Horst D. Deckert

Deutsche Industrie muss auch bei Gasembargo weiter an Russland zahlen

Auch bei abgedrehter Heizung muss Deutschland für russisches Gas blechen (Foto:Imago)

Während die Haltungsdeutschen meinen, durch alberne Tänze auf Rathausvorplätzen, Kauf von Feingebäck mit blau-gelbem Solidaritätszuckerguß und vor allem Dusch- und Heizverzicht Putin in die Kapitulation zu treiben (um auf Nummer Sicher zu gehen, werden auch noch ein paar schwere Waffen geschickt) und mehrheitlich ein Gasembargo als „Zeichen ohne Z“ begrüßen, da grinst sich die ungleich komplexere Realität nur einen ab. Dass Russland tatsächlich jeder von Deutschland und Europa ehrenhaft und haltungsstark eingesparte Kubikzentimeter Gas von Indien und China mit Kusshand abgekauft wird und sich insofern, abgesehen vom Maximalschaden für Deutschland, überhaupt keine Schwächung Russlands einstellt, ist bereits hinlänglich bekannt. Neu hingegen ist der gestern bekannt gewordene Umstand, dass selbst deutsche Industriebetriebe selbst im Fall eines einseitigen Verzichts für russisches Gas auf viele Jahre weiter zahlen müssen. Dies würde der Idiotie einer halbgaren und undurchdachten Boykott- und Sanktionspolitik die Krone aufsetzen: Russland erhält weiter unser Geld, während wir frieren und unsere Industrie verschrotten.

Entsprechende langfristige Abnahmeverpflichtungen der „systemrelevanter“ deutscher Megakonzerne vor allem der chemischen Industrie sind Ausdruck der noch bis unter Angela Merkel politisch geförderten sklavischen Ankettung unseres Landes und Wirtschaftsstandsorts an russische Energieimporte. Besonders die BASF als größter Chemiekonzern der Welt, hat sich in eine nahezu völlige Abhängigkeit von russische Gas begeben, weil sie Verträge mit jahrzehntelanger Laufzeit abgeschlossen hat. Diese enthalten Mindest-Abnahmemengen, die selbst dann bezahlt werden müssen, wenn sie unterschritten werden. Dies sei, so der Energieexperte Jack Sharples vom Forschungsinstitut Oxford Institute for Energy Studies (OIES), in sogenannten „Take or Pay”-Klauseln festgelegt. Die Mindestabnahmemenge für russisches Gas in Deutschland liege bei 42 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2021; bis 2030 sinke dieser Minimalverpflichtung gerade einmal um rund vier Prozent – auf 40 Milliarden Kubikmeter. Bei Zugrundelegung eines Gaspreises von 50 Euro pro Megawattstunde (wobei Handelspreis zuletzt doppelt so hoch war), hätten die „Take or Pay”-Mengen einen finanziellen Gegenwert von über 140 Milliarden Euro – genug Geld für gleich mehrere Angriffskriege. Laut Sharples können diese Verträge nur unter Verweis auf „höhere Gewalt“ beendet werden. Dies wird von der Bundesregierung jedoch – zumindest derzeit noch – abgelehnt.

Take or Pay: Russland kassiert auf jeden Fall

Die BASF hatte bereits in den 1990er Jahren mit dem Bau eigener Pipelines von den Gazprom-Gasfeldern in Sibirien bis zum Firmenstammsitz in Ludwigshafen

begonnen. Der Konzern hatte Gas zu erheblich verbilligten Konditionen erhalten, weil die Firmentochter Wintershall dem Kreml-Staatsbetrieb bei der Gasförderung geholfen hatte. Die seither bestehende Kooperation zwichen BASF und Gazprom wurde von sämtlichen Bundesregierungen seit Helmut Kohl unterstützt. Der französische Gasmarktexperte Thierry Bros betont, dass Deutschland bis heute russisches Gas „zu einem Vorzugspreis“ bekomme. Damit hat die BASF massiv zu der Abhängigkeit der gesamten deutschen Wirtschaft von russischem Erdgas beigetragen. Wohl auch deshalb scheut die Bundesregierung die vielfach geforderte Verhängung eines Gasembargos gegen Russland. Stattdessen will man bis 2024 „nahezu unabhängig” von russischem Gas werden, ohne auf dieses sofort zu verzichten. Wie nun jedoch feststeht, müsste Gazprom dann aufgrund der „Take or Pay„-Klauseln selbst dann bis mindestens 2030 für Gaslieferungen bezahlt werden, die gar nicht mehr erfolgen.

Ein solcher Gasboykott kommt für die BASF selbst – wie für praktisch alle energieintensiven deutschen Industriebranchen – ohnehin nicht in Frage. Anfang des Monats hatte BASF-Chef Martin Brudermüller angekündigt, dass der Firmenstammsitz in Ludwigshafen bereits bei einer Halbierung der Gaslieferungen aus Russland seinen Betrieb einstellen müsse, wovon alleine rund 40.000 Mitarbeiter betroffen wären. Auch der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup, hatte gewarnt, dass

im Falle eines kurzfristigen oder unbefristeten Lieferstopps von russischem Gas „mit einer schweren Rezession mit einem massiven Verlust von Arbeitsplätzen” gerechnet werden müsse. Dass dann auch andere Industriezweige wie Landwirtschaft, Bau, Ernährung, Automobil oder Elektronik schwer getroffen würden, werde „häufig massiv unterschätzt.“ Für den Verlust von Erdgas gebe es „keine kurzfristige Ersatzmöglichkeit.“ Die Flüssiggas-Kapazitäten auf dem Weltmarkt seien „nahezu auf Jahre hinaus verplant.“ Außerdem habe Deutschland derzeit keine LNG-Terminals für eine Anlandung“. Fazit: Bei einem Ausfall von russischem Gas sei nahezu die gesamte chemische Industrie einschließlich des Mittelstandes betroffen.

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