Horst D. Deckert

Journalismus im Pandemie-Modus: «embedded», willfährig und unfähig, zur demokratischen Debatte beizutragen

Auszüge:

Pressekonferenzen der Exekutive, die nur per Streaming zugänglich sind und bei denen die Journalisten nur Fragen stellen dürfen, die sie mindestens eine Stunde vorher per E-Mail geschickt haben. Pressebriefings der Regierung, an denen nur eine Handvoll Korrespondenten persönlich teilnehmen dürfen. Journalisten, die für Interviews mit Ärzten die Erlaubnis der Polizei einholen müssen und während ihrer Arbeit von einem Beamten begleitet werden. Diese Momentaufnahmen sind weder dystopische Science-Fiction noch berichten sie über die Bedingungen, die ein Autokrat den Journalisten auferlegt: Sie beschreiben die neue Normalität der Schweizer Medien im Zeitalter des Coronavirus.

Man muss sich fragen, welche Chancen auf eine relevante und fundierte Medienberichterstattung bestehen, wenn nur designierte Korrespondenten ohne besondere Fachkenntnisse in Gesundheitsfragen Zugang zu den Pressekonferenzen der Behörden haben, wie es jeden zweiten Tag im Medienzentrum des Bundeshauses in Bern der Fall ist. Die anderen zugelassenen Journalisten – ebenfalls von der Verwaltung ausgelesen – müssen «Schlange stehen», um ihre Fragen per Telefon oder E-Mail zu stellen.

Die Tessiner Behörden nun haben in den letzten Wochen von den Medien verlangt, dass sie ihre Fragen (höchstens zwei) mehrere Stunden im Voraus schriftlich einreichen, wobei sie darauf hingewiesen haben, dass die Fragen an der Pressekonferenz nur gestellt werden könnten, wenn genügend Zeit zur Verfügung stünde. Damit haben sie den Journalisten die Möglichkeit genommen, im Falle vager oder schwer fassbarer Antworten nachzuhaken, vor allem aber, Fragen zu den gegebenen Informationen zu stellen.

Zu alldem kommt, dass einige Nachrichtenredaktionen Vereinbarungen mit den Behörden getroffen haben, die nur einem «Pool» von Journalisten den Zugang zu Krankenhäusern und Berichterstattung nur «überwacht» erlauben. Und nach unseren Informationen ist es in einem Kanton der Westschweiz die Polizei, die den Zugang der Medien zu den Spitälern regelt; ihre Beamten überprüfen offenbar auch die Notizen der Journalisten. Leider wagen es die betroffenen Journalisten nicht, diese Praktiken anzuprangern, was deutlich zeigt, dass sie sich nicht frei fühlen oder gar um ihre Position fürchten.

In all diesen Fällen ist die Wahrscheinlichkeit einer relevanten und fundierten Medienberichterstattung sehr gering, wenn nicht gar gleich Null. Denn bei solchen Spielregeln haben Journalisten weder Zugang zu Informationen noch können sie die notwendige Distanz zwischen sich und den Behörden schaffen. Sie müssen sich mit dem begnügen, was die Exekutive und die Verwaltungen ihnen zu geben bereit sind, und können die Qualität dieser Informationen nicht beurteilen, in Frage stellen oder analysieren.

«Embedded» Journalismus, der sich nicht dazu bekennt

Indem sie sich bereit erklären, unter diesen Voraussetzungen zu arbeiten, begeben sich JournalistInnen in eine Situation der Abhängigkeit und des Interessenkonflikts, die sie einem erdrückenden Risiko aussetzt, voreingenommen und beeinflusst zu berichten. Wie das Beispiel der «eingebetteten» Berichterstattung während des Irak-Krieges gezeigt hat, untergräbt eine solche Abhängigkeit der Medien von den Behörden unweigerlich die Qualität der Information. Im Fall der Pandemie kann der Zugang zu den relevanten Strukturen für die Berichterstattung nicht das Privileg dieser wenigen «eingebetteten» Journalisten sein. Für alle «Nicht-Eingebetteten» wird es in dieser Konstellation äusserst schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Behörden und die Verwaltung zu konfrontieren.

Besorgniserregend ist auch, dass bis heute keines der an diesen Praktiken beteiligten Medien der Öffentlichkeit proaktiv ihre momentanen Arbeitsbedingungen offengelegt hat: weder die Einzelheiten der Vorkehrungen, unter denen die «Immersion»-Berichterstattung erbracht wird, noch die Schwierigkeiten beim Zugang zu Pressekonferenzen, noch die geltenden Einschränkungen bei den Interviews, noch die allenfalls stattfindende Zusammenarbeit mit Behörden.

Schlimmer noch, kein Medium in der Schweiz hat die Kontrollen und Drohungen, denen einige Journalisten ausgesetzt waren, scharf kritisiert, obwohl – wie die jüngste Umfrage von Impressum, dem Berufsverband der Journalistinnen und Journalisten des Landes, ergab – seit Beginn der Krise mindestens 38 Fachleute mit Schweizer Presseausweis von den Behörden an der Ausübung ihrer Arbeit gehindert wurden.

Durch dieses Verschweigen ist die Öffentlichkeit der irrigen Meinung, Journalisten könnten normal arbeiten, das Recht auf Information werde vollumfänglich ausgeübt, die Medien seien keinem Druck ausgesetzt.

Die vorläufigen Ergebnisse der Untersuchung von Impressum hätten einen Aufschrei zur Folge haben müssen. Sie wurden mit einem ohrenbetäubenden Schweigen quittiert, das zu allen anderen hinzukam.

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