Horst D. Deckert

Deutschlandfunk: Gottlos klein bleiben

Beim Deutschlandfunk gibt es einen Beitrag von Mechthild Klein, in dem sie das Loblied auf den Atheismus zu singen versucht. Es bleibt ein Gekrächze.

von Max Erdinger

Unter der Schlagzeile „Gottlos groß werden“ versucht sich Mechthild Klein aktuell beim „Deutschlandfunk“ an einer Rechtfertigung des Atheismus – und scheitert. Der These, daß es keinen Gott gibt, stelle ich die gegenüber, daß es keinen Atheismus gibt. Aber der Reihe nach.

Auf dem Beitragsbild aus dem Jahr 2009 ist ein roter Doppelstock-Bus vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu sehen, eine Kopie dessen, was zuvor schon in London zu sehen gewesen war. Dort hatte sich eine Gruppe um den renommierten Evolutionsbiologen Richard Dawkins um „Aufklärung“ bemüht, indem sie eine Werbekampagne startete, bei der Londoner Stadtbusse großflächig mit atheistischen Parolen beklebt worden waren. Die albernste von ihnen lautete so, wie auf dem Bild vom Bus in Berlin zu sehen ist. Man liest zuerst: „Es gibt keinen Gott“. Unten drunter: „Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben“. Erst wenn man genauer hinsieht, erkennt man, daß zwischen „Es gibt“ und „keinen Gott“ in Klammern etwas eingeschoben ist. Es sind die Worte „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Ganzer Satz: „Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott“. Genau das wiederum hätte sich auch anders ausdrücken lassen, und hätte man es anders ausgedrückt, hätten sich Dawkins und die Seinen das Geld für die Kampagne sparen können. Anstatt zu texten: „Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott“, hätte man auch verlauten lassen können: „Es ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß es Gott gibt.“ – Nachteil: Die Leute hätten sich verwundert abgewendet und sich gefragt, wer so doof ist, viel Geld in einer Werbekampagne für Binsenweisheiten zu versenken.

Nun kann man ja durchaus der Ansicht sein, daß ein erfülltes Leben keinen Glauben brauche. Nur müsste man dann halt dazu schreiben, was man mit „Glauben“ genau meint. Etwa so: „Ein erfülltes Leben braucht keinen christlichen Glauben“. Das ist logisch, weil wohl niemand annimmt, daß Hindus, Buddhisten, Moslems und Juden wegen ihres Glaubens ein „erfülltes Leben“ versagt bleibt – und daß auch sie keinen Glauben bräuchten, um ein „erfülltes Leben“ zu haben – was auch immer ein „erfülltes Leben“ genau sein soll abseits der Frage, ob man glauben müsste, ein Leben sei ein „erfülltes“. Das ist nämlich die Frage: Was, bitteschön, soll allgemeinverbindlich als ein „erfülltes Leben“ gelten? – Man sieht: Es gibt Werbekampagnen für etwas, das sich schlicht und einfach nicht bewerben läßt, weil schon die beworbene Substanz inexistent ist. Daher auch der Satz vom Geld, das buchstäblich zum Busfenster hinausgeworfen wird. Zur Ehrenrettung von Richard Dawkins muß man aber sagen, daß er seine damalige Überzeugung, es gebe ein „erfülltes Leben“ auch ohne den „Glauben“, zwischenzeitlich stark relativiert hat und heute der Ansicht ist, daß zumindest der christliche Glaube im Vergleich mit den neueren, selbstgemachten Religionen der Atheisten (Ideologien) extrem gut abschneidet.

Was gibt es?

