Auch wenn der Krieg in der Ukraine morgen beendet würde, aus welchen Gründen auch immer, wird es nach Einschätzung österreichischer Militärs und Konfliktforscher dort keinen Frieden geben. Im Gegenteil: Der Krieg könnte sogar eskalieren.
Mit einer Niederlage würden sich die Ukrainer nicht abfinden und die Russen werden es nicht hinnehmen, dass die Ukraine künftig zu einem westlichen NATO-Pufferstaat wird. Dies war am Freitag am Rande eines Vortrags über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Europa in den Räumen der Landesverteidigungsakademie in der Wiener Stiftskaserne zu hören.
Nach Meinung von Professor Dr. Gunther Hauser, des stellvertretenden Leiters des Instituts für strategische Studien (ISS) wird – so wie es im Moment aussieht – der Kampf der beiden kriegsführenden Parteien bis zum Sieg der einen oder anderen fortgeführt werden.
Weitere Eskalationen denkbar
Eskalationen seien in diesem Krieg durchaus denkbar, aber einen eventuellen Atomschlag werden die Chinesen zu verhindern wissen, glaubt Hauser. Denen geht es vor allem um ihre Wirtschaft und wenn vom Schlagabtausch mit Atomwaffen im Ukraine-Krieg die Rede ist, denken immer alle zuerst an die Russen.
In seinen offiziellen Ausführungen zur Entwicklung des Ukraine-Kriegs, der das eigentliche Vortragsthema war, rief Hauser noch einmal den Aufbau des Konflikts in Erinnerung, der sich schon vor der Einverleibung der Krim durch Russland im Jahr 2014 abzuzeichnen begann.
Keine NATO-Osterweiterung
Bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 hatte Wladimir Putin deutlich zu verstehen gegeben, dass er eine NATO-Osterweiterung nicht dulden werde, weil er – salopp ausgedrückt – nicht die Amerikaner in seinem Vorgarten haben will.
Schon Jahre davor war die NATO-Ost-Erweiterung selbst von namhaften Amerikanern als ein folgenschwerer Fehler der USA bezeichnet worden.
Konflikt wäre vermeidbar gewesen
Der Ukraine-Konflikt wäre nach Meinung von Dr. Christian Ortner, des Leiters des Instituts für Strategische Studien, zumindest zu Beginn noch vermeidbar gewesen, wie er mir auf konkrete Nachfrage erklärte. Denn die Ukrainer waren schon bereit gewesen, die Rolle eines neutralen Pufferstaates zu übernehmen. Boris Johnson hat dann aber Öl ins Feuer gegossen, was die meisten Leute heute schon vergessen haben. Damit habe sich dann die Situation gedreht.
Ortner sieht darin Parallelen zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Denn die Serben waren nach Ortners Ausführungen damals ebenfalls schon bereit gewesen, das ihnen von den Österreichern gestellte Ultimatum zu akzeptieren. In ihrem Fall zündelte dann der russische Zar, worauf die ganze Sache eine andere Wendung nahm. Das Ergebnis ist bekannt.
Warnsignale übersehen
Als der Ukraine-Krieg von den Russen gestartet wurde, zeigte sich die Welt erschrocken und verwundert. Dabei hatte es genug Warnsignale gegeben. „Sie wurden alle übersehen“, zitierte Professor Hauser den britischen Armeegeneral Richard Shirreff.
Zur Geschichte der Entstehung des ukrainischen Nationalbewusstseins erklärte Ortner, dass es das kaiserlich-königliche Österreich gewesen sei, dass „die nationale Karte“ ausgespielt habe. Denn 1915, also während des Ersten Weltkrieges, hatte es die Gründung einer „Ukrainischen Legion“ erlaubt und forciert. Das hatte jedoch nur den einzigen Sinn und Zweck gehabt, erklärte mir Ortner, um ein Überlaufen der Ukrainer in die russische Armee zu verhindern. Tatsächlich war die militärische Bedeutung dieser Legion weit geringer als ihre politische. Sie war ein propagandistisches Kampfmittel gegen den russischen Panslawismus, die das Eigenständigkeitsdenken der Ukrainer stärken wird.
Kein Ende in Sicht
Auf die Frage, ob der heutige Kampf der Ukrainer rechtens sei, antwortete Ortner mit einem klaren Ja! Die Frage, wann der Ukraine-Krieg enden wird, vermochten die von mir dazu befragten Vortragsteilnehmer nicht einmal spekulativ zu beantworten.
Dies habe man einmal auch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden gefragt, erzählte Hauser und dieser habe geantwortet: Wenn die russischen Truppen die Ukraine verlassen und wieder in ihre Kasernen ziehen.
Dass dies bald der Fall sein könnte, ist nicht zu erwarten. „Kein Wunder“, sagte ein Zuhörer in der Vortragspause in einem kleinen Kreis. „Schließlich habe der Westen die Zusicherungen, die Putin ursprünglich gegeben wurden, konterkariert.“ Worauf einer der Zuhörer in der Runde hörbar schluckte und wutentbrannt schimpfte: „Das ist Geschichtsfälschung!“
Die Umstehenden sahen sich erschrocken an, sagten aber nichts und wechselten das Thema. Später hörte man, dass der aufgeregte Mann unter den Vortragsbesuchern ein gut Deutsch sprechender Ukrainer war.
Zum Autor: Kurt Guggenbichler war Mitbegründer und Chefredakteur des „Wochenblick“. Sein journalistisches Handwerk hat er bei der „Goslarschen Zeitung“ in Norddeutschland erlernt, wo er acht Jahre lang als Redakteur, Reporter und Kolumnist tätig war. Wieder zurück in seiner Heimat, arbeitete Guggenbichler in der Funktion eines Ressortleiters dann 25 Jahre lang für die „Oberösterreichischen Nachrichten“. Zum „Wochenblick“ wechselte er einige Zeit nach seiner Tätigkeit als Chefredakteur der Tageszeitung „Oberösterreichs Neue“ und für AUF1-Info ist Guggenbichler nun als Nachrichten-Redakteur, Kommentator und Reporter im Einsatz.
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