Horst D. Deckert

Der ignorierte indigene Islamismus

Dumm ist, wer mehrmals das gleiche versucht und jedes Mal auf ein anderes Ergebnis hofft. Gefährlich grenzdebil ist, wer dabei mit Feuer und Benzin herumzündelt und dabei vergisst, dass er selbst brennbar ist. In etwa so ergeht es uns mit unserer politischen Elite, die kaum nach der letzten Niederlage im Kampf gegen den Extremismus nach einem weiteren Versuch verlangen und in ihrem Eifer nicht bemerken, wie der Extremismus schon längst heimisch wurde und dort im Zusammenspiel mit anderen Extremismen jene Grundlagen raubt, auf denen die Begründung für den Kampf gegen den Islamismus ruht.

The Spectator: Die Kapitulation des Westens vor dem Islamismus

Am Montag hielt Tony Blair bei einer militärischen Denkfabrik in London eine Rede. Darin erklärte er, dass der Westen weiterhin in Ländern intervenieren sollte, die vom islamistischen Extremismus bedroht werden. Nach Ansicht des ehemaligen Premierministers, der sich während seiner Amtszeit dazu entschied, gemeinsam mit den USA sowohl im Irak als auch in Afghanistan einzumarschieren, sei eine isolationistische Außenpolitik zum Scheitern erklärt, denn:

„Der Islamismus ist sowohl in seiner ideologischen Ausprägung als auch hinsichtlich der von diesem ausgehenden Gewalt eine Sicherheitsbedrohung ersten Ranges. Ohne Kontrolle wird er auch unser Land erreichen, selbst wenn es sich weit weg von dessen Zentrum befindet… Der Islamismus wird genau dann ideologisch und hinsichtlich seiner Gewalt besiegt werden können, wenn dieser durch eine Kombination von harter und weicher Macht konfrontiert wird.“

Seine Ausführungen ähnelten einer Rede, die er im Oktober 2015 im 9/11 Memorial Museum in New York City gab. Damals sagte Blair, dass der Westen nicht in der Lage sein würde, den islamistischen Terrorismus zu besiegen, solange nicht in präventiver Weise dessen Ideologie ausgerottet würde. „Auf dem Boden der Realitäten erleben wir, wie sich in Teilen der muslimischen Gemeinschaft eine Haltung entwickelt hat, die einer friedlichen Koexistenz zutiefst feindlich gegenübersteht“, warnte er. „Dieser Entwicklung entgegenzuwirken, ist ein wesentlicher Bestandteil der Extremismusbekämpfung“.

Es waren mutige Worte, die sich nicht allzu sehr von Emmanuel Macrons Erklärung im letzten Jahr unterschied, die er infolge der brutalen Ermordung des französischen Lehrers Samuel Paty hielt. Damals reagierte die muslimische Welt wütend auf die Äußerungen und drohte Macron und seinen Leuten. Niemand unter Frankreichs Verbündeten in Europa und Nordamerika stellte sich in der Folge auf die Seite von Macrons, was sich als Beweis dafür erachten lässt, dass der Westen in den Jahren seit Blairs Rede im 9/11 Memorial Museum dem islamistischen Extremismus weder entgegengetreten ist, noch ihn bekämpft hat.

Die Feigheit der autoritären Vielfalt

Was wir erleben ist eher das Gegenteil, der Westen zieht sich zunehmend aus der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Islamismus zurück. So wurde ein Lehrer aus Yorkshire Anfang dieses Jahres von Politikern und Lehrergewerkschaften im Stich gelassen, nachdem er es gewagt hatte, während einer Diskussion über die Meinungsfreiheit ein Bild des Propheten Mohammed zu zeigen. Theresa Mays Versprechen infolge des Terroranschlags auf der London Bridge im Jahr 2017, einige „unangenehme Gespräche“ führen zu wollen, ist nur ein leeres Versprechen von vielen, die im Laufe der letzten Dekade von westlichen Politiker zu hören war.

Diese insgeheime Kapitulation vor der islamistischen Ideologie ist größtenteils auf die Ausbreitung einer anderen Form des Extremismus in der westlichen Gesellschaft zurückzuführen. Es ist jene Ideologie, in der Vielfalt über alles stellt und jede Kritik an nicht-westlichem Denken per Definition als rassistisch festgelegt wurde. Diese Ideologie, die nicht weniger intolerant und rachsüchtig ist wie der Islamismus, zielt ebenfalls darauf ab, die westliche Zivilisation zu zerstören. Folglich beschwichtigen und entschuldigen viele ihrer Anhänger die Feinde des Westens.

Wer beispielsweise hätte sich noch vor wenigen Jahren vorstellen können, dass die kanadische Ministerin für Frauen und Gleichstellung im Jahr 2021 die Taliban als ihre “Brüder” bezeichnen würde? Es handelt es um eine doch recht seltsame Wortwahl, um über einen Schlag Männer zu sprechen, die schwangere afghanische Polizistinnen vor den Augen ihrer Familien hinrichten.