Es gibt das Unerklärliche. Das kann noch nicht einmal der Atheist bestreiten. Auch er sieht sich mit den sogenannten Sinnfragen konfrontiert. Warum bin ich auf der Welt? Was soll ich hier? Was soll die Ewigkeit sein? Was soll die Unendlichkeit sein? Warum bin ich überhaupt hier, wenn ich doch sowieso sterben muß? – usw.usf. Der Atheist müsste also erkennen, daß er seinem eigenen Verstand insofern „mißtrauen“ muß, als daß er feststellt: Es gibt Fragen, die ich mir zwar kraft meines Verstandes stellen kann, aber es reicht derselbe Verstand evident nicht aus, um auch die dazugehörigen Antworten zu finden. Seine nächste Erkenntnis müsste dann sein: Es gibt tatsächlich eine Dimension des Daseins, die ich mir mit dem Verstand nicht erklären kann. Was wird auch der Atheist folglich tun? Er wird eine Theorie über das Wesen dieser unerklärlichen Dimension entwickeln. Er könnte es sich einfach machen und sagen: „Ja, diese Dimension gibt es, sie ist aber irrelevant“. Aber was wäre das dann anderes, als ein bloßes Postulat oder der Glaube an die Irrelevanz dieser Dimension? Wie man es auch dreht und wendet: Es ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß es Gott gibt. Für diese Einsicht braucht es keine Werbung.

Unterstellung

Vor Jahren habe ich einmal die folgende These in den Raum gestellt: „Kein Mensch – keine Welt“. Der entsprechende Thread in einem Diskussionsforum wurde mehrere Jahre alt und hatte am Schluß weit über tausend Antworten generiert. Meine Überlegung war: Was wäre etwas, wenn es der Mensch nicht wahrnehmen würde, weil es ihn selbst gar nicht gäbe? Interessant waren vor allem jene Antworten, in denen auf vielfältigste Weise versucht wurde, die Behauptung als wahr durchzusetzen, daß die Existenz der Welt nicht von der Frage abhänge, ob es Menschen gibt, die ihre Existenz wahrnehmen. Obwohl es den homo sapiens erst seit ungefähr 300.000 Jahren gebe, wisse er doch, daß es die Welt auch ohne ihn schon sehr viel länger gibt als ihn selbst. Das Alter der Erde, sagt der Mensch, belaufe sich auf etwa 4,5 Milliarden Jahre. Mein Einwand: Wem war es vor 2 Milliarden Jahren wichtig, zu wissen, wie alt die Erde ist und was sie überhaupt sein soll? Ist „die Erde“ dasselbe wie „die Welt“?

Meine Unterstellung lautet: Ja, Gott ist eine menschliche „Erfindung“, eigentlich ein Erklärungsversuch. Weil der Mensch aber nie etwas mit der Absicht erfindet, sich selbst das Leben schwerer zu machen, wurde der Glauben mit der Absicht „erfunden“, sich das Leben zu erleichtern – und zwar aus der Einsicht heraus, daß es etwas Gemeinschaftsstiftendes braucht, das ein friedliches Zusammenleben ermöglicht. Diese „Erfindung“ fußt ja tatsächlich nicht im Unsinn, sondern im Sinn, denn auch Atheisten wie Dawkins müssen zugeben, daß sie die Existenz Gottes nicht ausschließen können, weswegen man seine Existenz zumindest für möglich halten muß. Aus dem Glauben heraus wurden dann Verhaltensregeln formuliert, wie sie etwa in den zehn christlichen Geboten (Dekalog) zu finden sind. Rein rational ließe sich beispielsweise nicht erklären, weshalb der Stärkere den Schwächeren nicht einfach umbringen und berauben sollte, um seinen eigenen Besitzanteil an den vorhandenen Ressourcen zu erhöhen. Damit er es unterläßt, muß er erstens der Überzeugung sein, daß er etwas Böses täte, und zweitens muß er wissen können, daß er bei seinem Tun eine Mehrheit gegen sich hätte, mit der er sich wiederum zu seinem eigenen Wohl & Frommen besser nicht anlegt. These also: Der Glaube samt seiner Verhaltensregeln (Gebote) ist nützlich.

