Horst D. Deckert

Frankreichs Regierung will ein „Scheißleben für Ungeimpfte“ und bringt das Volk zum Kochen

Im politisch traditionell heißblütigen Frankreich brennt die Luft, nachdem die Regierung dazu überging, all jene renitenten in der Bevölkerung mit staatlichen Schikanen zu belegen, die sich weiterhin einer Coronaimpfung verweigern. Macron und seine Vertreter sagen das sogar explizit und sehen sich aufgrund der größeren Gefahr durch Corona moralisch im Recht. Mit jeder Maßnahme reißen sie dadurch die nächste Brücke ein, die zu einem Kompromiss führen könnte, während sich auch die Gegenseite immer stärker sammelt und die Kriegserklärung annimmt, die sie von Macron bekommen zu haben glauben. Es sieht ganz danach aus, als könnte er am Ende tatsächlich von einer waschechten Revolution weggefegt werden.

The Spectator: Die Franzosen rebellieren gegen Macrons Covid-Pässe

Am Sonntag kam es laut Berichten zu einem Übergriff auf den Leiter eines französischen Vergnügungsparks, nachdem er einem Kunden den Zutritt verweigert hatte. Der Mann soll seinen Impfpass verloren haben, so dass er zurückgewiesen wurde, weil er keinen gültiges Zertifikat für seine Coronaimpfung bei sich trug. Es ist unwahrscheinlich, dass sich derartige Vorfälle künftig nicht wiederholen werden.

Innerhalb von vierzehn Tagen hat sich die Atmosphäre in Frankreich massiv vergiftet. Ein Krankenhaus in Saint-Etienne wurde am Montag von 60 Demonstranten gestürmt, bei denen es sich hauptsächlich um ärztliches Personal handelte. Sie wollten sich mit der Aktion gegen den Impfzwang in ihrem Berufsfeld wehren, da ihnen bei einer Verweigerung der Impfung das Zurückhalten der Lohnauszahlung droht. Morgen wird auch ein Krankenhaus in Lyon in den Streik treten.

Andernorts gab es laute Protestaktionen gegen Kinos, Freizeitparks und Fitnessstudios, die als „Kollaborateure“ bezeichnet werden, weil sie sich der Regierungsanordnung für verpflichtende Impfpässe beteiligen. Zur Freude der Demonstranten sind die Besuchszahlen all jenen Geschäften stark abgesackt, die sich dem Zwang zum Vorzeigen eines Impfpasses gebeugt haben, nachdem es zu Boykottaufrufen gegen sie kam. Die wirtschaftlichen Folgen für die Beschäftigten in der Unterhaltungsbranche und im Gastgewerbe sind verheerend, doch sie sind den Impfpassgegnern egal. Gebt nicht uns die Schuld, sagen sie, sondern der Regierung.

Kollaborierende Promis & Medien als Feindbild

Auch Politiker und Prominente werden von den Protestierern ins Visier genommen, darunter der Komiker Jean-Marie Bigard, der seit Jahren ein umstrittenes Image pflegt. Er versprach seinen Fans, dass er niemals an Orten auftreten würde, die den Impfpass als Eintrittsbedingung verlangen. Letzte Woche aber änderte er seine Meinung darüber. Bigard bekam daraufhin sofort das Etikett des „Verräters“ aufgedrückt. Schließlich musste sein Auftritt an der Cote-d’Azur abgesagt werden, weil es die Befürchtung gab, der Veranstaltungsort könnte von feindseligen Fans belagert werden.

Das meiste des wachsenden Zorns durch die Massen jedoch bekommen die Medien zu spüren. Journalisten von zwei verschiedenen Sendern wurden bislang angegriffen, weil sie sich als „Kollabos“ gerierten, darunter ein Ehepaar von France Television, das am Samstag in Marseille vor einem wütenden Mob flüchten musste. Viele Demonstranten lassen ihre Hemmungen fallen, weil sie die Medien nur noch als Sprachrohre der Regierung erachten, die selbst keinen Hehl aus ihrer Verachtung für Gegner der Impfkampagne oder der Alltagsbeschränkungen macht.

Regierung beabsichtigt ein „Scheißleben für Ungeimpfte“

Regierungssprecher Gabriel Attal bezeichnete die Demonstranten als „mürrisch und defätistisch… selbstzufrieden verharrend in Untätigkeit und Chaos“, nachdem in der letzten Woche ein Regierungsberater hämisch als Zweck als der Impfpässe verkündete, die Ungeimpften zu einem „Scheißleben“ zu zwingen.

Dabei sah es in den Tagen nach dem 12. Juli, als Macron seine Pläne für einen Impfpass öffentlich machte informierte, noch ganz danach aus, als würde sich seine harte Haltung in der Sache im Volk durchsetzen. Am 19. Juli wurde an nur einem Tag die Rekordzahl von 900.000 Menschen geimpft, Macron sah sich auf der Siegerstraße und ermutigte andere EU-Staatschefs, seinem Beispiel zu folgen.

