Horst D. Deckert

Die Anschläge auf Nord Stream und der Elefant im Raum

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Einer Meldung des Tagesspiegels zufolge kam es in der Nacht zum Montag und gestern Abend zu massiven Druckabfällen in den Erdgaspipelines Nord Stream 1 und 2. Die Bundesregierung geht von gezielten Anschlägen aus. Meldungen der Betreiber lassen vermuten, dass zumindest ein Teilstück von Nord Stream 2 völlig zerstört ist. Wer kommt als Täter infrage? Absurderweise spekulieren die Medien bereits, dass Russland hinter den Anschlägen stecken könnte. Dabei liegt es doch auf der Hand, wer das größte Interesse an einem endgültigen Aus der beiden Ostseepipelines haben könnte. Im Februar kündigte US-Präsident Biden bereits offen an, dass die USA einen Weg finden werden, Nord Stream auch gegen die Interessen Deutschlands „ein Ende zu setzen“. Das ist nun offenbar auch passiert und Deutschland schweigt. Von Jens Berger.

In der Nacht zum Montag kam es zu einem gewaltigen Leck der Nord-Stream-2-Pipeline südöstlich vor Bornholm. Nach Angaben des Betreibers sank der Druck in kurzer Zeit von 105 auf nur noch sieben Bar. Sieben Bar entsprechen dem normalen Wasserdruck in 70 Metern Tiefe, was ungefähr der Meerestiefe an der Position entsprechen dürfte, die gestern Nachmittag von den dänischen Behörden bestätigt und weiträumig abgesperrt wurde. Daraus kann man schließen, dass die Pipeline an dieser Stelle völlig zerstört ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt ging man von einem gezielten „Sabotageakt“ aus. Den immer noch spärlichen Informationen zufolge war zu diesem Zeitpunkt jedoch offenbar nur einer der beiden Leitungsstränge von Nord Stream 2 betroffen.

Gestern Abend kam es dann bei der parallel verlaufenden Pipeline Nord Stream 1 zum gleichen Szenario. Auch hier kam es zu einem „starken Druckabfall“, der auf beiden Leitungssträngen der Pipeline beobachtet wurde. Das Leck ist offenbar ebenfalls südöstlich vor Bornholm. Auch hier gehen die Behörden von einem „gezielten Anschlag aus“. „Alles spräche gegen einen Zufall“. Ein derartiger Anschlag sei, so eine vom Tagesspiegel zitierte „von Bundesregierung und Bundesbehörden eingeweihte Person“, „alles andere als trivial“, da er „mit Spezialkräften, zum Beispiel Marinetauchern oder einem U-Boot ausführt werden“ müsse. Das engt den Täterkreis auf staatliche Akteure ein.

Auch die WELT und der Tagesspiegel, die beide über die Anschläge berichten, spekulieren bereits munter über potenzielle Täter. Während der Tagesspiegel immerhin noch am Rand mit dem Gedanken spielt, „ukrainische oder mit der Ukraine verbundene Kräfte“ könnten verantwortlich sein, nennen beide Zeitungen vor allem Russland als möglichen Tatverdächtigen. Die Russen hätten also in einer „False-Flag-Operation“ (Zitat: Tagesspiegel) ihre eigenen Pipelines gesprengt, um … ja, warum eigentlich? Und spätestens hier erweisen sich die WELT und der Tagesspiegel als echte Leitmedien für Verschwörungstheoretiker.