Laufen lediglich der Zeit hinterher: Die Kirchen

Woran der christliche Glaube tatsächlich sterben könnte, ist das Festhalten der Kirchen an einem Narrativ, das vielleicht im Mittelalter noch verfangen hat, als nur die Wenigsten lesen und schreiben konnten, und als auch die Gelehrten sehr viel weniger wussten als heutzutage. Heute käme es darauf an, sozusagen das „Konzentrat des Glaubens“ zu verteidigen. Heute dürfte nicht mehr gepredigt werden, daß Gott die Welt erschaffen hat, sondern daß der Mensch Gott erschaffen hat, weil er ihn sehr gut gebrauchen kann. Und daß das sehr weise gewesen ist, weswegen auch zu erhalten sei, was in der Folge der Erfindung eines Gottes zu Kultur wurde. Kleriker müssten sozusagen zu dogmatischen Kulturkonservatoren werden. Leider ist das Dogma selbst zu einem negativ konnotierten Begriff geworden, da es verstanden wird als der Zwang, das eigene Denken einzustellen – und somit diametral dem Selbstverständnis aufgeklärter Gesellschaften entgegensteht. In aufgeklärten Gesellschaften versteht man es im allgemeinen als Zumutung, sich mit etwas abfinden zu sollen, anstatt es in Frage zu stellen. Dem wiederum liegt aber der zuversichtliche Irrtum zugrunde, daß man sich auch alles erklären könne. Wie gesagt: Auch im Jahr 2021 gibt es niemanden, der die sogenannten Sinnfragen allgemeingültig beantworten könnte. Und dennoch stellen sich diese Fragen, seit es Menschen gibt. Nach meiner Überzeugung rennen deshalb alle diejenigen ins Unglück – und reißen dabei alles mit -, die an die prinzipielle Grenzenlosigkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens – man kann es nicht anders ausdrücken – glauben. Das wäre dann der atheistische Glaube.

Es ist nur logisch, daß der wiederum sehr schlecht gegen den christlichen Glauben abschneidet, weil er zu einer nicht zu rechtfertigenden Verbissenheit führt, die als „Totalitarismus“ bezeichnet wird. Wohingegen der christliche Glaube vergleichsweise für Gelassenheit sorgt. Es ist zwar richtig, daß das Dogma selbst nichts anderes als totalitär ist, aber da gibt es schon noch eine weitere Frage: Zu welchem Zweck totalitär? Beispiel: Der Christenmensch bemüht sich um Gerechtigkeit, respektive das, was er für gerecht hält. Ansonsten vertraut er darauf, daß dem jüngsten Gericht niemand entgeht, weswegen es nicht das ganz große Drama wäre, wenn er selbst einmal nicht so genau feststellen können sollte, was im konkreten Fall gerecht oder ungerecht wäre. Er kann notfalls darauf verzichten, sprichwörtlich „auf Teufel komm´raus“ Gerechtigkeit im Hier und Jetzt walten zu lassen. Der atheistische Totalitarist hingegen will unter allen Umständen „Gerechtigkeit herstellen“ – und zwar eine irdische Gerechtigkeit. Eine solche hält er für möglich. Würde er das nicht für möglich halten können, dann wäre sein Leben buchstäblich trostlos. Die Vermeidung von Trostlosigkeit ist aber kein Faktor von Wahrheit. Wahr ist, daß es keine irdische Gerechtigkeit gibt, die etwas anderes wäre als der Wille zu ihrer Herstellung. Und schon da scheiden sich die Geister. Was ist gerecht? Wenn jeder das hat, was ihm gehört, oder wenn alle das gleiche haben? Gibt es Gleichheit überhaupt? Oder gibt es lediglich den Wunsch nach Gleichheit, resp. eine Vorstellung davon, was sie sein soll? Arthur Schopenhauer hat sich ein Leben lang den Kopf darüber zermartert. Sein Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ ist in drei Bänden über einen Zeitraum von etwa vierzig Jahren entstanden. Was hat dieser Mensch nicht Jahre mit dem Nachdenken zugebracht! Wieviele Seiten er verfasst hat! Das alles war notwendig, um in seinem Nachlaß das Konzentrat daraus zu finden, einen einzigen (!) Satz: „Meine ganze Philosophie läßt sich zusammenfassen in dem einen Ausdruck: die Welt ist die Selbsterkenntnis des Willens.“ – Goethe: „Hier steh´ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“