Das Blatt jedoch hat sich fundamental gewendet. Der Präsident und seine Regierung zeigen sich zunehmend beunruhigt über das Ausmaß des Widerstands gegen den Impfpass. An den 168 Demonstrationen am vergangenen Samstag nahmen insgesamt rund 170.000 Menschen teil – eine beeindruckende Zahl, wenn man bedenkt, dass Franzosen im Juli traditionell nie auf die Straße gehen. Sehr selten nur gab es historische Ausnahmen davon einige Ausnahmen. Eine davon war der Juli des Jahres 1789.

[Hinzu kommt, dass aktuell jeder zweite Franzose geimpft ist; abzüglich von Kindern zog es damit in etwa jeden Hundertsten unter den Ungeimpften auf die Straßen]

Der Widerstand erstreckt sich über ideologische Gräben

Ich selbst nahm als Beobachter an der größten der Demonstrationen teil, die mit tausenden Teilnehmern im Zentrum von Paris abgehalten wurde. Organisiert wurde sie von der Partei „Die Patrioten“ zu der auch der ehemalige FN Abgeordnete Florian Philippot gehört, der im kommenden Jahr bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren will.

Der französische Umgang mit der Coronapandemie hat der politischen Karriere von Philippot unzweifelhaft gut getan. Am Samstag war er bei seiner Rede voll in seinem Element, wobei die versammelte Menschenmenge aus einer beträchtlichen Anzahl Angehöriger ethnischer Minderheiten bestand. Es lässt vermuten, dass viele der Zuhörer ideologisch wenig mit Philippot gemein hatten und sie in erster Linie wegen des Zwangs zur Impfung und dem Nachweis per Impfpass an der Demonstration teilnahmen.

Franzosen sehen sich im Krieg gegen das Regime

Philippots Rede handelte vom „Widerstand“ und er erinnerte seine Zuhörer an die Worte von Charles de Gaulle, der einst sagte: „Herausforderungen ziehen stets Männer mit Charakter an, denn wer sie annimmt, der findet darin seine Erfüllung“. Die Kriegsanalogie ist für Philippot genauso wie für seine Anhänger der Vergleich der Stunde. Heute, 80 Jahre nach dem Vichy-Regime ist es Macrons Impfstoff-Regime, dem die Franzosen Widerstand leisten müssen.

Den lautesten Beifall erhielt Philippot bei seiner Rede, als er auf die Kriegserklärung von Präsident Macron gegen Corona im März 2020 anspielte. „Macron meinte damals, er stehe im Krieg“, donnerte Philippot. „Gerne. Macron wird seinen Krieg bekommen“. Die Menge liebte diese Kampfansage. Sie hoben ihre geballten Fäuste und die zahlreichen französischen Fahnen wurden geschwenkt, von denen einige das Lothringer Kreuz trugen als der Kriegsflagge des Freien Frankreich.

Während der Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg hingen überall im Land Plakate mit der Aufschrift: „Etes-Vous en Regle?“ Damit wurden die Franzosen daran erinnert, stets ihre Ausweisdokumente bei sich zu tragen, damit sie jederzeit von den eifrigen Vichy-Apparatschiks kontrolliert werden konnten. Genau das, so Philippot, würde Macron heute mit Frankreich wiederholen, er verwandelt es in ein Land der Unterdrückung und Tyrannei, ein Land des „Zeig mir deine Papiere oder sonst…“.

Harte Fronten ohne Raum für Kompromisse

Präsident Macron selbst kommentiert diese Fundamentalkritik damit, dass die Anführer der Protestbewegung die Menschen mit ihrem Gerede von „Freiheit“ und „Widerstand“ zynisch manipulieren würden. „Was ist Ihre Freiheit wert“, sagte Macron öffentlich bei einem Besuch in Französisch-Polynesien über das Wochenende, „wenn Sie mir am einen Tag entgegenbringen: ‚Ich will nicht geimpft werden‘, nur um dann am nächsten Ihren Vater, Ihre Mutter oder mich anstecken?“

Das Land erlebt eine Spaltung, die so extrem ist, dass sie kaum noch Raum für eine Steigerung lässt. Millionen von Franzosen teilen die Ansicht ihres Präsidenten, gleichzeitig aber verweigern sich ihm auch Millionen; die Protestbewegung gegen Zwangsimpfungen und Impfpässe wird von schätzungsweise 35% der Bevölkerung getragen.

Die Spaltung ist genauso ideologisch wie sie entlang physischer Grenzen verläuft. Beide Seiten glauben von sich, auf der moralischen Seite zu stehen, keine davon scheint derzeit zu Kompromissen bereit zu sein. Je mehr der Widerstand wächst, desto mehr könnte Macron seine martialische Rhetorik zu Beginn der Coronakrise noch bedauern. Sie wurde gegen ihn gewendet und nun er ist in einen Kampf verwickelt, der sich immer mehr zum entscheidenden Thema für den Ausgang der Wahlen im nächsten Jahr entwickelt.

Quelle Titelbild

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