Horst D. Deckert

Mehr Demokratie ist eine Voraussetzung für eine sinnvolle Zukunft

Die Rede des ehemaligen tschechichem Statatspräsidenten Dr. Vaclav Klaus auf dem Wiener Kongress com.Sult vom 30. Januar in Wien:

Vielen Dank für die Einladung, vor diesem hochkarätigen Publikum zu sprechen. Ich schätze diese Gelegenheit sehr. Nach Wien zu kommen und an der Montagmorgensitzung des Wiener Kongresses teilzunehmen, ist für einige von uns schon seit Jahren die beste Art, den letzten Januar-Montagmorgen zu verbringen. Anstatt in den Bergen Ski zu fahren oder etwas Produktives zu tun. Ich habe das Privileg, Teil dieser Gruppe zu sein. Es gibt immer viele spannende Themen, die darauf warten, angesprochen zu werden. Deshalb freue ich mich auf unsere heutigen Gespräche. Und auf die Gelegenheit, viele gute alte Freunde zu treffen. Es ist schön, wieder vor Publikum zu sprechen, nachdem ich zwei Jahre lang nur vor Fernsehkameras gesprochen habe.

Als Vorsitzender des Beirats des Kongresses, mehr in ehrenamtlicher als amtlicher Funktion, hatte ich die Gelegenheit, mit David Ungar-Klein die für den diesjährigen Kongress geplanten Themen zu besprechen. Einige dieser Themen werden in den heutigen Sitzungen behandelt. Ich muss gestehen, dass es Meinungsunterschiede gab. Während David „die Zukunft gestalten“ wollte, war ich dafür, uns – etwas bescheidener – „auf die Zukunft vorzubereiten“ und unser Bestes zu tun, die Zukunft nicht mit einem Erbe zu belasten, das wir an diese Zukunft weitergeben. Der Titel der Sitzung „Zukunft durch mehr Demokratie“ ist ein Kompromiss zwischen unseren beiden Positionen.

Meine Sichtweise ist stark von eigenen Erfahrungen geprägt. Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens in einem System verbracht, das versucht hat, die Zukunft zu „konstruieren“, oder in heutiger Terminologie euphemistischer ausgedrückt, sie zu „gestalten“. Ich weiß aus Erfahrung, dass das nicht funktioniert. Dies ist der Grund, warum ich skeptischer als David bin.

Der Titel dieser Sitzung sollte eine wichtige Botschaft vermitteln: Demokratie, nicht aber ausgeklügelte, intellektuell ehrgeizige Pläne und Entwürfe ist die Voraussetzung für die Gestaltung einer besseren Zukunft. Dies mag wie ein trivialer und selbstverständlicher Gemeinplatz klingen. Aber im gegenwärtigen Zustand der Postdemokratie und wenn man sich die Projekte und Ambitionen einiger unserer Zeitgenossen ansieht, wird die Betonung der Demokratie inzwischen zu einer revolutionären Idee, die uns zu einen grundlegenden Wandel in unserem Denken ermahnt.

Die Demokratie, ihre Qualität, ihre Voraussetzungen und Eigenschaften werden überhaupt nicht mehr diskutiert. Sie werden vielmehr für selbstverständlich gehalten – dies völlig zu Unrecht. Und sie werden für unbestreitbar gehalten. Im Austausch gegen diese angeblich selbstverständlichen Voraussetzungen werden wir dagegen aufgefordert, auf Wissenschaft und Innovationen zu setzen, auf „Netzwerk Logistik“, auf Informationstechnologie, auf Digitalisierung, auf die Entdeckung der innovativen Talente schon im Kindergarten, auf künstliche Intelligenz, auf Beratung, um die im Programm des diesjährigen Wiener Kongresses immer wieder genannten Begriffe zu verwenden. Dies ist aber nicht der richtige Weg.

Um uns herum gibt es viele mit der Demokratie konkurrierende Ideen und Programme, wie wir unsere heutige Welt meistern, gestalten und organisieren sollen. Wir sind konfrontiert mit einer aggressiven Propaganda und mit der Förderung militanter Ideologien wie Klimaschutz, Genderismus, Multikulturalismus, Human-Rightism, Expertokratie usw. Allesamt versuchen sie, die gegenwärtige Welt zu zerstören, eine Welt, die noch in gewissem Maße auf Freiheit, Demokratie, Anstand, Respekt vor den vergangenen Werten und Traditionen, Rechtsstaatlichkeit, Marktwirtschaft und parlamentarischer Demokratie beruhte.

Wissenschaft, Vernetzung, Informationstechnologien oder künstliche Intelligenz werden uns nicht helfen, die Hauptprobleme der heutigen Welt zu lösen. Ganz im Gegenteil, wir müssen die Freiheit des Einzelnen vor den negativen Auswirkungen der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz schützen. Wir sollten die Ziele, Wünsche und Präferenzen freier Individuen in den Vordergrund stellen und vor allem ein System schützen, das freies Denken und freies politisches Handeln ermöglicht.