Resümee

Mechthild Klein im „Deutschlandfunk“: „Mehr als ein Drittel der Deutschen gehört keiner Religionsgemeinschaft an, der Anteil wird größer. Aber nicht alle von ihnen sind Atheisten. Das zu werden, ist harte geistige Arbeit.“ – Harte geistige Arbeit hin oder her: Erstrebenswert ist es halt nicht. Zumal die Gottlosigkeit des Atheisten selbst nichts weiter ist, als der Glaube, daß er gottlos sei. Dabei hat er nur andere Götter. „Die Wissenschaft“ zum Beispiel. Oder „die Gleichheit“. Oder „die Gerechtigkeit“. Seinen „Verstand“. Oder alles zusammen. Frau Klein hätte auch mit derselben „Tiefsinnigkeit“ schreiben können: „Mehr als ein Drittel der Deutschen gehört keiner Kneipengemeinschaft an, der Anteil wird größer. Aber nicht alle von ihnen sind Trinker. Das zu werden, erfordert hartes tägliches Saufen.“ – Was da im Lande Deutschland funkt, funkt auf jeden Fall nicht mehr aus dem Land der Dichter und Denker, sondern aus dem Lande egozentrischer Präferenzutilitarist:innen mit biologisch zwar nachvollziehbaren und daher auch „berechtigten“ -, dennoch ungeistigen Präferenzen. Das Leben braucht die Akzeptanz des Unerklärlichen, um in Frieden eines sein zu können. Synonym für das Unerklärliche: Gott. Wir sollen uns kein Bild von ihm machen, so die Lehre. Logisch. Ein Bild des Unerklärlichen wäre nämlich nichts anderes als ein Erklärungsversuch. Bewiesenermaßen existiert das Unerklärliche.

Anders, als Mechthild Klein behauptet, wäre harte geistige Arbeit, allem Stolz auf die eigene Verstandeskraft zum Trotz, nicht zum Atheisten zu werden, eben weil es eine Forderung der Aufklärung ist, sich seines Verstandes zu bedienen – und nicht, obwohl es eine Aufforderung wäre, die angeblich dazu führen muß, daß man per „harter geistiger Arbeit“ zum Atheisten wird. Aber es ist ein weiteres Indiz für die arrogante Abgehobenheit zeitgeistiger „Weltenerklärer:innen“, daß sie mir nichts dir nichts selbst Nobelpreisträgern der Physik attestieren würden, sie hätten keine „harte geistige Arbeit“ geleistet. Werner Heisenberg, Nobelpreisträger des Jahres 1932: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“ Albert Einstein: „Ein Zeitgenosse hat nicht zu Unrecht gesagt, dass die ernsthaften Forscher in unserer im Allgemeinen materialistisch eingestellten Zeit die einzigen tief religiösen Menschen sind.“ – Der Etymologe: „Mater (die Mutter) –> Materie –> Materialismus“. Meinereiner über Mechthild Klein: Die katastrophale Verflachung des Denkens im ehemaligen Lande der Dichter und Denker sowie die Resultate dieser Verflachung, wie sie beispielsweise in der Merkelschen Politik und in zeitgeistigen Publikationen zu beklagen sind, hängen ursächlich mit der willkürlichen Ermächtigung der (potenziellen) Mater zur (turbo: feministischen) Weltenerklärerin zusammen. Diese Ermächtigung wiederum ist einem Gebot des zivilreligiösen Gottes namens „Gleichheit“ geschuldet. Dem Gläubigen reicht die Gewißheit, daß „vor Gott alle Menschen gleich sind“. Daß sie voreinander gleich zu sein hätten, – darauf kann er verzichten. Es sind zuverlässig immer Feministinnen, die mit ihren Äußerungen jedes „Vorurteil“ bestätigen, das sie eigentlich aus der Welt haben wollen. Ich gehe davon aus, daß man mehr oder minder stark im feministischen Mainstream verankert sein muß, um Artikel für den „Deutschlandfunk“ verfassen zu dürfen. Deshalb bekommt man dann so etwas Limitiertes zu lesen wie bei Mechthild Klein: „Es bedarf harter geistiger Arbeit, um zum Atheisten zu werden„. Was für ein dämlicher Quark. Wahr ist: Es bedarf harter geistiger Arbeit, um nicht zum Atheisten zu werden.

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