Horst D. Deckert

Die «Vereinigten Staaten von Sanktionen»

In einem an Klartext kaum zu übertreffenden Papier prangert das chinesische Aussenministerium die hegemoniale Politik der USA an. Das Papier schliesst mit der Forderung, die Vereinigten Staaten müssten «ihre Arroganz und Vorurteile ablegen und ihre hegemonialen, herrschsüchtigen und schikanösen Praktiken aufgeben».

Während Biden zum Fototermin ins sonnige Kiew reiste, veröffentlichte das chinesische Aussenministerium eine Abrechnung, die mit ihrer undiplomatischen Klarheit neue Massstäbe setzt: «Die US-Hegemonie und ihre Gefahren».

«Die Vereinigten Staaten haben ein hegemoniales Drehbuch entwickelt», heisst es darin, «um unter dem Deckmantel der Förderung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten ‹farbige Revolutionen› zu inszenieren, regionale Streitigkeiten anzuzetteln und sogar direkt Kriege zu führen.»

Es umschreibt die hegemoniale US-Politik in fünf Kapiteln: Politik, Militär, Wirtschaft, Technologie und Kultur. Geopolitisch Interessierte finden darin zwar wenig Neues.

Aber dass das Aussenministerium des grössten Konkurrenten der USA den diplomatischen Jargon verlässt und die Dinge beim Namen nennt, deutet darauf hin, dass sich China bezüglich der Absichten der USA keinen Illusionen mehr hingibt.

Dass die USA China als ihren Hauptfeind betrachten, ist schon länger bekannt und geht auch aus den offiziellen strategischen Papieren hervor. Im Januar sagte der US-General Mike Minihan seinen Untergebenen sogar, sie müssten sich bis 2025 auf einen Krieg mit China vorbereiten.

Eine Korrektur durch das US-Aussenministerium oder gar eine Entschuldigung bei China erfolgte nicht. Die USA machen also nicht einmal Anstalten, mit Kriegsdrohungen – ein Verstoss gegen das Gewaltverbot der UNO – zurückhaltend umzugehen.

Das Papier hat allerdings erstaunlich wenig Resonanz ausgelöst. Die Suche mit dem Titel des Papiers ergibt unter den westlichen Mainstream-Medien bloss einen Artikel von Bloomberg. Dieser erwähnt vom Inhalt allerdings nur gerade die Tatsache, dass amerikanische Werte über Hollywood-Filme in die ganze Welt exportiert würden.

Kein Wort von der finanziellen Unterdrückung, der wirtschaftlichen Ausbeutung, der technologischen Monopolisierung, den hunderten von US-Militärbasen oder den vielen Kriegen der USA, die im Papier im Detail genannt werden.

Welche Bedeutung die Veröffentlichung hat, wird die Geschichtsschreibung der Zukunft zeigen. Dass es eine Kriegserklärung von China an die USA ist, wie der Videoblogger Gonzalo Lira aus Kiew meint, glaube ich nicht.

Mit der Offenlegung der hegemonialen Strategie der USA demonstriert China aber seinen Willen, ihr entgegenzutreten. Das Mittel erster Wahl, auch das zeigt der Text, ist der Aufbau einer multipolaren, vom Dollar unabhängigen Weltordnung.

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Dieser Beitrag ist zuerst auf Christoph Pflugers Blog erschienen. Hier finden Sie zudem die deutsche Übersetzung des Papiers.

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