Horst D. Deckert

Evolution

Mit einer Bewegung, so leicht wie ein Wimpernschlag, schlägt der Falter mit seinen blauen Flügeln und löst sich vom Blatt, das noch ganz kurz ein wenig zittert. Mit zwei bis drei Atemzügen haucht er sein Leben aus. Nur diese einzigartige Pracht der Flügel leuchtet noch für einen Augenblick in der Abendsonne, völlig unbemerkt. Dieses Blau, dieses unendlich klare und reine Blau ist nun für immer erloschen. Er ist der letzte seiner Art.

Es brauchte Zeit, sehr viel Zeit, bis diese Art von Blau bis zur Vollkommenheit sich entwickeln konnte, als kleiner Teil eines langen Prozesses der Schöpfung. Alle nur erdenklichen Arten von Pflanzen, Tieren nahmen daran teil. Die Sonne, die Erde, das Wasser, die Luft als Grundlage der Lebensenergie. Unerschöpflich, nie endend, ständig im Wandel.

Nicht nur ständig neue Lebensformen, sich den veränderten Lebensbedingungen anpassend, entstanden. Die Wesen entwickelten aus den einfachen Möglichkeiten ihres Organismus erweiterte Fähigkeiten der Reaktion auf ihre Umwelt. Eine Spezies fing an, ganz unbemerkt, nicht nur auf die Umwelt zu reagieren, sondern sie zu verändern.

Ihr Gehirn, und damit das Nervensystem wurde differenzierter, präziser. So konnten sie nicht nur einfach ihr Überleben in den vorgegebenen Bedingungen sichern, sondern die Bedingungen zu ihrem eigenen Vorteil verändern.

Das Leben auf der Erde nahm eine großartige Entwicklung. Dennoch hatte diese neue Spezies nie gelernt, dass sie nur ein Teil der Schöpfung ist, und diese nicht einfach nur zu ihrem Nutzen existiert. Alle Lebewesen, deren Nützlichkeit sie nicht erkannte, verschwanden.

Alles Leben außerhalb dieser Spezies starb. Am Ende hatte diese Spezies damit ihr eigenes Ende besiegelt.

Karen Traudt (82) ist Rentnerin und hat früher u.a. als Bürokauffrau gearbeitet.

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