Horst D. Deckert

Nach Meuthen-Rückzug: Die Chaos-AfD muss dringend professioneller werden

Frappierende Fremdwahrnehmung: Meuthen, Chrupalla, Weidel (Foto:Imago)

Fast einhellig wird nun der gestern angekündigte Abgang Jörg Meuthens als AfD-Vorsitzender im Dezember als Vorbote eines sich abzeichnenden „Rechtsrucks“ der AfD interpretiert (respektive, gemäß maßlos galoppierender Begriffsinflation, als Anzeichen ihrer „Öffnung für rechtsextremistische Positionen“ durch angebliche „Höckeisierung“ der Partei) – als sei Meuthen die letzte Brandmauer zwischen den bürgerlichen Kräften und einer unappetitlichen braunen Brühe, die vom Osten über die ganze Republik schwappt. Meuthen, so heißt es fast mitfühlend, habe deshalb nun resigniert und mache damit den Weg frei für „rechte Hardliner“ in Gestalt des neuen Fraktionsvorstandes Alice Weidel und Tino Chrupalla, die beim Bundesparteitag im Dezember auch nach der Parteispitze greifen werden.

Die Wahrheit ist natürlich weit differenzierter, als es diese hochgradig unseriöse Kampagnenberichterstattung suggeriert. Wer sich mit den inneren Konflikten der AfD ein wenig auskennt, weiß, dass sich diese nicht nur auf den holzschnittartigen Gegensatz von westlichen Wirtschaftskonservativen und völkischen Ost-Patrioten herunterbrechen lassen. Das Lager um Meuthen stand seit Jahren für einen von vornherein zum Scheitern verurteilten „Mitte“-Annäherungskurs ans politische Establishment der Altparteien, der getragen war von der Hoffnung, die AfD durch Mäßigungs-Mimikry, durch eine überbetont bürgerliche „Konsensfähigkeit“ zeitgeist- und salonfähig, ja womöglich gar koalitionsfähig zu machen. Eine absurde Illusion.

Denn was diese eher opportunistischen AfD-„Realos“ nie verstanden haben, war die Tatsache, dass die Etikettierungen und Vorverurteilungen der AfD und ihrer Akteure stets unabhängig von deren tatsächlichen Positionen erfolgen. Weder ein noch so rechtsstaatskonformes, liberal-konservatives und moderates Parteiprogramm noch ein beliebig weltoffenes Antlitz der Funktionäre könnte daran je etwas ändern; sie würden auch weiterhin bedarfsweise als Wölfe im Schafspelz, als Kreidefresser oder taktische Heuchler angefeindet werden.

Selbst bei Wohlverhalten immer nur „Faschisten“ und „Nazis“

Da hätten Meuthen und seine loyalen Gefolgsleute aus Baden-Württemberg oder NRW, die AfD-Kader der ersten Generation, denen EU- und Euro wichtiger ist als nationale Identitätspolitik, sogar noch so weit nach links konvertieren können, sie hätten wie Anton Hofreiter herumlaufen, im Mittelmeer Flüchtlinge auffischen oder bei Klimademos mitdemonstrieren können – es hätte ihnen nichts genützt. Das Stigma wirkt lebenslänglich: Wo AfD draufsteht, muss immer Nazi drin sein. Einmal „Faschist“, immer Faschist. Vielleicht war es ja diese ernüchternde Einsicht, die Meuthen dazu bewogen hat, nicht mehr anzutreten.

Die wahre Intention vor allem vieler gemäßigter westdeutscher AfD-Funktionäre, die zum einen durch den zwar glimpflichen, aber doch spürbaren Stimmverlust von 2,6 Prozent im Bund bei gleichzeitigem Bedeutungszuwachs der ostdeutschen Parteiverbände (14 Direktmandate in Sachsen und Thüringen) ins Hintertreffen geraten sind, dürfte eine ganz andere gewesen sein: Viele von ihnen schielten wohl darauf, über eine bündnis- und „mehrheitsfähigere“ AfD an lukrative Posten gelangen zu können, und die Partei damit mittel- bis langfristig zum Vehikel ihrer wirtschaftlichen Vollversorgung in öffentlichen Ämtern zu machen, in ganz ähnlicher Weise, wie dies in den etablierten Parteien der Fall ist.

Diese stillschweigende Erwartungshaltung, diese egozentrischen Ambitionen waren freilich nie mit der glaubhaften Verkörperung einer grundlegend anderen Politik, einer gegen den reißenden Zeitgeiststrom ökosozialistischer, kulturmarxistischer, staatshöriger und supranationalistischer Ideen gerichteten Realopposition vereinbar.  Das musste letztlich wohl auch der Diplom-Volkswirt und Hochschulprofessor Meuthen zähneknirschend einsehen, der vielleicht sogar gehofft haben mag, als erster AfD-Mann Regierungsverantwortung mitzuübernehmen.

