Horst D. Deckert

Landschaftsschützer schlagen Alarm wegen der Energiewende

Ein Blick in die Schweiz

Neue Stauseen, neue Windräder, neue Solarparks: Sowohl bürgerliche wie linke Politiker fordern Konzessionen beim Landschaftsschutz, um den Umbau der Energieversorgung voranzutreiben. Der Druck auf unverbaute Gebiete sei noch nie so hoch gewesen wie heute, beklagen Landschaftsschützer.

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von Alex Reichmuth

Der Blick vom Gornergrat im Wallis über die vereisten Berge ist atemberaubend. Vor allem der gigantische Gornergletscher prägt das Bild. Unterhalb des Gletschers soll nun aber ein Stausee mit einer 285 Meter breiten Mauer entstehen. Hinter dem Projekt stehen Energiekonzerne wie Alpiq, Axpo und BKW.

Der Lindenberg im Grenzgebiet der Kantone Luzern und Aargau steht in einer lieblichen Landschaft. Diese ist nur dünn besiedelt und bis jetzt weitgehend unverbaut. Doch jetzt sollen auf dem Lindenberg fünf Windräder hingestellt werden. Verschiedene Geldgeber haben die Absicht bekundet, entsprechend zu investieren.

Die Gegend um Gondo im Wallis ist von steilen Hängen geprägt und entsprechend spektakulär. Auf einer Alp auf 2000 Meter über Meer soll nun eine Fläche von 14 Fussballfeldern mit Solarpanels überbaut werden. Bei «Gondosolar» handelt es sich um das grösste Photovoltaik-Projekt der Schweiz. Dahinter steht der Stromunternehmen Alpiq.

Energieprojekte schießen wie Pilze aus dem Boden

Allen Energieprojekten ist gemeinsam, dass sich Landschaftsschützer dagegen wehren. Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz hat ihren Widerstand gegen das Wasserkraftwerk beim Gornergletscher angekündigt. Die Organisation «Pro Lindenberg», in der sich Anwohner zusammengeschlossen haben, kämpft zusammen mit Pro Natura Luzern gegen den Bau der Windanlagen auf dem Lindenberg. Und auch in Gondo haben Naturschützer Widerstand gegen die Überbauung einer ganzen Alp mit Solarpanels angekündigt.

Es mehren sich Stimmen, die verlangen, dass der Schutz einer intakten Natur zugunsten der Energiewende zurückstehen muss.

Allerdings: Die Schweiz will wegkommen von Atomstrom und fossilen Brennstoffen. Der Energiebedarf soll künftig ausschliesslich aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Deshalb schießen Projekte für neue Stauseen, Windräder oder Solaranlagen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Das geht aber auf Kosten der Landschaft.

Es mehren sich Stimmen, die verlangen, dass der Schutz einer intakten Natur zugunsten der Energiewende zurückstehen muss. Organisationen, die den Landschaftsschutz hochhalten, geraten unter Druck.

Links-grüne Politiker stehen besonders unter Beobachtung

Der Wert der erneuerbaren Energie müsse bei Bewilligungsverfahren «künftig höher gewichtet werden als der Naturschutz», forderte der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. In der Beratung des Stromversorgungsgesetzes haben verschiedene bürgerliche Parlamentarier verlangt, dass Nutzungsinteressen künftig gegenüber Schutzinteressen Priorität haben. So soll das Bauverbot für Energieanlagen in Biotopen gestrichen werden.

Weil vor allem linke Parteien sich für die Energiewende starkmachen, stehen links-grüne Politiker besonders unter Beobachtung – und entscheiden sich oft gegen den Landschaftsschutz. So sagte SP-Fraktionschef Roger Nordmann zur «Neuen Zürcher Zeitung», dass wichtige Energieträger wie die Wasserkraft nicht verhindert werden sollten.

Als letztes Jahr bekannt wurde, dass die Gewässerschutzorganisation Aqua Viva gegen ein Stauseeprojekt unterhalb des Triftgletschers im Berner Oberland kämpft, traten mehrere linke Politiker aus dem Patronatskomitee der Organisation aus – unter ihnen der grüne Bastien Girod. Aqua Viva habe zwar sicher hehre Ziele, sagte der Zürcher Nationalrat. «Als Grüne müssen wir aber nicht nur den Naturschutz berücksichtigen, sondern auch den Klimaschutz.»

