Horst D. Deckert

Die letzte Bastion vermeintlicher Gewissheit

«Die» Wissenschaft wird derzeit gerne ins Feld geführt. Teilweise entsteht der Eindruck, sie verkomme zu einer religiösen Glaubensfrage, an der man sich verzweifelt festhält, wenn wie in der Pandemie die Irrationalität Überhand gewinnt. Es ist ein verzweifelter Versuch, Sinnhaftigkeit über die gegenwärtige Situation zu gewinnen.

Leute, die sich auf «die» Wissenschaft berufen, verstehen entweder nicht, wie sie funktioniert, oder sie bedienen sich in ihrer Gläubigkeit bei der wissenschaftlichen Begrifflichkeit, um etwas zu bekräftigen, wofür man selber keine guten Gründe nennen kann. «Die» Wissenschaft solcher Leute ist über jeden Zweifel erhaben.

Man kann sein Gewissen erleichtern, wenn man Entscheidungen auf «die» Wissenschaft abstützt. Derzeit beliebt bei politisch unpopulären Massnahmen. «Die» Wissenschaft hat es ja gesagt. «Vertrauen wir der Wissenschaft», «Trust In Science», dann kommt’s gut.

Wissenschaft kann vieles. Aber nicht alles. Wissenschaft ist nicht die Lehre der göttlichen Absolution. Wissenschaft lebt von Kritik, Zweifel und Debatte, nicht von Konsens, schon gar nicht einem politisch konstruierten. Schaut man in die Wissenschaftsgeschichte, sieht man das. Hätte z.B. Kopernikus nicht am damaligen vorherrschenden Narrativ des geozentrischen Weltbilds gezweifelt, würden wir vielleicht immer noch glauben, dass sich die Sonne um die Erde dreht.

Unsicherheit gehört zur Wissenschaft. Es grenzt an fahrlässige Täuschung, dies in der Kommunikation zu vernachlässigen. Deshalb: «Keine falsche Sicherheit», wie es die Max-Planck-Gesellschaft in einem Artikel formulierte.

Intellektueller Lockdown

«Die» Wissenschaft, dieser Begriff, postuliert automatisch, dass es Objektivität gibt. «Die» Wissenschaft ist also objektiv. Bei dieser Auffassung werden die Arbeitsrealitäten von Wissenschaftlern zu wenig beachtet.

Wer heute in der Wissenschaft tätig ist, komme von verschiedenen Seiten unter Druck, so die Historikerin Sandra Kostner im Magazin Schweizer Monat von März 2021. Akademische Abhängigkeitsverhältnisse beispielsweise, würden sogenannte «Agendawissenschaftler» fördern.

«So haben gerade Eitelkeit, Opportunismus und Ideologie, Wissenschaftler zu allen Zeiten dazu verleitet, sich selbst einen intellektuellen Lockdown zu verordnen», so Kostner. Die weitverbreiteten befristeten Arbeitsverhältnisse (in Deutschland über 80 Prozent der an Hochschulen beschäftigten Wissenschaftler) etwa würden intellektuellen Konformismus fördern.

Darüber hinaus seien Wissenschaftler abhängig von Drittmitteln zur Finanzierung ihrer Arbeit. So bezeichnete Bildungsphilosoph Matthias Burchardt die Hochschule in einem Gespräch mit Gunnar Kaiser als «Drittmittel-Bordell». Sprich: Wem die wissenschaftliche Karriere etwas bedeutet, arbeitet zu Themen, die dem Zeitgeist entsprechen.

Für Zeitgeist-Themen gibt es Geld, Aufmerksamkeit und Publikationsmöglichkeiten. Wenn es glückliche Umstände wollen, sind auch mal gesellschaftlich wirklich relevante Bereiche darunter, nicht nur Mode-Themen. Dass einige Mitglieder der Swiss Covid-19 Science Task Force (Corona-Transition berichtete) lieber öffentlich in den Medien Panik verbreiteten, ist kein Zufall. Der emeritierte Immunologieprofessor Beda Stadler hat dies jüngst kritisiert.

Agendawissenschaftler bestimmen die Gangart

Es liegt auf der Hand, dass Geldgeber nicht primär Forschungsunterfangen finanzieren, die ihre eigenen Vorstellungen angreifen. «Wer im Gleichschritt mit den wissenschaftlichen Türstehern marschiert, erhöht seine Karrierechancen», so Kostner. Agendawissenschaftler würden sich gemäss Kostner durch folgende Merkmale auszeichnen:

  1. Sie machen ihr Weltbild zum Forschungsausgangspunkt;
  2. Sie verbinden ihre Tätigkeit mit politischem Aktivismus;
  3. Sie orientieren sich an einschlägigen Theorien und Narrativen;
  4. Sie ziehen sich mit Gleichgesinnten in eine Selbstbestätigungsblase zurück;
  5. Sie diskreditieren Forschende mit abweichenden Ergebnissen.

Besonders die Felder der Klimawandel- und Rassismusforschung, nur um zwei Beispiele zu nennen, würden von Agendawissenschaftlern dominiert, so Kostner. Beim Klimawandel sei das Narrativ etabliert, dass er menschengemacht sei. «Ergo ist jeder, dessen Forschung daran Zweifel sät, eine Gefahr für den Fortbestand der Menschheit. Denn jeder Zweifel könnte den aufgebauten politischen Handlungsdruck abschwächen (…).»

Wer glaubt, dass es in der Gesundheitsdebatte um Corona anders sein soll, der muss schon sehr gute Gründe auf den Tisch legen. Auch hier ist «die» Wissenschaft hochgradig politisch geprägt. Ein interessantes Gespräch zum Thema gibt es bei Corona-Transition: «Wissenschaft als politische Propaganda»: Gunnar Kaiser im Dialog mit Wissenschaftsphilosoph Prof. Michael Esfeld (Universität Lausanne).

Parallelen zu Corona

Man sieht in der Corona-Zeit ähnliche Parallelen: Menschen, die demonstrieren, sind potenzielle Massenmörder; Menschen, die die Probleme von Massnahmen wie Lockdowns, Maskenzwang oder Impfung ansprechen möchten, sind Rechtsextreme. Wer vom installierten Narrativ abweicht, wird mit affektiven Moralisierungen eingedeckt, mit Labels wie «umstritten» ausgezeichnet oder sieht sich mit Shitstorms von empörten Internetnutzern konfrontiert.

Prof. Michael Esfeld ist einer der wenigen aus dem akademischen Betrieb, die öffentlich ihre Meinung zur politischen Instrumentalisierung der Wissenschaft äussern. Das sollten mehr seiner Kollegen tun; auch von Studierenden kommt wenig Widerrede. Letztere würden im ungünstigsten Fall ein Studium im ideologischen Vollwaschgang durchlaufen und würden dann die Hochschulen mit der Gewissheit verlassen, «die» Wahrheit zu kennen, so Kostner.

Es bräuchte also eine gewisse Haltung von Wissenschaftlern, Abhängigkeiten zu reduzieren, damit Macht nicht zur Normierung des «guten» und des «umstrittenen» Wissens missbraucht werden kann. Damit es Debatte gibt, muss intellektuelle Vielfalt herrschen, und nicht, wie bereits angesprochen, nur Konsens.

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