Laut Tagesspiegel könnte es Russland darum gehen, „Verunsicherung zu schüren“ und „möglicherweise den Gaspreis wieder nach oben zu treiben“. Beide Vermutungen entbehren jeglicher Logik, da über die beiden Pipelines ja gar kein Gas transportiert wird und die „Märkte“ auch nicht damit gerechnet haben, dass sich dies mittelfristig ändert. Dementsprechend hat sich der Gaspreis auf dem Spotmarkt heute auch trotz der Anschläge gegenüber gestern nicht verändert. Ein wenig fantasievoller ist da schon die Verschwörungstheorie der WELT. Die Springer-Journalisten raunen, dass Russland durch eine Sprengung der Pipelines verhindern wolle, dass Deutschland „in einer Notlage im Winter“ das technische Gas, das sich in den Pipelines befindet, abzapfen könnte und Russland genau dies verhindern wolle. Diese schaurige Geschichte basiert übrigens auf einer wilden Theorie, die Sigmar Gabriel vor einigen Wochen im ZDF streute. Doch diese Geschichte ist ziemlicher Unsinn. Zum einen befindet sich nur vergleichsweise wenig technisches Gas in den Pipelines und zum anderen ist es sowohl technisch als rechtlich mehr als fraglich, ob eine Entnahme dieses technischen Gases überhaupt möglich ist. Dass Russland seine eigenen Pipelines sprengt, um zu verhindern, dass Deutschland „lumpige“ 177 Mio. Kubikmeter – das Transportvolumen beider Pipelines beträgt 110 Mrd. Kubikmeter – technisches Gas klaut, ist so absurd, dass man dem Springer-Verlag den Goldenen Aluhut überreichen sollte.

Erstaunlich ist vor allem, dass niemand den Elefanten im Raum anspricht. Es ist ja nicht so, dass es keinen Verdächtigen gäbe. Die USA haben ein Motiv und die technischen Mittel, um diese Taten begangen zu haben, und sie haben im Vorfeld auch bereits erklärt, dass sie im Zweifel Nord Stream 2 „ein Ende setzen werden“. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz verkündete dies US-Präsident Biden. Auf die Frage, wie er das denn genau umzusetzen gedenke, da dieses Projekt doch innerhalb der deutschen Entscheidungsmacht liegt, antwortete er kühl: „Ich verspreche Ihnen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun“. Das hat er nun ja wohl möglicherweise bewiesen.

Pres. Biden: “If Russia invades…then there will be no longer a Nord Stream 2. We will bring an end to it.”

Reporter: “But how will you do that, exactly, since…the project is in Germany’s control?”

Biden: “I promise you, we will be able to do that.” https://t.co/uruQ4F4zM9 pic.twitter.com/4ksDaaU0YC

— ABC News (@ABC) February 7, 2022

Dass die USA ein großes Interesse daran haben, russische Rohstofflieferungen nach Deutschland auch langfristig zu verhindern, steht außer Frage. Die USA sind kurz davor, Europas größter LNG-Lieferant zu werden. Die Milliarden Euro, die bis zum letzten Jahr für Energielieferungen nach Russland gingen, gehen jetzt zu einem großen Teil in die USA. Da LNG deutlich teurer als leitungsgebundenes Erdgas ist, hat dies natürlich Auswirkungen auf die europäischen Energiepreise. Europa ist nicht mehr konkurrenzfähig. Sowohl Gas als auch Strom sind den USA ungefähr um den Faktor zehn preiswerter als in Deutschland und die USA nutzen diese Preisvorteile bereits massiv, um deutsche Unternehmen zur Verlagerung ihrer Produktionskapazitäten über den Atlantik zu bewegen. Es herrscht Wirtschaftskrieg – nicht nur zwischen dem Westen und Russland, sondern auch zwischen den USA und der EU; nur, dass dies hierzulande niemand anspricht. Die Sprengung der Ostseepipelines stünde ganz im Zeichen dieses Krieges.

Die USA haben jedoch auch ein geostrategisches Interesse, einen Keil zwischen Deutschland und Russland zu treiben. Man schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe – den alten Feind Russland und den alten Konkurrenten Deutschland. Oskar Lafontaine hatte erst vor einigen Tagen beim Pleisweiler Gespräch auf diese von US-Think-Tanks erdachte Strategie hingewiesen.

Wäre man nun Kriminaler, wäre der Fall eigentlich offensichtlich. Man hat einen Tatverdächtigen, der die Mittel und ein Motiv hat und der in der Vergangenheit die Tat zumindest indirekt bereits angekündigt hat. Doch ausgerechnet dieser Tatverdächtige spielt zumindest in der öffentlichen Kommunikation keine Rolle. Ist das nicht erstaunlich?

Titelbild: Artur Didyk/shutterstock.com

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