons im Stoffwechsel des Menschen. 

Das Medikament Wegovy imitiert nun diese Prozesse, ohne dass tatsächlich eine erhöhte Glucosezufuhr über die Nahrung stattgefunden hat. Die Menschen nehmen also ab, weil der Wirkstoff ihnen vorgaukelt, satt zu sein, und sie dadurch weniger essen. Die tatsächliche Nährstoffaufnahme und das Sättigungsgefühl, die natürlicherweise direkt zusammenhängen, werden dadurch voneinander entkoppelt. Hungern ohne Hungergefühl – das dürfte nicht nur Übergewichtige, sondern gerade auch normal- oder untergewichtige Menschen mit Essstörungen und dem dringenden Wunsch abzunehmen hellhörig machen.

Hinzukommt, dass Semaglutid bei den meisten Menschen Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt auslöst, die so unangenehm sein können, dass die Betroffenen auch deswegen weniger essen. Nicht selten brechen die Patienten wegen dieser Nebenwirkungen letztendlich die Therapie ab. Sehr häufig leiden sie beispielsweise unter Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfungen sowie Kopf- und Bauchschmerzen. Seltener kommt es zu Gallensteinen, enormer Erschöpfung (sogenannter Fatigue), Schwindel und Geschmacksstörungen. Es gibt auch Berichte über lebensbedrohliche Nebenwirkungen wie einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse, sehr niedrigem Blutzucker, Nierenproblemen bis hin zu Nierenversagen, Schilddrüsentumoren und -krebs, Sehstörungen, schwere allergische Reaktionen sowie Darmverschluss.

Wird das Medikament abgesetzt, kommen die Kilos zurück

Ein weiterer großer Nachteil des Medikaments ist, dass es nach aktuellem Kenntnisstand lebenslang einmal wöchentlich gespritzt werden muss. Wird das Medikament abgesetzt, kommen auch die Kilos zurück – das hat unter anderem eine im wissenschaftlichen Magazin JAMA veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2021 gezeigt. Effekte einer Langzeiteinnahme wurden bisher jedoch nicht untersucht. Es ist damit unsicher, ob auf lange Sicht der Nutzen oder der Schaden des Medikaments überwiegt. In Fachkreisen wird diskutiert, ob bei einer jahrelangen Einnahme auch die Wirkung des Medikaments irgendwann nachlassen könnte, beispielsweise indem sich der Körper an den Wirkstoff gewöhnt und nicht mehr so sensibel darauf reagiert. Dieser Effekt ist von anderen Medikamenten bekannt. 

In einem 2021 veröffentlichten Beitrag im Ärzteblatt hatte der damalige Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Endokrinologie und Stoffwechsel an der Charité in Berlin, Prof. Dr. med. Joachim Spranger, gewarnt: „Wenn man sich vorstellt, dass ein adipöser 30-jähriger Patient dieses Medikament für die nächsten 40 Jahre spritzt, dann haben wir natürlich unzureichende Erfahrungen, was alles kommen kann.“ 

Wenn man sich vorstellt, dass ein Mensch über Jahrzehnte nur wenig und ohne Appetit isst, könnte das beispielsweise zur Folge haben, dass er irgendwann einen Nährstoffmangel entwickelt. Fraglich ist auch, ob eine Person, deren Appetitempfinden über Jahre durch ein Medikament geregelt wurde, dieses überhaupt wieder zurückgewinnen kann, wenn sie das Medikament absetzt. Es wäre aber auch das Gegenteil denkbar: Personen, die eine jahrelange Wegovy-Einnahme beenden, könnten möglicherweise stärkere Hungerattacken als vorher entwickeln und dadurch so viel essen, dass sie letztendlich mehr wiegen als vor der Wegovy-Behandlung.

Trotz dieser ernstzunehmenden Bedenken ist Wegovy seit Anfang 2022 in der EU zur Behandlung von Übergewicht zugelassen. Das Medikament darf erst ab einem Body-Mass-Index von 30 verschrieben werden, bei Personen mit gewichtsbedingten Vorerkrankungen liegt die Schwelle bei einem BMI von 27. Somit käme beispielsweise ein 60-jähriger Mann mit Bluthochdruck und einer Körpergröße von 1,80 Metern ab einem Gewicht von 88 Kilogramm für eine Behandlung mit der Abnehmspritze infrage. Eine 1,65 Meter große Frau im gleichen Alter mit gewichtsbedingtem Gelenkverschleiß könnte ab 74 Kilo eine Therapie erhalten. 

