
Die exorbitanten Preise für Energielieferungen und die Wirtschaftskrise, die als Folge der EU-Sanktionen gegen Russland über Westeuropa hereinbrach, haben viele Analysten dazu veranlasst, einen nostalgischen Blick auf vergangene Zeiten zu werfen, in denen russisches Gas im Überfluss vorhanden war und jahrzehntelang zur rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands beitrug.
Wenn wir uns an die ominösen Worte: «Haltet die Russen draussen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten» erinnern – die Worte des ersten NATO-Generalsekretärs Lord Ismay, als er die Ziele des neuen Militärbündnisses (wie es damals hiess) erläuterte –, dann war die versteckte Agenda der USA immer, dass Deutschland nur wirtschaftlich florieren sollte, aber nicht viel mehr als das.
Es wird nun immer deutlicher, dass eine wachsende Zahl von Politikern in Deutschland und der EU die Uhr in die Zeit vor dem Ukraine-Konflikt zurückdrehen will. Einer der eifrigsten Verfechter solcher Beziehungen ist der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder.
Schröder hat in seiner Funktion als Bundeskanzler alle Voraussetzungen für die Realisierung von Nord Stream 1 geschaffen. Ausserdem setzte er sich aktiv für den weiteren Ausbau der russisch-deutschen Beziehungen ein. Für ihn und andere Vertreter der europäischen Energiewirtschaft bedeutet der Konflikt in der Ukraine nicht, dass die EU alle Geschäftsbeziehungen einstellen und all das aufgeben sollte, was die europäische Industrie so wettbewerbsfähig macht. (…)
Neben der uneingeschränkten Unterstützung seitens einiger hochrangiger Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland vertritt auch Paolo Scaroni, für den die Zusammenarbeit mit Russland von entscheidender Bedeutung ist, dieselben Ansichten. Scaroni ist ein weiterer eifriger Befürworter einer wiederhergestellten Zusammenarbeit der EU mit Russland. Er war zwischen 2002 und 2014 Vorstandsvorsitzender der italienischen Energieunternehmen Enel und Eni.
Schröder und Scaroni führen eine Gruppe von Geschäftsleuten an, die darauf bestehen, dass neue Verträge mit Moskau unterzeichnet werden. Einige Analysten sehen in dieser Forderung nach einer Wiederherstellung der alten Beziehungen die neue Schröderisierung Europas, die bei flüchtiger Betrachtung nicht realisierbar erscheint. Zum Vergleich: Die Gesamtmenge an Gas, die jetzt aus Russland nach Europa gepumpt wird, ist von 40 auf 5 Prozent gesunken.
Die deutschen Minister werfen immer wieder eine Reihe möglicher Lösungen in die Runde: die Diversifizierung des Energiesektors zum Beispiel. Berlin ist bereit, auf alles zurückzugreifen, was möglich ist: Gas aus Norwegen, Flüssiggas, Wind- und Solarenergie usw., doch einige der «linken Eliten» kriegen bei jeder Erwähnung des erneuten Imports von russischem Öl und Gas einen Wutanfall. In Wirklichkeit hat Deutschland das russische Gas jedoch nicht aufgegeben, sondern kauft es weiterhin vor den Augen der Öffentlichkeit. Man fragt sich, warum? Gibt es einen erklärbaren Grund für die Heuchelei der EU?
Trotz der Tatsache, dass Nord Stream 1 und 2 derzeit nicht in Betrieb sind, hat der Kauf von russischem Flüssiggas auf wundersame Weise zugenommen. Verglichen mit dem Exportvolumen in die EU liegen nur noch die USA vor Russland. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer ist ein leidenschaftlicher Befürworter der Verlängerung von Nord Stream 1 und 2 und begründet dies damit, dass Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen ist, da die letzten drei Atomkraftwerke abgeschaltet wurden. Wenn Russland Europa endgültig den Rücken kehrt und sich für die vollständige Zusammenarbeit mit Asien entscheidet, wird es für Deutschland mühsam, genügend alternative Quellen bereitzustellen, warnt Kretschmer. (…)
Die Nord-Stream-Pipeline zwischen Russland und Deutschland hat in ihrer zwei Jahrzehnte währenden Geschichte viel Streit über den Atlantik gebracht. Doch Angela Merkel zog beharrlich eine Trennlinie zwischen Handel und Politik und triumphierte am Ende. Deutschland hat den Bau seines ersten schwimmenden Flüssiggas-Terminals abgeschlossen, das für die Sicherung der Energieversorgung von zentraler Bedeutung sein wird. Theoretisch hat Deutschland die Möglichkeit, die schwimmenden Terminals zu nutzen, wo das flüssige Gas in den gasförmigen Zustand umgewandelt werden kann, aber dieses Verfahren wird exorbitante Kosten verursachen, im Gegensatz zu den Kosten, die man mit den bewährten und früher verwendeten Verfahren erhalten würde.
