Horst D. Deckert

Fessle mich, Freiheit macht mir Angst!

Die leibgewonnene Sklaverei (Symbolbild:Imago)

Stell dir vor, es ist Totalitarismus – und alle gehen hin! In vielen Lebensbereichen frage ich mich mittlerweile, ob wir alle einem großangelegten Idiotentest unterzogen werden und in einem Labor ein Versuchsleiter verzweifelt darauf wartet, dass die Menschen ihm einen Vogel zeigen, damit er das aus dem Ruder gelaufene Experiment endlich abbrechen kann. Designermode, die aussieht, als wäre ein Altkleidercontainer durch die darin angesammelten menschlichen Düfte impliziert – und die Fachwelt jubelt. Aber immerhin wird niemand gezwungen, das Zeug zu kaufen, und das ist schon viel wert heutzutage.

Schlimmer sind allemal verwöhnte junge Damen wie Luisa Neubauer, die mit viel Haltung und wenig fundiertem Wissen die deutsche Politik vor sich hertreiben, als hätte das Volk sie per Akklamation in die Rolle von Königinnen gehievt. Aber auch in diesem Fall ist es im Alltag noch ohne größere Blessuren möglich, sich dem Getöse zu entziehen – nur an der Tankstelle nicht, wo man mit jedem Liter CO2-Ablass entrichten muss. Richtig unerträglich wird es erst, wenn Nachbarn und Mitbürger – also das Heer der „Normalen“ – ihre gesamte Energie in die Rolle des Wächters des Corona-Grals stecken. So wie im Falle dieses besorgten jungen Herrn, der moniert, in Deutschland würde in Restaurants zu wenig kontrolliert:

(Screenshot:Twitter)

Nun gibt es tatsächlich Restaurant-Kontrollen, die Sinn ergeben: Niemand möchte sein Essen aus einer Küche bestellen, in der eine Mariachi-Band aus Kakerlaken den Salmonellen „La Cucaracha“ vorspielt und Ratten dazu Samba tanzen. Aber unser besorgter Restaurantbesucher würde dies vielleicht sogar als folkloristische Zulage akzeptieren, wenn der Wirt nur seine Gäste ordnungsgemäß auf ihren Impfstatus kontrollieren lässt.

Früher wäre man in Deutschland stolz darauf gewesen, Regeln etwas liberaler zu handhaben als im stets revolutionsaffinen Frankreich. Es hätte einen sogar mit ein bisschen patriotischem Stolz erfüllt: „Hey, schau mal, wir Deutschen sind gar nicht so obrigkeitshörig, wie uns immer nachgesagt wird!“ – aber gerade die jüngere Generation nimmt diese reaktionären Eigenschaften im Zuge von Corona gerade wieder an. Es geht dabei nicht um Schadensabwendung von der Gemeinschaft – auch wenn das als Grund vorgeschoben wird -, sondern um den Eifer, sich irgendeiner Autorität als Verbündeter, Gehilfe und notfalls auch Vollstrecker anzudienen.

Jeder hat schon einmal einen solchen Kollegen gehabt, der im Falle eines Brandes im Büro – auch im übertragenen Sinne – erst auf die Erlaubnis des Vorgesetzten zum Löschen gewartet hätte. Jeder, der nur einen Hauch von Eigeninitiative zeigt, darf sich die Zurechtweisung anhören: „Das dürfen wir nicht!„, auch wenn dringend eine Entscheidung getroffen werden muss, um akuten Schaden abzuwenden. Man ist dann oft zu verblüfft über diese Kindergarten-Mentalität, um nachzuforschen, wer diesem Kontrolleur eigentlich die Kompetenz erteilt hat, zu kontrollieren.

Die Dosis macht das Gift

Es ist natürlich bequem, jede Eigenverantwortung nach oben weiterzureichen; zumindest schafft es ein trügerisches Gefühl von Sicherheit. Kant und Arendt appellierten nicht ohne Grund an die ethische Entscheidungsfreiheit des Menschen, der im Grunde erst erwachsen wird, wenn er lernt, sinnfreie oder gar auf Grausamkeit ausgelegte Regeln zu brechen. Denn wie immer macht die Dosis das Gift. Es gibt Millionen von Regeln, die unser Leben tatsächlich sicherer und besser machen, aber ab und an ist der Gesetzgeber auch über das Ziel hinausgeschossen – was sich gerade im Falle von Corona deutlich zeigt: Manche Maßnahme dient nur noch der sinnfreien Gängelung.

Ich könnte deshalb jedes Mal vor Zorn im Dreieck springen, wenn wieder einmal jemand den Vergleich zwischen Gurt- und Impfpflicht bemüht (noch vor ein paar Monaten wurde er für die Maskenpflicht strapaziert). Wäre Corona nur halb so gefährlich, wie täglich suggeriert wird, dann würden uns weder Masken- noch Impfpflicht in einem Restaurant schützen – denn bis beides streng nach Vorschrift kontrolliert wäre, hätte man sich längst angesteckt. Wenn draußen Ebola oder die Pocken wüteten, käme man wahrscheinlich noch nicht einmal auf die Idee, überhaupt in ein Restaurant zu gehen.

Wer trotz der empirischen Daten, die der Alltag ihm mitgibt, ebendort zum Kontrollfreak mutiert, sollte sich ernsthaft fragen, ob er Angst vor zu viel Freiheit hat – die im Ernstfall natürlich auch einmal bedeuten kann, eine falsche Entscheidung mit womöglich schwerwiegenden Folgen zu treffen. Die jüngere Generation will zwar um jeden Preis den Planeten retten – aber erledigen soll es jemand anderes. Man möchte nur dabeistehen und schauen, ob alles korrekt abläuft. Die Macht kosten, ohne den Preis dafür zu zahlen, der bedeutet, den Kopf für eine Handlung hinzuhalten: Aus diesem Holz sind Mitläufer gestrickt.  Und vor denen muss man mehr Angst haben als vor manchem Virus.

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