Horst D. Deckert

Der Euro als Erfolgsprojekt für Verarmung am Beispiel Spaniens verglichen mit Tschechien

Das Katastrophenjahr 2020 ist noch gar nicht in die Statistiken eingeflossen, da kommt es für Spanien knüppeldick. Fast 20 Jahre nachdem die Spanier den Euro eingeführt haben, gibt es keine Konvergenz beim Einkommen mit Deutschland, während die osteuropäischen Volkswirtschaften immer weiter wachsen.

 

El Pais: Tschechien überholt Spanien beim Pro-Kopf-Einkommen

 

In den 1990er Jahren war die Tschechische Republik mitten im Prozess, sich vom Kommunismus zu lösen und produzierte nur zwei Drittel des Wohlstands von Spanien. In den drei nachfolgenden Jahrzehnten hat es das Land aber geschafft, die spanische Wirtschaft in Bezug auf das kaufkraftbereinigte Pro-Kopf-Einkommen zu überholen. Auch Estland, Litauen und Slowenien sind nahe dran, Spanien in dieser Hinsicht zu übertreffen.

Die Zahlen belegen den Rückschritt Spaniens, das bis zur Finanzkrise 2008, die sich in Spanien als Immobilienkrise manifestierte, sukzessive seinen Rückstand zu den wohlhabendsten europäischen Volkswirtschaften verringern konnte. Seitdem jedoch driftet die spanische Wirtschaft weiter von den nordeuropäischen Ländern ab und verharrt auf einem Wohlstandsniveau ähnlich dem von Italien und Frankreich.

 

Seit 2008 geht es wieder runter

 

Es stimmt, dass die spanischen Einkommen in den letzten 30 Jahren um 50% gewachsen sind. Doch in einigen anderen Ländern, insbesondere in Osteuropa, ist dieser Wert viel stärker gestiegen. Seit der Finanzkrise 2008 hat sich der Abstand zwischen Spanien und Deutschland vergrößert und liegt nun wieder auf dem Niveau von 1997. Mit anderen Worten: Fast 20 Jahre nach der Einführung des Euro hat es keine Konvergenz mit den Deutschen gegeben. Sie sind immer noch rund 25% wohlhabender als die Spanier.

Ende 2007 verkündete der damalige spanische Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero von der Sozialistischen Partei (PSOE) unter Berufung auf Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat, dass Spanien beim Wohlstand zum ersten Mal Italien überholt habe. Während der EU-Durchschnitt auf 100 festgelegt wurde, zeigten die Daten, dass Spanien zu dem Zeitpunkt bei 105% des Pro-Kopf-Einkommen lag, während Italien bei 103% lag. Spanien befand sich zu dem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt der Immobilienblase, was die spanische Regierung verkaufte als Beweis, dass das Land nach 21 Jahren Mitgliedschaft in der EU endlich die Konvergenz abgeschlossen hat.

Aber die Krise schlug bald darauf zu, während die Zahlen von Eurostat für 2006 und 2007 nachgeprüft wurden mit dem Ergebnis, dass Spanien in Wirklichkeit nie vor Italien lag. Am nahesten kam das Land im Jahr 2007 mit 103% des Pro-Kopf-Einkommen der EU, vier Punkte unter Italien. Im Jahr 2019 schließlich rangierte Spanien bei 91% des EU-Durchschnitts, verglichen mit Italiens 96%, was zeigt, wie beide Länder innerhalb der Union an Boden verloren haben.

In der Zwischenzeit kamen mehrere osteuropäische Volkswirtschaften an Spanien heran und übertrafen das Land sogar. Die jüngsten Zahlen von Eurostat zeigen, dass die Tschechische Republik Spanien im Zeitraum 2018 bis 2019 überholt hat. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) listet 2019 als das Jahr, in dem die tschechische Wirtschaft die spanische überholen konnte, während der Internationale Währungsfonds (IWF) von 2020 spricht für den Führungswechsel zwischen Spanien und Tschechien.

 

Das Geheimnis des tschechischen Erfolgs

 

Nach den Schätzungen der OECD hatten die Spanier im Jahr 2019 ein Pro-Kopf-Einkommen von 38.128 Dollar (31.644 Euro) und lagen damit leicht unter dem Wert der Tschechen von 38.152 Dollar. Doch wie konntees nur dazu kommen, dass ein Land heute reicher sein kann, das noch vor 30 Jahren pro Person ein Drittel weniger Vermögen produzierte? Die Antwort liegt vor allem darin, dass sich die tschechische Wirtschaft zu einem industriellen Zulieferer für Deutschland entwickelt hat. Industrie und Exporte haben einen viel größeren Anteil am BIP.

Aber es gibt weitere Faktoren, die eine Rolle spielen. Die Arbeitslosenquote in Tschechien beträgt nur 3%, in Spanien dagegen 16%. Gleichzeitig gibt viel weniger befristete Arbeitsplätze. Infolgedessen gibt es viel weniger Ungleichheit trotz eines Steuersystems, das die erwirtschafteten Einkommen nicht so gleichmäßig verteilt.