Pfründe statt Ideale

2017 folgte Meuthen, Parteivorsitzender seit Juli 2015, seiner Parteigenossin Beatrix von Storch als Nachrücker auf deren lukratives Mandat im Europäischen Parlament – und verlagerte damit ausgerechnet zu einem Zeitpunkt seine Präsenz in Richtung Brüssel und Straßburg verlagerte, da seine Partei erstmals den historischen Einzug in den Bundestag geschafft hatte. Diese sonderbare Prioritätensetzung irritierte schon damals weite Teile der AfD-Basis. Dass sich Meuthen dem politischen Tagesgeschäft als Parteivorsitzender einer erstmals im Bundestag vertretenen Partei entzog, wirkte sich wenig später vor allem durch den zeitgleichen Rückzugsskandal seiner Co-Vorsitzenden Frauke Petry verheerend aus. Spätestens seitdem verlor er zunehmend an Autorität – selbst dort, wo er sie zuvor noch uneingeschränkt genossen hatte. Mit der Wahl Tino Chrupallas in den Bundesvorstand vor zwei Jahren an Meuthens Seite nahm die Ost-Partei dann auch institutionell die Zügel in die Hand. Als Bundesvorstand ist Chrupalla, der gemeinsam mit Weidel nun auch die Fraktion führt, weiterhin definitiv gesetzt. Was immer Meuthen mit der AfD vorhatte: Spätestens bei diesen Kräfteverhältnissen muss er wohl eingesehen haben, dass er gescheitert ist. Insofern ist die Ankündigung seines Rückzug nur folgerichtig; eine „rechte Katastrophe“ für die Partei indes bedeutet dies ganz sicher nicht.

Das Problem der offen ausgetragenen, in der AfD lange Zeit ganz wörtlich zu nehmenden „Flügel“-Kämpfe war und ist für tendenziöse Gesinnungsmedien ein gefundenes Fressen. Tatsächlich bietet das uneinheitliche Außenbild der AfD unendlich viele Angriffsflächen für tendenziöse Verhinderungsjournalisten bzw. Medien-Aktivisten, aber auch für den politischen Gegner – und kostet die Partei in Bund wie Ländern zunehmend eine immense Zahl an Stimmen, und das trotz eines inhaltlich eigentlich reichhaltigen Wählerpotenzials, das sich von der wahrgenommenen Außenpräsentation dieser Partei jedoch zu Recht abgeschreckt fühlt.

Teilweise ist an der desolaten Selbstdarstellung der Partei deren nach wie konsequent „basisdemokratische“ Grundverfassung schuld, die die AfD – konkludent zur Programmforderung nach mehr direkter Demokratie und plebiszitären Elementen auf allen politischen Ebenen – in Wahrheit zu einer der demokratischsten, dafür aber auch undiszipliniertesten Parteien macht. Sie ist in dieser Hinsicht allenfalls vergleichbar mit den frühen Grünen der späten 1970er und frühen 1980er: So existiert bis heute kein Fraktionszwang in der AfD, und einen koordinierten Außenauftritt der Partei sucht man vergeblich. Was allerdings bei den damaligen Grünen von der Veröffentlichkeit als erfrischende Unkonventionalität mit großen Sympathien wohlwollend goutiert wurde, führt im Falle der AfD zu Hohn und Spott – und gar zu dem grotesken Ammenmärchen, es handele sich bei ihr um eine „undemokratische Partei. Das genaue Gegenteil ist der Fall; zuweilen ist man provokant geneigt zu sagen: Leider.

Verheerende Außenwirkung

Denn woran die AfD vor allem krankt (und an der Beseitigung dieses strukturellen Übels sind sowohl Lucke, Petry als auch Meuthen, vor allem aber der Fraktionsvorstand der ersten AfD-Legislaturperiode unter Gauland und Weidel kläglich gescheitert!), ist das Fehlen einer stringent arbeitenden Kommunikationszentrale in Berlin mit einem professionellen „Generalisten“ an der Spitze, der Medienstrategien beherrscht und diese gezielt ein- und umsetzen kann.