Reduktion des Herz-Kreislauf-Risikos?

Die medizinische Begründung für den Einsatz des Medikaments ist allen voran die Vermutung, dass mit der Reduktion des Körpergewichts auch Folgeerkrankungen des Übergewichts verhindert werden könnten. Zu diesen gehören allen voran Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Gefäßverkalkungen und dadurch möglicherweise verursachte Herzinfarkte und Schlaganfälle, die tödlich sein können. Und tatsächlich ist Wegovy das erste gewichtsreduzierende Medikament, für das in Studien tatsächlich eine Verringerung des Herz-Kreislauf-Risikos nachgewiesen werden konnte. Zumindest lässt sich das in einer im Dezember im New England Journal of Medicine veröffentlichten Untersuchung des Herstellers nachlesen. 

Stolz tönen darin die Forscher um den US-amerikanischen Herz-Kreislauf-Spezialisten Michael Lincoff, dass in ihrer groß angelegten Studie die Einnahme von Wegovy das Risiko für kreislaufbedingte Tode sowie nicht-tödliche Herzinfarkte und Schlaganfälle um 20 Prozent reduzieren konnte. Die Untersuchung wurde in einem hochwertigen randomisierten, doppelt-verblindeten und Placebo-kontrollierten Studiendesign an über 17.000 übergewichtigen Patienten mit bereits bekannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen durchgeführt.

In einem Zeitraum von bis zu vier Jahren bekam eine Hälfte der Probanden Wegovy gespritzt, während die andere Hälfte ein Placebo erhielt. Am Ende erlitten bei einer durchschnittlichen Einnahmezeit von 33 Monaten in der Wegovy-Gruppe 569 Personen einen Schlaganfall oder Herzinfrakt beziehungsweise starben aufgrund einer kreislaufbedingten Erkrankung – das entsprach 6,5 Prozent aller Personen, die Wegovy erhalten hatten. In der Placebo-Gruppe wiederum waren es 701 Personen beziehungsweise 8 Prozent der Placebo-Probanden.

Viele offene Fragen

Die Reduktion von 8 Prozent auf 6,5 Prozent ist es, was die Wissenschaftler als durchschlagenden Erfolg feiern. Das ist einerseits legitim, da es sich um einen statistisch signifikanten Unterschied handelt. Andererseits sollte man sich hier aber vor Augen führen, dass es in absoluten Zahlen um 132 Personen in einer Gesamtgruppe von über 17.000 Menschen mit vorbestellenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen geht, denen möglicherweise durch das Medikament ein Herzinfarkt, Schlaganfall oder der Tod erspart werden konnte. Und selbst das darf mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden, da diese Aussage ja nur für den Untersuchungszeitraum getroffen werden konnte.

Um tatsächlich feststellen zu können, ob Wegovy lebensverlängernd bei Übergewichtigen wirkt, müsste man alle Patienten bis zu ihrem Lebensende begleiten und dann vergleichen, ob die Wegovy-Probanden insgesamt tatsächlich länger gelebt haben als die Placebo-Gruppe. Unklar ist zudem, ob ein möglicher Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch das Medikament überhaupt langfristig anhält.

Was ist außerdem mit Personen, die das Medikament irgendwann absetzen und wieder zunehmen – sind diese dann für den Rest ihres Lebens besser vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschützt als Übergewichtige, die nie Wegovy gespritzt haben? Oder ist ihr Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, beispielsweise durch den rasanten Gewichtswechsel, womöglich sogar größer? Was ist mit Übergewichtigen, die keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben und Wegovy spritzen – sinkt ihr Risiko für Herzinfarkte auch? Dies wurde in der genannten Studie nicht untersucht. 

