Horst D. Deckert

Die Kriegstreiber sitzen im Westen

Der ehemalige chinesische Aussenminister Wang Yi, als Vorsitzender der aussenpolitischen Kommission der Kommunistischen Partei Chinas ranghöchster Aussenpolitiker seines Landes, hat am Samstag auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz eine Initiative Beijings zur Beendigung des Ukraine-Kriegs angekündigt.

Demnach will die Volksrepublik in Kürze ein Dokument vorlegen, in dem die chinesische Position zur Beilegung des Konflikts skizziert wird. Wang zufolge wird darin nicht zuletzt verlangt, die territoriale Integrität aller Staaten müsse gewahrt werden.

Er betonte dies auch auf der Münchner Sicherheitskonferenz, weigerte sich jedoch, dies ausschliesslich auf den russischen Überfall auf die Ukraine anzuwenden, und bezog stattdessen die stetigen Aggressionen der westlichen Staaten implizit ein – von deren Kriegen über die exzessive westliche Sanktionspolitik bis zur regelmässigen Einmischung in innere Angelegenheiten fremder Länder.[1]

Nach – unbestätigten – Berichten wird Präsident Xi Jinping am Jahrestag des russischen Überfalls eine Rede halten und darin für Friedensgespräche plädieren. Wang wollte unmittelbar von München aus in Richtung Moskau aufbrechen – zu Gesprächen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs.

Lulas «Friedensklub»

Mit seiner Initiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs stösst China auf breite Zustimmung im Globalen Süden. Erst kürzlich hatte Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva mitgeteilt, er setze sich für Vermittlungsbemühungen zur Einstellung der Kampfhandlungen ein. Konkret schlug Lula die Gründung eines «Friedensklubs» («clube da paz») vor.

Dabei müsse es sich um einen Zusammenschluss von Staaten handeln, die keiner der beiden Kriegsparteien unmittelbar verbunden sind und die ein baldiges Ende des Ukraine-Krieges herbeiführen wollen. [2] Brasilien will in ihm eine wichtige Rolle spielen. Die Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine hingegen, die vor kurzem Bundeskanzler Olaf Scholz verlangte, lehnt der brasilianische Präsident kategorisch ab. [3]

Starken Einfluss schreibt Lula bei alledem China zu; er fordert, Beijing solle sich zur Beendigung des Ukraine-Krieges «die Hände schmutzig machen». [4] Ende März wird er zu Verhandlungen mit Präsident Xi Jinping in der chinesischen Hauptstadt erwartet.

Als Mitglieder des «Friedensklubs» hat Lula zudem Indien und die Türkei im Blick. Nicht in Frage kommen die USA und die Staaten Europas, die mit ihren Russland-Sanktionen und mit ihren Waffenlieferungen an die Ukraine de facto längst zur Kriegspartei geworden sind.

«Von Kriegsstrategien zu Friedensmustern»

Indien, von Lula als mögliches Mitglied im «clube da paz» genannt, ist gleichfalls stark an einer Verhandlungslösung interessiert. Das Land weigert sich bis heute trotz heftigen Drucks seitens der westlichen Staaten, sich im Ukraine-Krieg auf eine Seite zu schlagen. Es weitet seine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland sogar deutlich aus.

Im Hinblick darauf ist New Delhi immer wieder als möglicher Vermittler eingestuft worden, und es führt bereits seit geraumer Zeit Gespräche mit Moskau über eine mögliche Beendigung des Krieges. Dies war etwa der Fall, als sich Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar im November zu ausführlichen Verhandlungen in Moskau aufhielt. Vor rund zehn Tagen bereiste dann Indiens Nationaler Sicherheitsberater Ajit Doval die russische Hauptstadt.

