Horst D. Deckert

Eine bitter-süße Verschwörungstheorie über Bill Gates und das nahende Ende des Finanzsystems

Seit einiger Zeit dringen die Probleme im globalen Finanzsystem hin und wieder selbst zu den Durchschnittsbewohnern der noch wohlhabenden Welt durch. Das ist kein gutes Zeichen und wird nur noch davon übertroffen, dass in den etwas besser informierten Nischen eine seltsame Euphorie zu herrschen scheint, die nur noch als Fatalismus vor dem Unausweichlichen bezeichnet werden kann. Mit dieser Mentalität, die das Risiko a priori bei 100% ansetzt, ist es denn auch egal, was in welcher Weise gehandelt wird. Daraus entstanden ist eine Stimmung wie auf dem Höhepunkt einer guten Party, wenn das Verrückteste en vogue ist und alles möglich scheint, weil das Risikogefühl taub ist. Im finanzkapitalistischen Kasino unserer Tage geht es genau so zu. Nicht mehr Analysen und Ergebnisse treiben die Preise, viemehr sind es hochspekulative Vermutungen bar jeder Bodenhaftung, wie etwa die folgende über Bill Gates, dessen Scheidung und die GameStop Aktie.

 

MarketWatch: Das Ende der Ehe zwischen Bill und Melinda Gates ließ sich am Preis der GameStop Aktie ablesen

 

Die Ankündigung der Scheidung von Bill und Melinda Gates überraschte die ganze Welt. Die Ausnahme bildete das GME-Unterforum bei Reddit, wo einige Forenten einen fast zwei Monate alten Beitrag eines Nutzers namens Jobom3 ausgruben. Darin spekulierte er über die sich damals auf einem Höhepunkt befindliche GameStop Aktie, dass reiche Investoren und Milliardäre gegen den Kurs der Aktie wetteten, weil das ein Teil ihres Plans darstellte, sich auf ihre bevorstehenden Scheidungen vorzubereiten.

Vor dieser spekulativen Vermutung machte am 11. März gerade die Nachricht die Runde, dass über eine Million GameStop Aktien (Stückpreis damals über 200 Dollar) vorbörslich im Rahmen von Leerverkäufen verliehen wurden. Von den Forenmitgliedern bei Reddit, die gerade dabei waren, in ihrem Kampf gegen die Hedge Fonds die GameStop Aktie in die Höhe zu treiben, wurde dies als Zeichen gesehen, dass mächtige Investoren den Versuch unternahmen, den vielen kleinen Spekulanten bei Reddit, die sich gegen die Großen mit ihren manipulativen Geschäftspraktiken verschworen hatten, endlich den Rücken zu brechen.

Jobom3 verfasste seine Theorie über die wahren Hintergründe des Einstiegs des ganz großen Geldes unter einem Beitrag, in dem es um die Million Aktien ging, die gerade unter der Hand den Besitzer wechselten. Er schrieb dazu: „Ich denke, sie wollen sich damit nur Zeit kaufen, um ihr eigenes Vermögen in Sicherheit bringen zu können“, so sein Kommentar. „Sie schaffen ihr Vermögen gerade ins Ausland oder lassen sich von ihren Ehefrauen scheiden, damit sie das Geld unter deren Namen anlegen können. Etwas in die Richtung wird es sein. Zumindest würde ich es so machen.“

Direkt am 11. März erhielt der Kommentar von Jobom3 kaum Aufmerksamkeit. Das änderte sich jedoch schlagartig kurz nach Verkündung der Scheidung im Hause Gates. Zahlreiche Forenten beglückwünschten ihn zu seinem höchst spekulativen Volltreffer.

Im Fahrwasser der Euphorie über das Erkennen der vermeintlich wahren Hintergründe der Scheidung und auch dem (vorläufigen) Ende der GameStop Geschichte, schoss die Aktie prompt wieder nach oben. Grund dafür war, dass zahlreiche Forenten, die auch als Kleininvestoren agieren, der Theorie Glauben schenkten und sie in eine größere Verschwörungstheorie einbetteten.

Laut dieser müssen die Oberen Zehntausend GameStop unbedingt vom Abheben abhalten, da das ohnehin vor dem völligen Zusammenbruch stehende Finanzsystem ansonsten zu früh implodieren würde. Erst, wenn sie ihr Vermögen im Trockenen haben, kann über den Hebel eines zu hohen GameStop Preises der Markt zur Implosion freigegeben werden.

Hinzu kommen zahlreiche gierige Milliardärs-Ex-Frauen, vor denen das Vermögen geschützt werden muss, was am besten irgendwo im Ausland geht. Denn während normale Menschen hinter zwei nahe beieinanderliegenden Scheidungen unter den beiden reichsten Männern der Welt lediglich schnöden Zufall sehen, erkennen Spekulanten einen Trend, der sich fortpflanzen wird. Anders formuliert, die Wetten stehen darauf, dass sich in naher Zukunft sich weitere Milliardäre scheiden lassen werden.

 

Kurz vor dem Stromausfall auf der Titanic

 

Unsicherheit im Redditforum besteht nur noch darin, ob Gates bei der GameStop Aktie direkt „short“ gegangen ist, oder ob er indirekt über Hedgefonds in das Marktgeschehen eingegriffen hat. Fakt aber bleibt für sie, dass der Markt reif für eine Implosion ist, dass es die Leerverkäufe sein werden, welche die Implosion auslösen werden, und dass die Milliardäre ihre Finger im Spiel haben, weil sie Zeit gewinnen müssen.

Im Ergebnis ist daher letztlich egal, ob Gates direkt gegen die Kleinanleger antritt, ob noch weitere Milliardärsscheidungen folgen werden. Für die kleinen Spekulanten, von denen viele gar nicht mehr einen großen Profit machen wollen, sondern nur noch das von ihnen verhasste Finanzkasino abreißen wollen, steht das Finale fest. Sie wollen das System niederbrennen und sie sind sich absolut sicher, dass es so kommen wird.

Dennoch haben sie Spaß daran, auf der Titanic zum letzten Lied noch etwas zu tanzen. Einige wenige – vermutlich die ersten, die den Beitrag von Jobom3 wiederentdeckt haben – werden wohl auch etwas vom Preisanstieg von 5 Prozent infolge der Entdeckung des Beitrags profitiert haben. Für einen Ausstieg oder gar eine Scheidung wie bei Bill Gates wird es aber wohl keinem gereicht haben.

Übrig von der Geschichte bleibt, dass nicht nur getanzt wird auf der Titanic, sondern auch gelacht. Doch wehe, es lässt sich demnächst noch einer aus der Abteilung Obere Zehntausend scheiden. Dann könnte es regelrecht in ein Besäufnis ausarten. Für den Rest von uns bleibt der leider nur schwache Trost: Lange kann es nicht mehr dauern.

Quelle Titelbild

Ähnliche Nachrichten