Jetzt sollen also westliche Kampfpanzer die Wende bringen – 31 Abrams aus den USA, 14 Challenger aus Grossbritannien, 14 Leoparden aus Deutschland und einige mehr aus anderen Ländern, vielleicht 100, vielleicht 300, aber die Lieferung ist noch unsicher.
Betrachten wir diese neuste Wunderwaffe – nach den Javelins, den M777 Haubitzen und den HIMARS Raketenwerfern – zunächst rein quantitativ. Die rund 100 neuen westlichen Geräte machen 2,6 Prozent des ukrainischen Bestandes an Kampfpanzern zu Beginn der russischen Invasion aus. 2600 Stück waren es damals (Army Technology), von denen eine unbekannte Zahl zerstört wurden. 2,6 Prozent zusätzliche Feuerkraft aus Kampfpanzern – das kann nicht die Wende sein.
Noch drastischer ist der Vergleich mit den 12’400 Kampfpanzern, über die Russland Ende 2021 verfügte. Selbst wenn die Zahl der zerstörten und eroberten Panzer von 1661 (Oryx) stimmt, bleiben Russland immer noch 10’800 Stück, hundertacht mal mehr als die westliche Lieferung.
Gibt es wenigstens qualitative Vorteile? Die westlichen Geräte sind doch wesentlich besser als ihre russischen Gegenstücke – wenngleich die neusten russischen Entwicklungen in der Ukraine offenbar noch gar nicht eingesetzt wurden. Colonel Douglas Macgregor, eine der wichtigsten kritischen Stimmen aus den USA, begründet die amerikanische Zurückhaltung betreffend der Lieferung der Abrams mit der Sorge, der Panzer würde auf dem Schlachtfeld zu einer Blamage führen. Aber: Die Meinungen gehen auseinander.
Keine Meinungsverschiedenheiten gibt es jedoch bei der Ausbildung. 22 Wochen, fast ein halbes Jahr, dauert die Ausbildung der Besatzung eines Abrams, schreibt die US-Army selber, gemäss einer lesenswerten Analyse des Ex-US-Marinesoldaten Brian Berletic. («US to Send Abrams Tanks to Ukraine: Will it make any Difference?»).
Einen qualitativen Unterschied machen können die westlichen Panzer also erst im Sommer, falls sie denn sofort geliefert würden.
Werden die westlichen Panzer das Kampfgebiet tatsächlich erreichen? Die Logistik ist ein Kerngebiet jeder militärischen Operation. Von der polnischen Grenze ins Kampfgebiet sind es mehr als tausend Kilometer. Sie können nur nachts und auf einem stark beschädigten Schienennetz zurückgelegt werden. Reparatur der Geräte – absolut essenziell – ist nur in Polen möglich. Oberstlt. i Gst. a.D. Ralph Bosshard beschreibt die fast unüberwindlichen logistischen Hindernisse in einer lesenswerten Analyse «Leopard-Panzer an der Grenze der Geografie».
Bringen die westlichen Panzer wenigstens einen taktischen Vorteil? Ein einzelner Panzer ist nichts. In ein Kampfgeschehen eingreifen können sie nur als Gruppe, geführt von einem höchst komplexen elektronischen Steuersystem, in das die Panzer aus verschiedenen Ländern aber nicht passen. Ob die ukrainische Motivation diesen taktischen Nachteil wettmachen kann, wird sich weisen.
Auf operationeller Ebene sind Panzer für Offensiven gedacht. Aber kann die Ukraine überhaupt eine Offensive lancieren? Sie hat soeben in Bakhmut extrem hohe Verluste erlitten und wird die strategisch wichtige Stadt demnächst verlieren.
Zudem sind Panzer in einer Offensive nur sinnvoll, wenn sie durch Kampfflugzeuge, Artillerie und Infanterie unterstützt werden. Nur: Die ukrainische Luftwaffe ist praktisch inexistent und bei der Artillerie verfügt die Ukraine nur über ein Zehntel der Feuerkraft von Russland.
Aus dieser geschwächten Position heraus eine Offensive zu lancieren, ist ein Akt der Verzweiflung. Der Westen weiss das; deshalb hat er mit den Panzern auch so lange gezögert. Es ist nur konsequent, wenn die Ukraine jetzt auch Kampfflugzeuge fordert (die ihre Piloten gar nicht fliegen können).
Strategisch ist die Lieferung ein kolossaler Fehler. Das zentrale Element jeder militärischen Strategie ist die Täuschung: schwach zu erscheinen, wenn man stark ist und Stärke vorzuspielen, wenn man schwach ist. Der Westen macht das Gegenteil. Seine Muskeln sind derart dünn, dass nur das westliche Publikum darauf hereinfällt, ganz sicher nicht die Strategen in Moskau.
Mit dem Entscheid macht der Westen die drohende Niederlage der Ukraine zu seiner eigenen. Gleichzeitig schiebt er die unvermeidlichen Verhandlungen noch weiter in die Zukunft und schwächt seine Position so weit, dass sie einer Kapitulation gleichkommen wird.
Der Westen scheint von allen strategischen Geistern verlassen. Warum? Vielleicht hat wieder einmal die Politik über das Militär gesiegt. Immerhin erklärte der ranghöchste US-Militär Mark Milley bereits im November, die Ukraine werde kaum in der Lage sein, von Russland annektierte Gebiete dieses Jahr zurückzuerobern.
Im Klartext: Eine grössere Offensive ist unmöglich. Im Neusprech von Reuters heisst das dann, ein baldiger Sieg der Ukraine sei nicht wahrscheinlich. («Top U.S. general plays down probability of near-term Ukraine military victory»)
Warum begeht der Westen bewusst einen Fehler? Auf diese Frage gibt es eine naheliegende Antwort und eine bedrohliche, die vermutlich zutreffender ist.