Die EU hat sich wohl vorgenommen, die Druschba-Pipeline zu sanktionieren oder zu schliessen, unter dem Vorwand, dass die fortgesetzte Abhängigkeit Europas von russischem Öl für Mitteleuropa nicht vorteilhaft ist und dass sie versucht, ihre Abhängigkeit von russischem Öl zu verringern und gleichzeitig den europäischen Green Deal zu beschleunigen.
Historisch gesehen ist die Druschba-Pipeline eines der grössten Rohöl-Pipelinenetze der Welt. Die Gesamtlänge des Pipelinesystems einschliesslich aller Abzweigungen beträgt rund 5500 km. Es handelt sich um die zu Zeiten der UdSSR errichtete Pipeline, deren Name übersetzt «Freundschaft» bedeutet, womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass das Öl aus allen Staaten der UdSSR durch sie hindurchfliesst und weiter in alle «Genossen»-Länder des Warschauer Pakts gepumpt wird. Auf ihrem Weg nach Mitteleuropa überquerte die «Druschba» 45 grosse Flüsse. Die gesamte Pipeline wurde im Oktober 1964 in Betrieb genommen.
Und wenn wir noch einmal einen Blick auf die Nachrichten über den G7-Gipfel in Hiroshima werfen, berichtete die Financial Times ausserdem, dass die G7-Gruppe und die EU die Wiederinbetriebnahme russischer Gaspipelines verbieten wollen:
«Nach Angaben von Beamten, die an den jüngsten Verhandlungen beteiligt waren, werden die G7 und die EU russische Gasimporte auf Routen verbieten, auf denen Moskau die Lieferungen reduziert hat. Die Entscheidung, die von den Staats- und Regierungschefs der G7 auf einem Gipfel in Hiroshima in dieser Woche getroffen werden soll, wird die Wiederaufnahme russischer Gasexporte über Pipelines in Länder wie Polen und Deutschland verhindern, wo Moskau im vergangenen Jahr die Lieferungen unterbrochen und eine Energiekrise in ganz Europa ausgelöst hat.»
Der nördliche Abschnitt der Druschba-Leitung, die deutsche und polnische Raffinerien versorgt, könnte im Rahmen der EU-Massnahmen ebenfalls verboten werden. Das Embargo wird von Diplomaten als Teil des 11. Sanktionspakets der EU diskutiert. Die Financial Times berichtet auch, dass ein EU-Diplomat sagte, Brüssel müsse seine Position klären, da beispielsweise Öl aus Kasachstan durch die Druschba-Pipelines fliesse. «Es muss genau klar sein, wie das funktionieren würde», forderte er.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Art und Weise, wie der indische Aussenminister mit der Arroganz der EU und der USA bezüglich der endlosen und beispiellosen antirussischen Sanktionen umgegangen ist, der beste Weg war. Dr. Subrahmanyam Jaishankar, der Bildung, Gelehrsamkeit und Diplomatie ausstrahlt, hatte mit seiner jüngsten mutigen, aber raffinierten Leistung, Europa in dieser Frage zu schulen, vollkommen Recht. Die Hindustan Times berichtet über einen Streit darüber: «Jaishankar belehrt EU-Kommissar Josep Borrell, weil er Indien wegen des Weiterverkaufs von russischem Öl gewarnt hat».
Nach meinem Verständnis der EU-Ratsverordnungen wird russisches Öl, wenn es in einem Drittland wesentlich umgewandelt wird, nicht mehr als russisches Öl behandelt. Ich möchte Sie dringend bitten, sich die Ratsverordnung 833 – 01 anzusehen.
Es stellt sich die Frage, was Europa zu dem zurückbringen könnte, was oft als Schröderisierung Europas bezeichnet wird. Für den kollektiven Westen scheint es besser zu sein, Krieg zu führen, als zu reden. Irgendwann ist der kollektive Westen nicht mehr in der Lage, einen Unterschied zu erkennen. (…)