Ausbau «auf Biegen und Brechen»

So viel Gegenwind für die Landschaftsschützer hat Folgen: Als «dramatisch» bezeichnet Raimund Rodewald den Druck auf unverbaute Gebiete. «Ich bin nun seit über 30 Jahren für den Schutz der Landschaft unterwegs», sagt der Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. «Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie.» Wegen der Energiewende werde derzeit «auf Biegen und Brechen» ausgebaut. Das Land drohe seine landschaftlichen Schätze zu verlieren. Im Ausland müsse er sich oft schämen, dass in der Schweiz der Landschaftsschutz derart «geschleift» werde.

«So schlimm wie jetzt war es noch nie»: Landschaftsschützer Raimund Rodewald

Dem schliesst sich Elias Meier an, Präsident des Verbands Freie Landschaft Schweiz, der gegen Windräder kämpft. Vor allem seit letztem Sommer sei der Druck auf naturbelassene Landschaften «exponentiell» gestiegen». Das habe vor allem mit den  Projekten im Zusammenhang mit der Energiewende zu tun.

«Ja, der Druck nimmt zu», bestätigt Salome Steiner, Geschäftsleiterin von Aqua Viva. Nichts sei mehr heilig: weder der Rheinfall bei Schaffhausen noch die Reichenbachfälle im Berner Oberland. «Wegen der Energiewende drohen andere wichtige Themen wie das dramatische Artensterben entlang unserer Gewässer in Vergessenheit zu geraten.»

«Von der Mitte-Partei kommt der grösste Angriff»

Auch bei der Naturschutzorganisation BirdLife ist man alarmiert. «Man muss nur die Zeitungen lesen, um zu sehen, woher der Wind weht», sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Christa Glauser. Es gebe nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine Biodiversitätskrise, und diese sei leider in den Hintergrund gerückt. Beide müssten aber miteinander gelöst werden.

Windkraftgegner Elias Meier sieht linke Politiker zunehmend in einem Zielkonflikt zwischen Klima- und Landschaftsschutz. «Leider sprechen nur wenige linke Politiker dieses Dilemma an, es wird nur bei Umweltverbänden thematisiert.»

Allerdings gebe es auch viele bürgerliche Stimmen, die den Landschaftsschutz aufweichen wollten, sagt Meier. «Einige Energiepolitiker der FDP wünschen sich eine Anbauschlacht bei allen Erneuerbaren, und in der SVP geniesst die Wasserkraft die volle Unterstützung.» Als wichtigstes Problem bezeichnet Meier die Mitte-Partei: «Von ihr kommt der grösste Angriff auf unsere Landschaft und Biodiversität.» Immerhin: Von der Bevölkerung spüre er starke Unterstützung.

«Bei der Energiewende fehlt eine lenkende Hand»

Ja, sie spüre noch Unterstützung, sagt Christa Glauser von BirdLife, und diese sei kaum in ein Links-rechts-Schema einzuordnen. «Es gibt in allen Parteien Leute, die den Wert der Biodiversität erkennen, und solche, die das nicht tun.» Man müsse wegkommen vom politischen Geplänkel. Eine Versachlichung der Diskussion tue not.

«Es braucht einen Gesamtplan und jemanden, der das Zepter übernimmt.»

Raimund Rodewald, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz

Salome Meier von Aqua Viva nennt Photovoltaik, Energieeffizienz und Suffizienz (Genügsamkeit) als bislang vernachlässigte Möglichkeiten, um den Klimaschutz voranzubringen. «Eine intakte Natur ist für uns Menschen genauso wichtig wie ein lebensfreundliches Klima.» Raimund Rodewald von der Stiftung Landschaftsschutz prangert «die konzeptlose und kopflose Wachstumsstrategie» an. «Ich habe die Lösung in der Energiefrage auch nicht, aber meiner Meinung nach sollte der grassierende Konsumgeist dringend hinterfragt werden.»

Politisch fehle bei der Energiewende eine lenkende Hand, sagt Rodewald. «Es braucht einen Gesamtplan und jemanden, der das Zepter übernimmt.» Nur so könne sichergestellt werden, dass die Landschaft nicht komplett unter die Räder komme.

Der Beitrag erschien zuerst im Schweizer Nebelspalter hier.

 

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