„Zwischen 1980 und 2019 lag die Arbeitslosenquote in Spanien bei fast 17%. Wenn wir es schaffen könnten, diese über Reformen um 10 Punkte zu senken, indem die Funktionsweise des Arbeitsmarktes sowie des Güter- und Dienstleistungsmarkt verändert wird, würde das spanische BIP um zusätzliche 13% wachsen, was mehr ist als das Wachstum, das mit den europäischen Fonds erreicht werden soll“, sagte Rafael Domenech, ein Ökonom bei BBVA.

 

Ausbildung und F&E

 

Auch die Ausbildung ist entscheidend. In Spanien haben 30% der jungen Erwachsenen nicht mehr als einen Schulabschluss. In der Tschechischen Republik liegt diese Zahl bei 7%. Und obwohl die Zahl der Hochschulabsolventen ähnlich ist, haben viel mehr Tschechen eine Berufsausbildung.

Außerdem gibt die tschechische Regierung im Vergleich zu Spanien einen halben Prozentpunkt des BIP mehr für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, während die öffentlichen Finanzen besser dastehen. Vor der Coronapandemie erzielte das Land einen leichten Überschuss, während die Verschuldung bei 30% des BIP lag im Gegensatz zu Spaniens 95%.

Seit 1997 hat die Tschechische Republik seine wirtschaftliche Lücke zu Deutschland von -40% auf -23% stetig verkleinert. Spanien bleibt bei -23% stecken. Die Logik besagt, dass ein hinterherhinkendes Land umso schneller wächst, wenn es auf Technologie setzt und die besten Praktiken der führenden Volkswirtschaften übernimmt. Spanien konnte den Abstand in diesen Bereichen stetig verringern – bis zur Finanzkrise von 2008. Von diesem Moment an jedoch hat sich der Abstand zu den reichsten Volkswirtschaften wieder vergrößert.

 

Arbeitsmarkt und Produktivität

 

In seinem Buch Crecimiento y Empleo (Wachstum und Beschäftigung) erklärt der Ökonom Juan Francisco Jimeno, dass diese Lücke im Pro-Kopf-Einkommen auf zwei Faktoren zurückzuführen ist, die fast zu gleichen Teilen auftreten: höhere Arbeitslosigkeit und geringere Produktivität.

„Wir sind gewachsen, indem wir die Zahl der Erwerbstätigen erhöht und in wenig produktive Aktivitäten wie den Bau investiert haben, während Verbesserungen bei Effizienz oder Produktivität ignoriert wurden“, ergänzt der Wirtschaftshistoriker Leandro Prados de la Escosura.

Ökonomen sind sich im Allgemeinen einig darüber, dass in Spanien das Ausbildungsniveau unzureichend ist und die spanische Gesetzgebung für Arbeitnehmer einen zu tiefen Graben schafft zwischen langfristig beschäftigten und jenen mit Zeitverträgen. Das hindert Investitionen in das Humankapital genauso wie den beruflichen Aufstieg, oder die Verbesserung der Unternehmenseffizienz.

Der Wohlstand eines Landes definiert sich über die langfristig sehr wichtige Produktivität, was in Spanien ebenso ein Problem darstellt. Dennoch findet sich die Steigerung der allgemeinen Produktivität auf der politischen Agenda nicht als Priorität. Ein Beweis dafür ist die Tatsache, dass Spanien trotz einer europäischen Empfehlung aus dem Jahr 2016 kein Gremium geschaffen hat, das sich explizit mit Fragen zur Produktivität beschäftigt im Gegensatz zu anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Dänemark.

 

Schweigen über den Euro

 

Die von El Pais in der Analyse gelieferten Punkte sind sicherlich alle stichhaltig. Dennoch fällt auf, dass ein entscheidender Punkt nicht genannt wird: Spanien steckt in der Währungszwangsjacke des Euro, während Tschechien seine Krone bei Bedarf abwerten kann und dies infolge der Finanzkrise 2008 auch getan hat.

In den Jahren vor der Finanzkrise stieg die Tschechische Krone relativ zum Euro stark an und verlor seitdem leicht, konnte sich insgesamt aber knapp auf dem Niveau von vor der Krise 2008 halten. Viel stärker reagiert hat der ungarische Forint, der seitdem systematisch gegenüber dem Euro abgewertet wird. Kaum Veränderung zeigt der polnische Zloty seit der Finanzkrise, jedoch erlebte auch diese Währung während der Finanzkrise heftige Wertschwankungen.

Nichts davon gilt für Spanien und deren Peseten, deren Wert mit der Einführung des Euro festgezimmert wurden. Dadurch wirken sich in Spanien relative Wertschwankungen zu anderen Volkswirtschaften innerhalb des Eurosystems auf anderer Ebene aus, wo sie zu mitunter erheblichen realwirtschaftlichen Verwerfungen führen können.

Quelle Titelbild

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