Horst D. Deckert

Felix Mendelssohn Bartholdy: Skizze zum 213. Geburtstag

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) (Foto:Imago/agefotostock)

Felix Mendelssohn Bartholdy wurde am 3. Februar 1809 in Hamburg geboren und wuchs in einer Bankiersfamilie auf. Sein Großvater war der jüdische Aufklärungsphilosoph Moses Mendelssohn. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester Fanny und weiteren Geschwistern wurde der junge Felix nach der durch die napoleonische Besetzung erzwungenen Übersiedlung zu Verwandten nach Berlin dort ab 1811 sorgfältig erzogen. Die mozarthaften Wunderkinder erregten bald Aufsehen. 1816 ließen die Eltern sie evangelisch taufen. Reformatorisches Bekenntnis hat Mendelssohns tiefe Frömmigkeit zeit seines Lebens geprägt, bis zu seinem frühen Tod mit achtunddreißig Jahren in Leipzig am 4. November 1847.

Abraham Mendelssohn hatte das nötige Kleingeld, seinen begabten Kindern viele Bildungs- und Konzertreisen durch halb Europa zu ermöglichen: in die Schweiz, nach Frankreich und Italien sowie nach England und Schottland. Felix Mendelssohn hat auch als Erwachsener auf den britischen Inseln seine größten künstlerischen Triumphe vor einer riesigen dankbaren Zuhörerschaft gefeiert. Die Reiseeindrücke flossen in Bühnenmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum (darin unter vielen anderen Hits der weltberühmte Hochzeitsmarsch), die Hebriden-Ouvertüre oder die Schottische Sinfonie ein.

Die eigene musikaliensammelnde Verwandtschaft und der Leiter der Berliner Singakademie, Carl Friedrich Zelter, machten Mendelssohn mit Bachs Matthäuspassion bekannt. Auch sonst ist allenthalben schon beim ganz jungen Komponisten eine intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel zu erkennen. Seine Wiederaufführung der „großen Passion” des alten Thomaskantors im Jahre 1829 ist ein Meilenstein der musikalischen Wirkungsgeschichte. Mendelssohn hat damit, als gerade Zwanzigjähriger, etwas mehr als hundert Jahre, nachdem dieses Hauptwerk abendländischer Passionsmusik 1727 erstmals erklungen war, die öffentliche umfassende Bach-Renaissance eingeleitet; sie dauert an bis in unsere Tage.

Vater der Bach-Renaissance

Mendelssohn hat sich zeit seines kurzen glanzvollen Lebens stets für Kollegen seiner Zunft eingesetzt, indem er ihre Werke aufführte, nachempfand oder anderweitig bekanntmachte: Dazu zählten Hector Berlioz, Franz Liszt, Robert Schumann und auch Richard Wagner. Vergleichen wir etwa dessen Holländer-Ouvertüre mit der Einleitung zum Oratorium Elias, so merken wir, wie nahe sich der Leipziger Gewandhauskonzertdirektor und sein neidischer musikdramatischer Nachbar in Dresden manchmal waren.

Ganz bewusst komponierte Mendelssohn ein ausgesprochen musikhistorisches Moment in seine Werke ein. So klingt im Oratorium Paulus Bachs Johannespassion nach. Der erste Satz seiner „Italienischen” atmet Mozarts lichten Geist. Im Lobgesang, gezählt als zweite Symphonie, treten Chor und Vokalsolisten hinzu, ganz nach dem Vorbild von Beethovens Neunter.

Eigene unverwechselbare Zeichen hat Mendelssohn in der Klavier- und Orgelmusik gesetzt: Die „Lieder ohne Worte” sind quasi seine Erfindung. Und die sechs Orgelsonaten markieren den Beginn einer romantischen Tradition, die vor allem im französischen Sprachraum bei César Franck, Charles-Marie Widor oder Louis Vierne zu hoher Blüte gelangte.