Der gefährliche Hype

Kurz: Es gibt sehr viele offene Fragen zur Sicherheit und dem Nutzen der Abnehmspritze. Vor allem der Fakt, dass das Medikament lebenslang eingenommen werden muss, es jedoch noch keine Studien zu Langzeiteffekten des Wirkstoffes gibt, ist ein Grund, höchste Vorsicht und Skepsis walten zu lassen. Derzeit muss man die Übergewichtigen, die sich Semaglutid spritzen, als freiwillige Versuchskaninchen in einer weltweiten Millionen-Studie verstehen.

Dennoch stürzen sich bereits Ärzte und selbsternannte Fitnessgurus auf der ganzen Welt auf das vermeintliche Wundermittel und die Zeitungen sind voller Porträts glücklicher Menschen, die durch Wegovy abgenommen haben. In den Sozialen Medien finden sich tausende Videos, vorwiegend von Frauen aus den USA, die ihre deutlich sichtbare Gewichtsabnahme unter Wegovy mit ihren Followern teilen und begeistert Werbung für das Medikament machen. Nicht jede von ihnen war zum Beginn ihrer Behandlung erkennbar übergewichtig.

Zwar ist bisher nicht wissenschaftlich untersucht worden, ob das Medikament auch bei Normalgewichtigen wirkt – ausgeschlossen wurde es aber ebenfalls nicht. Aussagen von Ärzten, die man zu dieser Frage im Internet findet, sind in dieser Hinsicht jedenfalls nicht aufschlussreich. So erklärt eine Spezialistin für Übergewichtsmedizin beispielsweise im amerikanischen Nachrtichtenportal NBC News, dass der Effekt der Spritze bei normalgewichtigen Patienten „vielleicht nicht genau derselbe“ sei. Die deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnte 2022 in einer Pressemitteilung zwar davor, Wegovy „als Lifestyle-Therapie im Eigengebrauch“ zu nehmen, erklärte aber auch nicht, dass es nicht wirken würde – sondern nur, dass die Behandlung mit starken Nebenwirkungen einhergehe.

Wegovy als Lifestyle-Medikament?

Wie enorm groß die Nachfrage nach Semaglutid ist, zeigt sich auch daran, dass sich in Deutschland bereits ein Schwarzmarkt für die Spritze entwickelt haben soll. Wie die Zeit berichtet, fand unter anderem die Polizei Zwickau zahlreiche gefälschte Rezepte für das Medikament Ozempic, das den gleichen Wirkstoff wie Wegovy enthält, jedoch eigentlich für die Behandlung von Diabetikern gedacht ist. Einige der falschen Rezepte sollen bereits eingelöst worden sein. 

Der Hype um Wegovy offenbart nicht nur, wie unvorsichtig und skrupellos viele Menschen offenbar mit ihrem eigenen Körper umgehen, um überschüssige Kilos loszuwerden. Er zeigt auch, dass sich die medial verbreitete Mär der „Body-Positivity“ und einer Ablehnung des Magerwahns nie durchgesetzt zu haben scheint. Stattdessen wollen nun Menschen auf der ganzen Welt offensichtlich so dringend schlank sein, dass sie überschüssige Pfunde einfach „wegspritzen“ – ganz egal, welche gesundheitlichen Risiken sie damit eingehen.

So ein rabiater Umgang mit der eigenen Gesundheit strotzt vor dem Hass, den diese Menschen gegenüber ihrem eigenen Körper empfinden müssen; von der belastenden Not, die diese Menschen anzutreiben scheint. Das betrifft bei Weitem nicht nur Übergewichtige – mit Sicherheit werden sich auch normal- und untergewichtige Personen Semaglutid spritzen lassen – einfach, weil sie sich mit weniger Speck auf den Hüften besser gefallen.

Sie sind es dann, die glückliche Fotos von ihrer Spritzen-Routine auf Instagram posten werden – im Hochglanz-Stil mit scheinheiligen „Selflove“-Sprüchen. Wegovy mag ein erstaunliches Medikament mit beeindruckender Wirkkraft sein – ob es Menschen, die unter ihrem Gewicht leiden, am Ende tatsächlich bei ihrem Kampf mit dem eigenen Körper helfen wird, ist höchst fraglich.

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