Horst D. Deckert

Klimawandel: Hurrikan über Deutschland – oder doch nicht?

Was ist ein Kaltlufttropfen?

Kurzbeitrag von Dipl.-Met. Christian Freuer

In diesem Beitrag geht es nicht um große Klima- oder Energiegeschichten, sondern um einen kleinräumigen, aber markanten Vorgang. Man betrachte einmal das Bild oben, hier noch einmal gezeigt:

Abb. 1: Wetterradar vom 24. 5. 2023 vormittags Quelle: wetteronline.de

Man erkennt eine deutliche Wirbelstruktur mit einem wolkenfreien kleinen Gebiet genau im Zentrum. Jedem, der schon mal ein Satellitenbild von einem Hurrikan gesehen hat, dürfte die Ähnlichkeit mit einem solchen auffallen (beim Autor dieser Zeilen war das jedenfalls so).

Aber natürlich handelt es sich nicht einmal ansatzweise um ein derartiges Extremereignis. Dennoch soll hier kurz beschrieben werden, was es damit auf sich hat.

Zunächst zur Druckverteilung am Boden. Abb. 2 zeigt den Bodendruck vom 24. Mai 2023, 09 UTC (= 11 MESZ):

Abb. 2: Bodendruck. Quelle: wetteronline.de

Wie man sieht, sieht man – nichts! Und warum sieht man nichts? Das werden wir gleich sehen. Jedenfalls zeigt sich im Bodendruckfeld über Deutschland ein Hochdruckkeil – keine Spur von einem irgendwie gearteten Tiefdruckwirbel.

Nun gleichen ja die Verhältnisse am Boden nur der Spur eines Schlittschuhläufers auf dem Eis. Der Schlittschuhläufer selbst befindet sich natürlich weiter oben. Gleiches gilt natürlich für das Wetter – gebacken wird es in höheren Luftschichten. Also schauen wir mal nach oben, und zwar in die beste Referenz-Fläche für uns Meteorologen – das 500-hPa-Niveau.

Abb. 3: Höhe der 500-hPa-Fläche über Mitteleuropa, gleiche Zeit wie Abb. 2. Quelle: wetterzentrale.de

Zur Erklärung der Darstellung: Auf der Farbskala unter der Abbildung erkennt man beim Wechsel von gelb zu grün die Zahl 552. Rechts daneben zur nächsten Gelb-Abstufung findest sich die Zahl 556. Man hänge an diese Zahlen ein Null. Dann bedeutet die Zahl 5520, dass an dieser Stelle in einer Höhe von 5520 m über NN der Luftdruck genau 500 hPa entspricht. Dieses Niveau liegt umso tiefer, je kälter die Luftmasse ist. – Die weißen Linien markieren den Bodendruck entsprechend Abb. 2.

Hier sieht man nun natürlich eine sehr deutliche Tiefdruck-Struktur. Es handelt sich dabei um einen kleinen Kaltluftkörper, der ringsum von wärmerer Luft umgeben ist. Da der Wind auf der NH bekanntlich entgegen dem Uhrzeigersinn um ein Tiefdruckgebiet kreist, wird die Wolkenstruktur in Abb. 1 leicht erklärbar.

Dass es sich tatsächlich um einen kleinen Kaltluftkörper handelt, erkennt man eine „Etage“ tiefer, nämlich im 850-hPa-Niveau:

Abb. 4: Temperatur (bunt) im 850-hPa-Niveau, gleiche Zeit wie Abb. 2. Quelle: wetterzentrale.de

Diese Temperaturverteilung spricht für sich. Die weißen Linien kennzeichnen die Höhe, in welcher der Luftdruck genau 850 hPa beträgt – die Zahl 150 rechts neben der grünen Fläche bedeutet eine Höhe von genau 1500 m ü NN.

Diese Höhenlinien zeigen schon keine abgeschlossene zyklonale Struktur mehr, sondern lediglich noch einen Trog. Immerhin – am Boden befindet sich unter diesem Trog ein Hochdruckkeil (s. Abb. 2).

Unter uns Synoptikern wird so etwas als „Kaltlufttropfen“ bezeichnet.

Im Winter ist ein solches Gebilde mit einem Vorstoß sehr kalter Luft verbunden, meist großräumig unter -10 Grad. Im Frühjahr und Sommer treten in einem solchen Gebilde dagegen Schauer und auch Gewitter auf. Wie Abb. 1 zeigt, ist davon diesmal jedoch nur ansatzweise etwas zu sehen. Bei fortschreitendem Tagesgang wird es wohl noch mehr Schauer geben, aber keine Extrementwicklungen. Die numerischen Wettervorhersage-Modelle zeigen auch kaum Niederschlag. Ursache hierfür ist wohl der Umstand, dass allgemein über Mitteleuropa eher kühle Luftmassen liegen. Hätte es zuvor einen Vorstoß heißer subtropischer Luft gegeben, wären die Wettervorgänge im Bereich dieses Kaltlufttropfens sicher ausgeprägter gewesen.

Der kleine Wirbel verlagerte sich während der Folgetage zügig weiter nach Westen bis Südwesten über Spanien (wo tatsächlich Einiges an Gewittern in der dortigen Warmluft simuliert wird) und den Atlantik hinweg, ohne seine ausgeprägte Struktur zu verlieren. Nach einigen Tagen wurde er dann von einem Trog vor Neufundland „eingefangen“ (Abb. 5)

Abb. 5: Simulierte Verlagerung des kleinen Höhenwirbels. Vor Neufundland ist am letzten Tag der Trog erkennbar, in welchem er noch einen Tag später aufging.

Gute Reise, kleiner Wirbel!

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