Dass jeder AfD-Hinterbänkler ins erstbeste Reportermikrofon gerade so drauflos plappert, wie ihm der Schnabel gewachsen ist; dass sich einzelne Abgeordnete während des Interviews eines Fraktionskollegen einmischen und ihm widersprechen; dass manche MdBs ihre Abgeordnetenbüros im Parlament für dubiose „Aktivisten“ öffnen; dass sich der Parteichef und die Fraktionsspitze vor laufenden Kameras ins Wort fallen und übereinander die Augen verrollen; dass tickende Zeitbomben und „Loose Colts“ wie im Falle des unsäglichen Pressesprechers Christian Lüdt – aufgrund exklusiver Beziehungen als „Buddies“ der Fraktionsspitze, außerhalb jeder Hierarchie –  parteischädigende und volksverhetzende Äußerungen absondern: All dies war und ist einem geradezu monströsen Kommunikationsproblem dieser Partei geschuldet.

Man kann getrost annehmen, dass dieser Dilettantismus, diese destruktive Unprofessionalität und offen zu Markte getragene Zerrissenheit die AfD in der Summe mindestens 5, wenn nicht 10 Prozent Stimmen gekostet hat. Gerade weil die Partei von zwei diametral entgegengesetzten Strömungen dominiert wird und einen ideellen wie geographischen „Ost-West-Konflikt“ durchläuft, der schlimmstenfalls sogar zu einer Spaltung führen könnte, wäre ein diszipliniertes, abgestimmtes Auftreten im Außenverhältnis zumindest in der Bundestagsfraktion wichtig, welches zentral koordiniert werden müsste. Das Instrument der Klausur, also interner Aussprache und Abstimmung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie es die CSU lange Jahre erfolgreich anwandte und es übrigens auch in der freien Wirtschaft seit jeher Usus ist, fehlt in der AfD völlig. Und es hat nicht den Anschein, als ob die neue Fraktionsspitze eine Notwendigkeit erblickte, hier Abhilfe zu schaffen.

Dringende Lösung des Kommunikationsproblems tut not

Ein PR-Profi als Medienkoordinator, der idealerweise gar nicht der Partei angehört und in den Medien (Funk, TV, Print, Neue Medien etc.) gut vernetzt ist, verbindlich und seriös auftritt und intern entsprechende klar definierte Kompetenzen samt Durchgriffsrechten erhält, könnte in dieser Partei wahre Wunder wirken – gerade weil die AfD, im Gegensatz zu allen anderen politischen Mitbewerbern, in der deutschen Medienlandschaft keine wohlwollende Berichterstattung (geschweige denn Nachsicht bei internen Holprigkeiten) zu erwarten hat. Ziel wäre mittelfristig der Aufbau einer strategischen Kommunikation, die alle Abgeordneten zur Einhaltung von Wording- und Umsetzungsmaßnahmen verpflichtet, im Stil einer Fraktions-Complianceregelung. Informelle Kontaktgruppen einzelner MdBs mit Journalisten, Alleingänge bei TV-Interviews, aber auch rivalisierende Freie-Medien-Konferenzen unter Ägide verschiedener Abgeordneter würde es dann nicht mehr geben.

Übrigens war man 2019 schon einmal fast so weit. Damals war ein solcher Medienprofi bereits gefunden und angeworben – doch kaum ins Amt eingeführt, wurde er schnell kaltgestellt. Vielleicht, weil er der damaligen Fraktionsspitze am Ende zu seriös war? Oder weckte er diffuse Ängste einzelner „Ego-Shooter“ und geltungssüchtigen Parteigranden vor der vermeintlichen Allmacht eines professionell arbeitenden Kommunikationsdirektors?

Statt dass sich die nun noch stärker sächsisch-thüringisch dominierte Fraktion und ihr Vorstand um Weidel/Chrupalla an ihrem Status einer veritablen Volkspartei im Osten berauschen (und dabei außer Acht lassen, dass trotz dieser lokalen Erfolge für einen deutschlandweiten perspektivischen Politikwechsel am ungleich bevölkerungsreichere Westen kein Weg vorbeiführt), wäre die AfD gut beraten, sich vom chaotischen „gärigen Haufen“ (Gauland) endlich zu einer disziplinierten Fraktion zu wandeln. Konkret bedeutet das: Die basisdemokratische Ausrichtung der AfD muss in ihren Auswüchsen begrenzt werden, um eine sinnvolle, poltisch-strategische Kommunikation zu gewährleisten, hin zu einer disziplinierten Fraktion, die gegebenenfalls bei Abstimmungen auch einem Fraktionszwang unterliegt! Mehr konstruktive Inhalte, weniger selbstgefälliges Geschwätz! Mit dem Geist einer moralischen Wende und politischer Erneuerung, in dem die AfD einst gegründet wurde, hat ihr gegenwärtiger Zustand der Partei wenig bis gar nichts zu tun. Sie krankt an hausgemachten Problemen. Der scheidende Parteivorsitzende Meuthen ist von diesen noch das geringste.

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