Horst D. Deckert

Dringend gesucht: Alternative Medienkompetenz

(Symbolbild:Netzfund/Facebook)

Der Vizepräsident von Pfizer wurde verhaftet.” So lautet die Schlagzeile, die unter dem Hashtag „#pfizerdocuments” seit Freitag viral um die Welt geht, bebildert mit dem Portrait von Rady Johnson. Ich bin immer wieder erstaunt, wie sich angeblich kritische Menschen, durch Meldungen, die ihnen in den Kram passen, vom rationalen Denken abbringen lassen. Man mache selbst den Test: Bei Twitter gibt es kaum einen kritischen Kommentar, der dieser Meldung mal auf den Grund geht. Leider kann ich der Community der Impfkritiker keinen Schlauheits-Award überreichen. Hier scheint der Spruch „Alles außer Mainstream“ die Gehirnzellen stark zu vernebeln.

Jedenfalls ist eine Medienkompetenz nicht mal im Hauch erahnbar. Dieser Bullshit hält sich hartnäckig. Ähnliche Beispiele sind die Kanzlerakte, die mit einer Unterschrift eines (nie existenten) Staatsministers Dr. Rickermann noch nimmer im Internet kreist, oder die seherischen Fähigkeiten des Carl-Friedrich von Weizsäckers (CFvW), der in der Redesammlung „Der bedrohte Frieden“ angeblich den Zusammenbruch des Kommunismus schon 1981 vorausgesehen hat. Ich habe demjenigen seit acht Jahren 1.000 Euronen versprochen, der dies mit einer Fotokopie aus der Erstauflage belegen kann. Bis heute hat sich niemand gemeldet, der Quatsch geht aber weiter durchs Netz.

Gemeinschaft der Gutgläubigen

Es gibt Zeitgenossen, die nicht mal dann ihre Meinung zu einem Telegram-Kanal revidieren, wenn sie feststellen, dass dort fast nur Fake-News produziert werden. Die Gemeinschaft der (Gut-)Gläubigen hat schon sektiererhafte Züge. Das erinnert mich an den Berliner Spruch: „Watt, ick en Schutzmann fragen? Lieber verloof ick mir!“. Motto: Ich lasse mich doch nicht durch Tatsachen von meinen gesunden Vorurteilen abbringen!

Wie gehe ich mit solchen Meldungen um? Beispiel Pfizer. Als erstes frage ich mich, weshalb nur der Vizepräsident und nicht der Präsident verhaftet wurde? Weshalb nicht der ganze Vorstand? Dann kommt die Frage nach dem Warum. Bei allem Misstrauen gegenüber unseren Medien – aber wenn ein Vorstandsmitglied von Pfizer eingebuchtet würde, dann schaffte es diese Meldung sogar bis in die „Welt“ oder „taz„… und da war nichts zu finden.

Der Anlass der Verhaftung waren angeblich gefälschte Daten. Bei aller Liebe – aber seit wann sind gefälschte Daten oder sogar Lügen ein Grund, unsere Eliten hinter Schloss und Riegel zu bringen? Wäre dem so, dann wäre das Regierungsviertel verwaist und in Berliner Gefängnissen würde wieder Deutsch gesprochen. Der feuchte Traum, dass ein QAnon oder ein deutsches Gericht auf einmal das korrigiert, was falsch in unserem Land läuft, stellt sich bei mir nicht ein. Mit über Siebzig glaubt man nicht mehr an Wunder, im Gegenteil: Man ist erschrocken, wie viele Mitmenschen gutgläubig an so etwas wie „Gerechtigkeit” glauben. Die harbarthige Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes soll hier als Hinweis genügen!

„Absolute” Wahrheiten

Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!“ so lautet die zweite Strophe der „Internationalen”. Von QAnon und dem Internationalen Strafgerichtshof ist da keine Rede. Eher erkennt man einem Sucharit Bhakdi den Professorentitel, ab bevor man zugibt, dass der Impfstoff nichts taugt.