Die naheliegende Antwort: Die Politiker können nach all den Proklamationen und Sanktionen gar nicht anders, als das Narrativ aufrechtzuerhalten und weiter Waffen in die Ukraine zu schicken, die dort Leben retten sollen. Ein Eingeständnis der Niederlage würde sie zu Verhandlungen mit Putin zwingen. Und der würde ihnen Bedingungen auferlegen, die sie augenblicklich das Amt kosten würde.
Vergessen wir nicht: Wir befinden uns in einer Phase des Krieges, in der es kein Pardon mehr gibt. Nicht nur der Westen will Russland als Macht zerstören. Auch Russland will mit dem «kollektiven Westen» nichts mehr zu tun haben. Die führenden Köpfe auf beiden Seiten haben jegliche Erwartung auf eine einvernehmliche Lösung verloren. Ein Ende des Krieges ist nur mit neuem Führungspersonal möglich, entweder in Russland oder im Westen.
Und jetzt zur bedrohlichen Antwort auf die Frage, warum die westliche Elite bewusst gravierende strategische Fehler begeht: Weil sie noch mehr Krise will, ja vielleicht sogar braucht.
Sie erinnern sich bestimmt, dass Klaus Schwab die Pandemie als «rare window of opportunity» bezeichnet hat, um unserer Welt einen «Reset» zu verpassen. Er weiss also, dass die hochverschuldete Welt einen Neustart braucht, von dessen Notwendigkeit nicht wenige Geldreformer seit langem überzeugt sind.
Eine fundamentale Krise wie die unseres Geld- und Wirtschaftssystems zu managen, ist ein höchst komplexes Unterfangen, ganz besonders, wenn die Leute am Kontrollpult ihre Absichten verschleiern müssen. Wenn so etwas ausser Kontrolle gerät, ist die einzige «Kontrolle» die Beschleunigung – in der Hoffnung, neue «windows of opportunity» mögen sich öffnen, die sich dann nutzen lassen.
Ich bin überzeugt, dass der Great Reset, der keineswegs nur Klaus Schwabs Idee ist, sondern der Plan der Hyperreichen, nicht nach Plan verläuft. Die Wirklichkeit verändert sich schneller und anders, als dies noch zu Beginn der Pandemie – «die seltene Gelegenheit» – erschien.
Das digitale Zentralbankgeld, das ultimative Machtinstrument zur Kontrolle der Menschen, braucht eine echte Notlage, damit es als Instrument der Rettung wahrgenommen wird und nicht als das, was es tatsächlich ist: ein Instrument der Versklavung.
Deshalb ist die Verschärfung der Krise – militärisch ausgedrückt: die Eskalation – gewollt. Nur so ergeben die Fehler der westlichen Führer, die ja grösstenteils nicht dumm sind, einen logischen Sinn. Die deutsche Aussenministerin hat es ja gesagt: «Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland». «Wir», das sind die USA und ihre Verbündeten. Es ist nicht mehr nötig, die Ukraine vorzuschieben. Man kann zur Sache kommen.
Auch wir, die einigermassen bewussten Zeitgenossen, werden langsam zur Sache kommen und Wege finden müssen, mit diesen hochexplosiven Kräften umzugehen.
Nach 35 Jahren Beschäftigung mit dem Geldsystem und seiner Geschichte bin ich zum Schluss gekommen, dass auch wir den Reset wagen müssen. Ich schlage dafür den hoffnungsvollen Begriff «Erster Weltfrieden» vor, nach dem wir uns alle so sehr sehnen. Der Erste Weltfrieden beginnt mit einem Schuldenerlass und führt über eine Neuverteilung des Überreichtums zu einem gerechten, zinsfreien Geldsystem.
Er stellt damit Verhältnisse her, die den historisch wichtigsten Kriegsgrund – die Ungleichheit – zuverlässig verhindern und die gleichzeitig den grössten Mangel der Menschenrechte beheben. In ihrer Essenz formulieren sie das Recht auf ein sicheres Leben, das aber nur in gerechten ökonomischen Verhältnissen möglich ist, namentlich ohne die versteckte Umverteilung durch unser Geldsystem.
Die Idee des «Ersten Weltfriedens» ist ein bisschen gross geraten. Aber wenn Klaus & Co. den Schritt in eine nächste Zukunft planen, dann ist es unsere Pflicht, das auch zu tun, wenn wir nicht das Opfer ihrer Agenda werden wollen. Das ist, liebe Freunde, nun wirklich alternativlos.
Das grosse Unglück, das uns droht, öffnet auch uns ein «rare window of opportunity». Je grösser das Chaos, desto stärker die Kraft der Ordnung. Wir brauchen nur zwei Dinge: Die Inspiration, durch dieses Fenster zu blicken und den Mut, dann auch zu handeln. Denn, wie schon Hölderlin wusste: In der Not wächst das Rettende auch.
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Beschrieben ist der Erste Weltfrieden in der Zeitpunkt-Ausgabe Nr. 171: Unterwegs zum Ersten Weltfrieden. 128 S. Fr./€ 15.–, hier vergünstigt für Fr./€ 10.– bestellen. Den Hauptartikel können Sie hier kostenlos lesen. Und wenn Sie per Newsletter über die weitere Arbeit am Ersten Weltfrieden auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie sich hier eintragen. Ich finde, wir sollten den Frieden wagen. Wir, nicht die Politiker.
Dieser Beitrag ist zuerst auf Christoph Pflugers Blog erschienen.