Ich weiß, dass einige von Ihnen es vorziehen würden, über pragmatischere und technischere Themen zu sprechen, aber in diesem Fall sollten wir nicht verkünden, dass wir Ambitionen haben, die Zukunft zu gestalten. Ich bin daher davon überzeugt, dass es notwendig ist, unsere Anstrengungen auf die Rettung von Freiheit und Demokratie zu konzentrieren, denn sie sind jetzt im Westen stark gefährdet. Diese Bedrohung sollte nicht unterschätzt werden. Vor kurzem habe ich Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“ erneut gelesen und über seine Worte nachgedacht, in denen er die Gefühle beschreibt, die er kurz vor der Ankunft des Nazi-Regimes hatte. Stefan Zweig fasste sie im Nachhinein in folgendem Satz zusammen: „Wir haben die Gefahr noch nicht gesehen“. Dies ist ein Memento. Wir sollten uns dieser Erfahrung bewusst werden.

Ich habe mein kleines, gerade erschienenes Buch mitgebracht, eine Sammlung von Essays und Reden aus den letzten Monaten. Der Titel „The Brave New West“ spielt auf den Titel „Brave New World“ an, dieses berühmte Buch, das Aldous Huxley bereits vor fast einem Jahrhundert schrieb. Als es veröffentlicht wurde, entpuppte es sich als radikale Dystopie in Form politischer Science-Fiction. Zu meinem großen Bedauern scheint es nun fast eine Dokumentation der aktuellen Situation gworden zu sein. Unterschätzen wir nicht, was um uns herum vor sich geht. Machen wir uns keine Illusionen mehr. Dass wir uns dem „Brave New West“ nähern, ist der Kern meiner Interpretation dessen, was derzeit in Europa und Nordamerika vor sich geht.

Um dem „Brave New West“ zu entkommen und mit ihm fertig zu werden, müssten wir unser Denken und unser politisches Verhalten radikal ändern. Wir müssen wieder zur echten Freiheit zurückkehren, zu freier Rede, zu freien Märkten, zur Demokratie, zu den Ideen des klassischen Liberalismus, zu Mises, Hayek und Friedman, genau zu der Denkweise, die in den neuen freien Ländern Mittel- und Osteuropas nach dem Fall des Kommunismus vorherrschte. Diese Ideen forderten die Ablehnung des roten wie des grünen Sozialismus, die Wiederherstellung eines neuen Gleichgewichts zwischen dem freien Individuum und dem allgegenwärtigen und immer weiter expandierenden Staat, die Beendigung der umfassenden staatlichen Verwaltung der Wirtschaft, die Rückkehr zu normaler Politik und zu expliziten ideologischen Auseinandersetzungen statt der Teilnahme an leeren und oberflächlichen TV-Talkshows, denn Demokratie und Tiefe werden dort nur vorgespielt.

Wenn wir die Entscheidung nicht „auf der Straße“ wollen, und ich betone, dass ich das nicht fordere, müssen wir den politischen Prozess ändern, Ideologien aufgeben, die politischen Parteien neu aufbauen, die Menschen motivieren, sich politisch zu engagieren, weg von TV-Talkshows zum freien politischen Diskurs zurückkehren, weg von den NGOs zu den klassischen politischen Parteien, weg von den leeren internationalen Organisationen zum Volkswillen und den auf ihm basierenden nationalen Institutionen.

Das mag in den Ohren einiger von Ihnen radikal klingen. Aber lassen Sie uns nicht denselben Fehler machen wie die Generation von Stefan Zweig. Wir sollten akzeptieren, dass wir uns in einer Sackgasse befinden und dass wir zur letzten Kreuzung zurückkehren müssen, an der wir falsch abgebogen sind. Wir sollten unsere Augen nicht verschließen, wenn wir mit unangenehmen Realitäten konfrontiert werden. Sonst wird es keine positive Zukunft für uns, unsere Kinder und Enkelkinder geben.

Anmerkung EIKE:

Wir danken Herrn Vaclav Klaus für die freundliche Genehmigung, seine Rede ins Deutsche übersetzen und in EIKE veröffentlichen zu dürfen. Ferner möchten wir im gegebenen Zusammenhang und zur Bestätigung des Inhalts seiner Rede an die hiesigen Schäden erinnern, welche bereits aus undemokratischen, planwirtschaftlichen Maßnahmen entstanden sind, die immer noch fälschlich mit den Begriffen Demokratie und Marktwirtschaft seitens der staatssubventionierten (im Klartext, von der Regierung gekauften) Medien versehen werden. Eine auf unzureichender Faktenbasis beruhende (anthropogenes CO2 würde ohne die horrend teuren CO2-Vermeidungsmaßnahmen zum Weltuntergang führen) grünideologische Energiewende wird blind von allen Parteien mitgetragen, die AfD ausgenommen. Ein derart geballtes Kritikdefizit ist kaum charakteristisch für eine funktionierende Demokratie. Die Energiewende zerstört nun unsere mittelständische Industrie, das Rückrat des bisherigen Wohlstands.

Als zweites Beipiel sind die Affairen „Thilo Sarrazin vs SPD“ sowie „Hans-Georg Maaßen vs CDU“ zu nennen. In beiden Fällen reichte bereits das Beschreiben oder Aussprechen von Fakten aus, um ihre zugehörigen Parteien mit an stalinistische Säuberungsmethoden erinnernden Maßnahmen zu veranlassen, zwei untadelige Demokraten mit Mut zur freien Rede auszuschließen. Inzwischen scheint in Vergessenheit zu geraten, dass zu einer echten Demokratie unabdingbar die freie Rede gehört wobei das Aussprechen von Fakten nicht behindert, sondern gewünscht wird.

Prof. Dr. Horst-Joachim Lüdecke

 

 

 

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