Dort führte er Gespräche auch mit Präsident Wladimir Putin persönlich – etwas, was Putin Amtsträgern, die keine Staats- oder Regierungschefs sind, selten gewährt. [5]

Ende Januar publizierte die Observer Research Foundation, eine einflussreiche Denkfabrik mit Hauptsitz in New Delhi, eine Studie über Möglichkeiten, den Krieg auf dem Verhandlungsweg zu beenden. Die globale Debatte müsse «von Kriegsstrategien zu Mustern für Frieden wechseln», heisst es in dem Papier – alles andere sei «viel zu gefährlich für die Welt». [6]

Erfolgreicher Vermittler

Die Türkei, die Lula gleichfalls als ein potenzielles «Friedensklub»-Mitglied nannte, hat bereits kurz nach Kriegsbeginn begonnen, sich als Vermittler zu betätigen.

Sie förderte etwa die Gespräche, die Ende März Moskau und Kiew einer Friedenslösung so nahe brachten wie niemals zuvor seit Kriegsbeginn und niemals danach; die Chance, auf einem Treffen in Istanbul eine Einigung zumindest über einen Waffenstillstand zu erzielen, wurde von den westlichen Mächten kühl zunichte gemacht (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

Die türkische Regierung hat es danach vermocht, die Vereinbarung zu Getreidelieferungen über das Schwarze Meer in Gesprächen mit russischen und ukrainischen Stellen auszuhandeln; dies gilt als bislang wohl grösster und wichtigster Verhandlungserfolg im Ukraine-Krieg.

In einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenski hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan am 20. Januar erklärt, Ankara sei weiterhin bereit, bei Friedensverhandlungen für diplomatische Unterstützung zu sorgen. Dasselbe hatte er bereits vier Tage zuvor in einem Telefonat mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin angeboten. [8]

Der Westen gegen den Süden

Während diverse Staaten des Globalen Südens zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln versuchen und dazu stets neue Initiativen gestartet haben, lässt die Bundesregierung bislang kein Interesse an einer Verhandlungslösung erkennen. «Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen», erklärte Verteidigungsminister Boris Pistorius am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz. [9]

Aussenministerin Annalena Baerbock antwortete gleichfalls in München auf Wangs Ankündigung, China werde sich um Verhandlungen im Ukraine-Krieg bemühen, der Krieg könne nicht enden, ohne dass Russland seine Streitkräfte aus der Ukraine abziehe. Indem sie ein denkbares Ergebnis von Verhandlungen zur Voraussetzung für diese macht, legt Baerbock den Verhandlungen neue Steine in den Weg. [10]

Berlin stellt sich damit nicht nur einer raschen Beendigung des Ukraine-Kriegs entgegen; es positioniert sich zugleich offen gegen den Globalen Süden.

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Dieser Beitrag, den wir in gekürzter Form übernommen haben, ist zuerst auf German Foreign Policy erschienen; einem Portal, das sich regelmässig mit Themen rund um die deutsche Aussenpolitik befasst.

Quellen/Anmerkungen:

[1] Wang Yi calls for mutual trust to promote a safer world. news.cgtn.com 19.02.2023.

[2] Patrícia Campos Mello: Lula vai apresentar a Biden ideia de ‘clube da paz’ para Ucrânia com participação da China. folha.uol.com.br 08.02.2023.

[3] S. dazu „Auf der Seite der Diplomatie“.

[4] Patrícia Campos Mello: Lula vai apresentar a Biden ideia de ‘clube da paz’ para Ucrânia com participação da China. folha.uol.com.br 08.02.2023.

[5] Shekhar Iyer: Is Modi working to end the Russia-Ukraine war before the G20 summit? newsdrum.in 15.02.2023.

[6] Ajay Bisaria, Ankita Dutta: The Ukraine Conflict: Pathways to Peace. orfonline.org 27.01.2023.

[7] S. dazu Die Kriegsziele des Westens.

[8] Jamie Goodwin: Erdogan tells Zelenskyy he is willing to mediate between Russia and Ukraine. thenationalnews.com 20.01.2023.

[9] Pistorius wird deutlich: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen“. rnd.de 18.02.2023.

[10] Kommt die chinesische Friedensinitiative? tagesschau.de 18.02.2023.

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