Schaffensreichtum dank gediegener Allgemeinbildung

Es gibt so gut wie keine musikalische Gattung, die von Mendelssohn unbeachtet blieb. Er ist einer der letzten Komponisten, die ganz universell dachten und schufen, in der Kirchenmusik wie im Opernfach, in Liedern wie in Solokonzerten, in Motetten, Kantaten, Oratorien, Chören (z.B. O Täler weit, o Höhen oder Denn er hat seinen Engeln befohlen) Sinfonien, Schauspielmusiken, Streichquartetten und sonstigen kammermusikalischen Werken.

Die Fülle seines Schaffens erwuchs, ähnlich wie bei Mozart, aus einer gediegenen Allgemeinbildung, die vor allem einen entschiedenen Sinn für die jeweilige Form ausbildete. Was Kritiker meinten, als allzu „glatt“ bemängeln zu müssen, war tatsächlich immer neu hart erarbeitet. Mendelssohn strich, verwarf und korrigierte stets bis zur Drucklegung seiner Kompositionen – und oft noch darüber hinaus, sehr zum Leidwesen der Verleger. Hierin ähnelte er seinem Kollegen Frédéric Chopin: Nie war er zufrieden.

Felix Mendelssohn, glücklich verheiratet mit der Tochter eines Hugenottenpredigers aus Frankfurt am Main und Vater vieler Kinder, galt zu Lebzeiten und noch viele Jahrzehnte danach als ein geniales Glückskind, das den öffentlichen Musikbetrieb im biedermeierlichen Deutschland schöpferisch und organisatorisch ungemein bereichert hatte. Kein Männerchor im wilhelminischen Zeitalter, der nicht seine Lieder sang; kein Bachverein, der nicht seine kirchenmusikalischen Werke aufführen wollte; kein Konzertpublikum, das nicht nach seinen Ouvertüren und Sinfonien verlangte.

Opfer des Judenhasses

Dass er kein Titan wie Beethoven, kein Grübler wie Brahms, kein Neutöner wie Liszt war – geschenkt. Verhängnisvoll sollte sich im Fortgang seiner Rezeptionsgeschichte allein der Umstand erweisen, dass er aus einer jüdischen Familie stammte. Die Nazis kannten ja selbst dann keine Gnade, wenn die von ihnen Geächteten längst zum Christentum konvertiert waren – weil bei ihnen überhaupt gar kein Glaube zählte, sondern bloß dumpf das Blut. Das Mendelssohn-Fenster in der Leipziger Thomaskirche verarbeitet diese böse Fama sehr eindrücklich.

So wurde das beliebte e-Moll-Violinkonzert aus dem öffentlichen Musikbetrieb verdrängt, indem man Robert Schumanns d-Moll-Violinkonzert zu etablieren suchte: 1937 wurde dieses Stück, das im 19. Jahrhundert niemand aufführen wollte, erstmals dem Publikum dargeboten. Die Perfidie, noch post mortem Keile zu treiben zwischen Kollegen, die sich im wirklichen Leben geschätzt und unterstützt hatten, ist vielleicht nur ein kleiner Aspekt in dem sich damals schon manifestierenden Grauen der 1940er Jahre – aber eben einer unter unzähligen Schritten, die den aufrichtigen Geist einer zwar unpolitisch-vormärzlichen, aber in sich selbst zutiefst humanen Kultur niedergetrampelt und zertreten haben.

Mendelssohn hat es auch im Nachkriegsdeutschland schwer gehabt. Man traute dem stilistischen Alleskönner nicht recht über den Weg. Wer jedoch die feinsinnige Klangwelt mit durchaus aufbegehrenden Momenten etwa in der Walpurgisnacht oder im c-Moll-„Sinfoniesatz” zusammenhört, wird nicht umhinkönnen, in ihm einen europäischen Weltbürger zu entdecken, der die heutzutage so gern vollmundig betonte „Vielfalt“ nicht als propagandistisch aufgemotztes Neusprech übergriffig missbraucht, sondern leise und unausdrücklich, schlicht und einfach, gebildet und kunstreich: wirklich gelebt hat.

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