Horst D. Deckert

Katzbuckeln auf Du und Du? Neues von Merkels Verfassungsrichter-Dinner

„Rundum unabhängig“: Harbarth, Merkel (Foto:Imago)

Stephan Harbarth ist fraglos der unwürdigste Verfassungsgerichtspräsident, der dieser ehrenwerten Institution – gegründet nach dem Vorbild des US-Supreme Court, als Lehre aus den Justizabgründen der rechtlosen NS-Ära – seit ihrem Bestehen je vorstand. Zugleich ist er seine Idealbesetzung in einer Zeit, da das Grundgesetz von Exekutive und ihr höriger Legislative profanisiert, machttaktisch ausgehöhlt und entweiht wurde wie nie in der Geschichte der Bundesrepublik: Keine juristische Koryphäe, dafür ein treuer, merkelergebener CDU-Parteisoldat – und am schlimmsten: instinktlos.

Harbarth ließ wiederholt jegliches Fingerspitzengefühl vermissen. Was schon für einen Amtsrichter ein No-Go wäre, nimmt er sich als Karlsruher Präsident mit dreister Chuzpe heraus. Noch ein Jahr nach seiner Berufung war auf der Webseite seines CDU-Kreisverbands in Wiesloch ein Foto prominent abgebildet, das ihn stolz neben seiner Bundeskanzlerin zeigt. So wenig Taktgefühl hatte noch keiner seiner Vorgänger an den Tag gelegt. Die schlimmste rechtsstaatliche Zumutung seiner bisherigen Amtszeit jedoch war das unwürdige Abendessen von Ministern mit Verfassungsrichtern im Bundeskanzleramt Ende Juni, das sinnbildlich für die systematische Verhöhnung und Untergrabung der Gewaltenteilung im Staate Merkel steht. Dieses wäre dann schon unerhört, wenn nicht gerade eine grundrechtsstrapazierende „Pandemie“ herrschte und das Verfassungsgericht über Klagen zur Verfassungskonformität der Corona-Politik eben dieser Bundesregierung zu verhandelt hätte.

Nun berichtet die „Welt am Sonntag“ über neue, skandalöse Details zum „Kanzlerdinner“ am 30. Juni. Offenbar hatte man bei der Regierung mehr Bauchschmerzen über das Treffen als bei Harbarth und seinen Kollegen – obwohl diese von Amts wegen auch nur den Anschein jeglicher Befangenheit vermeiden müssten: Harbarth höchstpersönlich soll sich demnach dafür eingesetzt haben, die Tagesordnung dahingehend zu ändern, dass die teilnehmende  Bundesjustizministerin Christine Lambrecht als Tischrednerin ausgerechnet zum Thema der anhängigen Klagen sprechen solle: Der Corona-Politik der Bundesregierung.

Gewaltenteilung à la Rotary-Club

Harbarth und seine Stellvertreterin Doris König, so die Zeitung unter Berufung auf Unterlagen aus dem Kanzleramt, hätten es vorab ausdrücklich begrüßt, wenn bei dem Dinner neben dem Thema „Rechtsetzung in Europa und das Zusammenspiel von EU- und deutschem Recht“ in einem zweiten Vortrag auch zum Thema „Entscheidung unter Unsicherheiten“ gesprochen werde; letzteres bezog sich dann genau auf die mutmaßlichen Entscheidungen, die bereits damals in Karlsruhe rechtshängig waren (und zu denen Eilanträge bereits Anfang Mai von Harbarth im Sinne der Regierung wunschgemäß abgewiesen worden waren).

Praktisch heißt das: Statt – wenn das von seiner Außenwirkung her verheerendere, traute Treffen von vollziehender und rechtssprechender Höchstgewalt denn schon unbedingt sein musste – zumindest alle heiklen politischen und Rechtsfragen auszusparen, die auch nur entfernt Gegenstand laufender Verfahren sein oder diese tangieren könnten, wollte Harbarth speziell diese angesprochen wissen. Warum? Ging es ihm etwa darum, mit seiner Reaktion als Tischgast Merkel unmissverständliche Loyalitätssignale zu vermitteln, nach dem Motto „mach dir darüber keine Sorgen, wir werden das Kind schon schaukeln„? Oder wollte er nochmal die Rechtsauffassung der Regierung einholen, quasi via „Ortstermin“? Ist es inzwischen Usus, dass informelle Zusammenkünfte von Vertretern der Staatsgewalten auf dem Niveau von Rotary- oder Lions-Club-Treffen ablaufen?

Der von diversen Kritikern der Jurisprudenz – Professoren, Richtern, Rechtsanwälten – wiederholt geäußerte Verdacht des Versuchs einer Einflussnahme der Politik auf das Verfassungsgericht sowie dessen Befangenheit erhält durch die Enthüllungen neuen Auftrieb. Bislang hatte sich Harbarth gegen diesen Vorwurf stets verwahrt, ein entsprechendes Ablehnungsgesuch des Berliner Rechtsanwalts Niko Härting im Verfahren um die „Bundesnotbremse“ gegen ihn wies das Verfassungsggericht ab. Bei den jetzt bekannt gewordenen Details verwundert dies auch nicht weiter. Von der Illusion, in Karlsruhe urteilten unvoreingenommene, streng dem Geiste der Verfassung verpflichtete  Wächter der demokratischen Grundordnung (was zuletzt unter der Präsidentschaft Hans-Jürgen Papiers uneingeschränkt zutraf), können sich die Bürger dieses Landes endgültig verabschieden.

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