Auf alle Fälle wurde im Pfizer-Fall ein flapsiger Artikel von der Internetseite „vancouvertimes.org” zur absoluten Wahrheit. Aber der Gipfel kommt ja noch. Die Leichtgläubigen identifizieren sofort die Schuldigen: Es ist der Mainstream, der die Meldung unterdrückt und der Google-Übersetzer streikt! Statt einmal kritisch die Meldung auf einen Wahrheitsgehalt zu untersuchen, wird die Schuld bei den „Fuck-tencheckern” verortet. Wer in Twitter „Rady Johnson“ und „Pfizer“ aufruft, findet mehr oder weniger solchen Mist, aber fast keine kritische Stimme, die diesen Unsinn hinterfragt; im Gegenteil, man wird noch blöd angemacht, wenn man seinen Zweifel kundtut.

Die Dünnhäutigkeit der Menschen, die ansonsten felsenfest überzeugt sind, die allein seligmachende Wahrheit zu besitzen, erschreckt mich. Klar: Meinungen und Statements werden politisch nachgerichtet oder angepasst. In der Sinnlosigkeit der Maske wird auf einmal eine „Gamechanger”-Funktion entdeckt, und aus der vehementen Ablehnung einer Impflicht wird auf einmal ein Impfzwang, der aus juristischen Gründen aber nicht so heißen darf. Was gestern noch Fake-News waren, ist heute plötzlich Volksmeinung und umgekehrt. Wer soll sich da noch auskennen? Aber ob einer heute ins Gefängnis gekommen ist oder nicht, lässt keine Interpretationsmöglichkeit zu.

Nicht gefeit gegen offensichtliche Fälschungen

Weil wir gerade dabei sind: Im November letzten Jahres wurde der Selbstmord des Chemnitzer Klinikchefs Dr. Thomas Jendges als Verzweiflungstat eines Impfkritikers verbrämt. Auch da war Twitter voll mit diesbezüglichen „Meldungen“, und die Faker schreckten nicht mal vor der Zuschreibung eines falschen Videos zurück. Plumper ging es nicht. Echte Videoclips, die belegten, dass Jendges ein Impfbefürworter war, wurden einfach nicht zur Kenntnis genommen. Ein weiteres Beispiel ist der „plötzliche und unerwartete Tod“ von Uwe Bohm. Klar, dass dies ja ein Code für einen „Impfdurchbruch“ sein kann, und schwupps wurde prompt ein Bild gefakt, dass Bohm auf einem Poster der Aktion „Deutschland krempelt die #Ärmelhoch für die Corona-Schutzimpfung“ zeigt. Bohm hatte bei diesen Testimonials überhaupt nicht mitgemacht.

An der Medienkompetenz der Impfkritiker muss noch gewaltig gearbeitet werden. Mittlerweile ist die Videotechnik auch so weit fortgeschritten, dass jeder Heimfaker über kurz oder lang mit falschen Clips aufwarten kann. Bald bleibt nur noch die forensische Diagnose, die mir zum Beispiel bei der Entlarvung der  eizsäckerprognosen geholfen hat: Aus der Offenbarung des Johannes kannte ich das Harmagedon. Diese Schreibweise war damals üblich. 1998 gab es dann den amerikanischen Spielfilm und der hieß „Armageddon”. Vielleicht hat CFvW schon 1981 visionär vorausgesehen, dass siebzehn Jahre später mal ein Film in der USA gedreht wird, und man das „H“ nicht mehr braucht? Beweis: Wer ein altes Fremdwortlexikon von vor 1998 hat, der findet Harmagedon, aber nicht Armageddon. Ein glücklicher Zufall oder bildungsbürgerlicher Dünkel?

Solche Art von Meldungen können nur einen Sinn haben: Man will die Impfkritiker (dann zu Recht) als Vollidioten diskreditieren, die auch den größten Mist glauben, wenn er nur oft genug wiederholt wird. Ein Patentrezept gegen Fakes habe ich nicht parat. Aber einen Spruch von Heinz Erhardt habe ich immer im Hinterkopf: „Man soll nicht alles glauben was man denkt!”

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