Horst D. Deckert

Flüchtlinge oder Fahnenflüchtige? Selenskyj fordert Auslieferung aller Deserteure

Desertion von Wehrpflichtigen wurde von Deutschland bereits im Syrien-Konflikt großzügig als Fluchtgrund anerkannt. Auch russische Fahnenflüchtige sind dem Werte-Westen hochwillkommen. Nun jedoch ruft Präsident Selenskyj seine EU-Partner auf, Deserteure an die Ukraine auszuliefern…

Die Korruption hat die Ukraine nach wie fest im Griff: Am Sonntag entließ Präsident Wolodymyr Selenskyj, inmitten einer seit Wochen anhaltenden Offensive, seinen Verteidigungsminister Oleksii Resnikow, weil dessen Ministerium zum wiederholten Mal überteuerte Uniformen beschafft haben soll.

Ukrainische Korruption immer schlimmer

Resnikow soll nun als Botschafter des hochkorrupten Staates nach Großbritannien „abgeschoben” werden. Ob sein designierter Nachfolger Rustem Umerow, derzeit Leiter des Staatlichen Vermögensfonds der Ukraine, eine vertrauenswürdigere Wahl ist, bleibt abzuwarten.

Auch sonst verschont die im Land allgegenwärtige Korruption das Militär nicht: Selenskyj kündigte an, härter gegen Wehrpflichtige vorgehen zu wollen, die sich vor dem Dienst in der Armee drücken. Dort gibt es derzeit rund 250.000 Soldaten; über die Zahl der Gefallenen wird Stillschweigen bewahrt.

Massenhaft „freigekaufte“ Wehrpflichtige

Selenskyj will nun sämtliche seit Kriegsbeginn vorgenommenen Ausmusterungen wegen Dienstuntauglichkeit überprüfen lassen, bei denen es einen Verdacht auf Schmiergeldzahlungen gebe. Für die Befreiung vom Wehrdienst seien 3000 bis 15.000 US-Dollar (bis zu 13 700 Euro) gezahlt worden, erklärte Selenskyj in einer Videoansprache. Es gebe Regionen, „in denen sich die Zahl der Wehrdienstbefreiungen aufgrund von Entscheidungen der Ärztekommission seit Februar vergangenen Jahres verzehnfacht hat“, kritisierte er.

Erst letzten Monat hatte er alle Leiter der für die militärische Rekrutierung zuständigen Regionalbüros entlassen. David Arahamia, der Fraktionschef von Selenskyjs Partei, sprach sogar von der Auslieferung von Fahnenflüchtigen aus dem Ausland. Damit könne die durch Verluste aus 18 Monaten Krieg geschwächte Armee massiv verstärkt werden, so Arahamia.

Misst Deutschland mit denselben Maßstäben?

Sollte es tatsächlich so weit kommen, würde wieder einmal ganz besonders Deutschland ins Visier geraten. Man darf nämlich gespannt sein, ob hier nach Selenskyjs Appell weiter mit denselben Maßstäben gemessen wird, mit denen etwa russische und syrische Deserteure stets vorbehaltlos einen Schutzstatus erhalten hatten.

Im Februar befanden sich 163.287 männliche, wehrfähige Ukrainer im Land – also mehr als die Hälfte der gesamten derzeitigen Mannschaftstärke der Armee. Wenn dabei herauskäme, dass ein beträchtlicher Teil davon sich durch Schmiergelder vor dem Dienst an der Waffe gedrückt hat, würde dies wohl auch auf die ukrainische Elite zurückfallen.

Oligarchensöhne profitieren

Die Söhne von Oligarchen und hochrangigen Politkern stünden plötzlich als Vaterlandsverräter da, die die Kinder normaler Ukrainer gnadenlos verheizen, während es sich ihr Nachwuchs im Ausland gut gehen lässt.

Darunter fiele möglicherweise auch der Sohn des ehemaligen ukrainischen Skandalbotschafters Andrij Melnyk, der in Berlin studiert. Auch die deutsche Politik käme dadurch in erhebliche Verlegenheit. Vor einem knappen Jahr kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser großspurig an, dass russische Deserteure in Deutschland Asyl beantragen könnten.

Folgt nun umstandslose Auslieferung?

Auch Nachrichten über die angebliche Massenflucht russischer Wehrpflichtiger ins Ausland machten die Runde. Dies wurde als Zeichen für die schwindende Kampfmoral in Russland gedeutet. Das Verwaltungsgericht Trier entschied 2021, dass Deserteure aus Syrien Flüchtlingsstatus beanspruche können, wenn auch nicht Wehrdienstverweigerer, da diesen seltener und weniger schwere Repressalien drohen würden.  

Man darf gespannt sein, wie die Ampel-Regierung sich zu der Tatsache stellt, dass Abertausende von Ukrainern ebenfalls wenig Lust verspüren, in diesem Krieg zu kämpfen und ob sie bereit ist, sie umstandslos an die Ukraine auszuliefern.

Zum Autor: Daniel Matissek ist Journalist mit pfälzischen Wurzeln, arbeitet neben für AUF1 auch für diverse deutschsprachige freie Medien (unter anderem „Journalistenwatch.com“). Gründungsherausgeber des Blogs „Ansage.org“. Schwerpunktthemen: Migrationspolitik, politischer Extremismus, Demokratie und Medienlandschaft. Freund differenzierter Zwischentöne, aber gerne auch leidenschaftlicher Polemiker. Devise: „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos; es könnte aber auch umgekehrt sein.“

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