Horst D. Deckert

Ex-Post-Triage: Statt auf Reform der Intensivpflege setzt Lauterbach auf „legalen Totschlag”

Neue Regeln fürs Beamtungs-Lotto auf den Intensivstationen (Foto:Imago)

Dass in der deutschen Politik spätestens seit Corona nahezu sämtliche ethischen Maßstäbe ins Wanken geraten, zeigt ein aktueller Gesetzentwirf des Bundesgesundheitsministeriums zur Behandlung von Intensivpatienten. Vergangenen Dezember hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber umgehend dafür Sorge tragen müsse, behinderte Menschen im Falle einer erforderlichen Triage nicht zu benachteiligen. Bislang ist nicht gesetzlich geregelt, wer vorrangig behandelt wird, wenn auf Intensivstationen weniger Plätze oder Geräte als erforderlich vorhanden sind. Nach der gegenwärtigen Praxis und Rechtslage obliegt es den Ärzten zu entscheiden, welche Patienten dann etwa ein Beatmungsgerät erhalten.

In einer grotesken Fehlinterpretation des Auftrags des Gerichts hat Karl Lauterbachs Ministerium nun einen Gesetzesvorschlag erarbeitet, der das Ansinnen dieses Urteils nachgerade auf den Kopf stellt: Bei intensivmedizinischer Ressourcenknappheit soll nämlich eine begonnene Behandlung zugunsten eines Patienten mit höherer Überlebenschance abgebrochen werden dürfen. Die Entscheidung über Leben und Tod soll, laut dem Entwurf, „von drei mehrjährigen intensivmedizinisch erfahrenen praktizierenden (…) Fachärzten mit der Zusatzausbildung Intensivmedizin einvernehmlich“ getroffen werden, nachdem sie „den Patienten (…) unabhängig voneinander begutachtet haben“.

Behandlungsabbruch nach Profiling-Maßstäben?

Außerdem sollen die Krankenhäuser verpflichtet werden, die Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufe „in einer Verfahrensanweisung festzulegen” und deren Einhaltung sicherzustellen. Und bei alledem, ganz wichtig natürlich im präventiven Empörungsdeutschland, dürfe niemand „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden.

Die offenbar auf Betreiben von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) aufgenommene Triage-Regelung wird damit begründet, dass „auch der Rechtssicherheit für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte [diene], die auch in dieser Akutsituation, in der Entscheidungen zwangsläufig getroffen werden müssen, nicht zusätzlich strafrechtlichen Unwägbarkeiten ausgesetzt sein sollen.“ Überdies hätte eine Beschränkung des Anwendungsbereichs allein auf Zuteilungsentscheidungen, die Patientinnen oder Patienten betreffen, die noch nicht behandelt werden („Ex-Ante-Triage”) die Gefahr des Entstehens einer Regelungslücke beinhaltet, so der „Tagesspiegel”. Um den Skandal perfekt zu machen, bezieht der Entwurf sich ausschließlich auf Juristen, die eine eindeutige Minderheitenmeinung vertreten, während die Mehrheit der Strafrechtler, die eine sogenannte Ex-Post-Triage als Totschlag werten, gänzlich ignoriert wird. Unter anderem nach dieser Rechtsauffassung jedoch galt es bislang als Tabu, die Therapie eines bereits behandelten Patienten abzubrechen.

Gravierende ethische Mängel

Rechtsanwalt Oliver Tolmein, der die Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten hatte, äußerte sich denn auch entsetzt über die Gesetzesvorlage: Diese sei eine „Karikatur des Schutzes vor Benachteiligung”, um den es in der Verfassungsbeschwerde eigentlich ja gegangen sei. Die Regelung der „Ex-Post-Triage” verdeutliche die gravierenden ethischen Mängel der neuen Vorlage. Rechts- und Verfahrensschutz seien erst gar nicht geregelt worden. Das tut dem eifrigen legislativen Verfahrensfortschritt allerdings keinen Abbruch: Laut Bundesgesundheitsministerium befindet sic der Entwurf derzeit in der Ressortabstimmung und soll dann von den Ampelfraktionen als Gesetz in den Bundestag eingebracht werden.

Wenn dies nicht verhindert oder zumindest im Bundestag abgelehnt wird, schafft die Bundesregierung damit tatsächlich erstmals ein Gesetz dass es Ärzten erlauben würde, einem bereits beatmeten Patienten das Gerät wegzunehmen – und damit ein Verhalten zu legalisieren, das bislang strafrechtlich als Totschlag gilt. Dabei wäre es doch, als Lehre aus der Corona-Zeit, gerade die Aufgabe der Politik, die Engpässe in der intensivmedizinischen Infrastruktur zu beseitigen – und zwar sowohl was Pflegekräfte als auch Kapazitäten betrifft. Lauterbach wäre hier in erster Linie gefragt – doch stattdessen scheint es so, als täte er auch hier alles, die Krise zu kultivieren, prekäre Situationen zu verschärfen und so möglichst drastische, katastrophale Dilemmata erst herbeizuführen, mit denen er dann künftige Notstände im Gesundheitswesen und damit einhergehende Maßnahmen rechtfertigen kann.

 

AKTUALISIERUNG: Mittlerweile (Stand 9. Mai, 18.20 Uhr) wurde von Lauterbachs Ministerium mitgeteilt, die Ex-Post-Triage solle nun doch nicht erlaubt werden.

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