Die unmissverständliche Verurteilung des islamistischen Extremismus ist für einige westliche Politiker, wie es im Jargon heißt, „problematisch“ geworden. Man ist beinahe versucht zurückzuwerfen, dass sie ihre weißen Privilegien hinterfragen sollten.

An jene Stelle, an der in der westlichen Welt einst Werte standen, die dieser bereit war, bis zum Äußersten zu verteidigen, herrscht heute nur noch Feigheit. Als die Stadt in Yorkshire, aus welcher der Lehrer infolge der Drohungen fliehen musste, eine Nachwahl durchführte, vermieden es alle Kandidaten in peinlichster Weise, über dessen Notlage zu sprechen; nachdem in Frankreich eine Jugendliche untertauchen musste, weil sie den Islam kritisiert hatte, schimpfte der Justizminister über ihre Wortwahl, die „eindeutig eine Verletzung der Gewissensfreiheit“ darstellten. Und als ein Lehrer vor einer französischen Schule enthauptet wurde, weil er seinen Schülern ein Bild des Propheten gezeigt hatte, beklagte der kanadische Premierminister zwar seinen Tod, erklärte im gleichen Atemzug dann aber auch, dass „die Meinungsfreiheit nicht unbegrenzt ist… in einer respektvollen Gesellschaft wie der unseren muss sich jeder der Auswirkungen seiner Worte bewusst sein“.

Wer ehrlich ist, der sieht, wie jene westlichen Nationen, die versuchten, Afghanistan die Freiheit zu bringen, gleichzeitig völlig gleichgültig ignorierten, wie sich in ihrer Heimat der Islamismus ausbreitete. Die neue Ideologie der autoritären Vielfalt im Westen ließ den Geist einer alarmierenden Anzahl von Intellektuellen verkümmern – die meisten sind heute nicht einmal mehr Willens oder in der Lage, zwischen inakzeptablen antimuslimischen Äußerungen und legitimer Kritik an der islamistischen Ideologie zu unterscheiden. So ist es kein Wunder, dass sich die extremistischen Elemente im Islam zunehmend ausbreiten können. Kaum jemand ist heute noch davon überrascht, wenn laut Umfragen knapp die Hälfte aller britischen Muslime die Homosexualität gerne verbieten würde, oder wenn in Frankreich wie in Frankreich 57 Prozent der jungen Muslime die Gesetze der Scharia für wichtiger halten als jene der Republik.

Die Heimat muss vom Extremismus befreit werden, nicht den Rest der Welt

Einige Monate nach dem Einmarsch in Afghanistan erschien in Frankreich ein Buch mit dem Titel „Die verlorenen Gebiete der Republik“. Sein Autor wurde von der französischen Intelligenzia geächtet, weil er ohne sie schönzureden auf die sich damals schon deutlich erkennbaren Parallelgesellschaften in Frankreich hinwies. Man ignorierte die Entwicklung lieber und so konnten in diesen abgeschotteten Gemeinschaften islamistische Extremisten wie Mohammed Merah, die Brüder Kouachi und die Bataclan-Mörder heranwachsen.

Nach den Bombenanschlägen in London im Jahr 2005 versprach ein wütender Tony Blair der Nation, dass sich „die Spielregeln ändern“ würden. Der Ruf des Landes als ein toleranter Ort solle nie wieder „von einer kleinen fanatischen Minderheit missbraucht werden“ dürfen. Geändert hat sich an den Spielregeln allerdings wenig, und wie ich letzte Woche schrieb, nutzten britische Islamisten auch in den Jahren danach wieder und wieder die Selbstgefälligkeit des britischen Staates aus, um von London bis Manchester eine ganze Reihe blutiger Anschläge zu verüben. Fast keiner der Täter bei den Terroanschlägen und auch nicht jene, die an der Gräueltat von 2005 beteiligt waren, ist, wie Blair es ausdrückte, „zu uns gekommen“. Sie waren schon da. Sie sind nicht anders in Großbritannien geborene und aufgewachsene Staatsbürger, wie es auch in Frankreich bei den allermeisten islamistischen Extremisten um Eigengewächse handelt.

Würde es die politische Elite des Westens mit der Bekämpfung des islamistischen Extremismus ernst meinen, sie würde dabei nicht auf das Ausland schlielen, sondern sich vielmehr auf das eigene Land konzentrieren und in den Vororten von Brüssel, Barcelona, Paris und London intervenieren. Denn von dort stammen die Terroristen her, und auch ihre Ideologie, die in Moscheen, Cafes und in den sozialen Medien verbreitet wird, stammt von dort.

Der Krieg gegen den Islamismus kann nur gewonnen werden, wenn der Westen die bürgerliche Vernunft und den Glauben an das Gute darin wiederentdeckt. Man sollte jedoch besser nicht darauf vertrauen. Unsere Politiker sind schwach und kraftlos. Die größte Angst haben die meisten Regierungschefs im Westen nicht vor der Bedrohung durch den islamistischen Extremismus, sondern von der Vorstellung, jemand könnte sie als islamophob bezeichnen.

Quelle Titelbild

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