Mit dem Hauptdarsteller, der auch Männer küsst, und einem nackten Frauenteufel mit Zumpferl dürfte die morgige „Jedermann“-Premiere auf dem Domplatz in Salzburg vor allem für die heimische LGBTQ-Community ein besonderes Ereignis werden.
Warum nur, warum, ist die neue „Jedermann“-Inszenierung zu einer plumpen Anbiederung an den Zeitgeist verkommen? Lesbische, schwule, bisexuelle, transidente, queere, intergeschlechtliche und asexuelle Menschen stehen zurzeit hoch im Kurs und im Leben der Österreicher scheint LGBTIQ zurzeit allgegenwärtig zu sein (dazu auch mein Kommentar vom 19. Juli). Mutierte deshalb der neue Jedermann zum Bisexuellen, der nicht nur seine bauchfreie Buhlschaft, dargestellt von Valerie Pachner, abbusselt, sondern auch mit dem „Mammon“-Darsteller Mirco Kreibisch knutscht. Und läuft deshalb auch der nackte Teufel, gespielt von Sarah Victoria Frick, mit einem wackelnden Penis auf der Bühne herum?
Ich vermute, damit will Regisseur Michael Sturminger den strengen moralischen Inhalt des Jedermann-Werkes von Hugo von Hofmannsthal konterkarieren? Und wenn ja, warum? Ist die Botschaft des Stücks etwa auch aus der Zeit gefallen, weshalb er sich etwas Neues einfallen ließ? Aber wäre dieses Aufbegehren gegen eine klassische „Jedermann“-Inszenierung mit ihren ziemlich eindeutigen, hochmoralischen Botschaften nicht auch anders vermittelbar gewesen als durch einen „Zumpferl“-Teufel und durch einen Männermund küssenden Jedermann?
Dass dies möglich ist, haben zahlreiche enthusiastisch beklatschte Aufführungen der Vergangenheit gezeigt. Mit ihnen wurde man auch der Intention von Hofmannsthal voll und ganz gerecht. Ich weiß: Kunst muss immer Neues ausprobieren, so heißt es, und uns schmerzhafte Wahrheiten vermitteln, wie Feuilletonisten gern schwärmen. Aber ist die Tatsache, dass sich auch ein reicher Mann nichts mitnehmen kann und am Ende seiner Tage daran gemessen wird, wie viel Gutes oder Schlechtes er in seinem Leben machte, nicht ohnehin schon schmerzhalft genug?
Jeder Mann und auch jede Frau sollten ihr Leben so gestalten, dass sie sich auch noch im letzten Moment ihres Hinscheidens beruhigt in den Spiegel schauen und von sich sagen können: Ich habe mir nichts vorzuwerfen! Dies wäre die Lehre, die das Jedermann-Publikum auch heute noch aus Salzburg mit nach Hause nehmen kann.
Doch dies allein reicht manchen Regisseuren offenbar nicht mehr aus. Denn mit ihrer Art Kultur zu machen, wollen sie heute nicht nur altbewährte Stücke solide inszenieren, sondern gleichzeitig auch gegen ihren imaginären Feind ankämpfen, der für sie Populismus heißt. Darin sind sie sich mit den Feuilletonisten der Systemzeitungen einig. Doch inwieweit ein nacktes Teufelchen mit Zumpferl, um nur bei diesem einen Beispiel zu bleiben, zur Bekämpfung des Populismus‘ beitragen kann, ist mir schleierhaft. Eher das Gegenteil scheint mir der Fall zu sein.
Zum Autor: Kurt Guggenbichler war Mitbegründer und Chefredakteur des „Wochenblick“. Sein journalistisches Handwerk hat er bei der „Goslarschen Zeitung“ in Norddeutschland erlernt, wo er acht Jahre lang als Redakteur, Reporter und Kolumnist tätig war. Wieder zurück in seiner Heimat, arbeitete Guggenbichler in der Funktion eines Ressortleiters dann 25 Jahre lang für die „Oberösterreichischen Nachrichten“. Zum „Wochenblick“ wechselte er einige Zeit nach seiner Tätigkeit als Chefredakteur der Tageszeitung „Oberösterreichs Neue“ und für AUF1-Info ist Guggenbichler nun als Nachrichten-Redakteur, Kommentator und Reporter im Einsatz.
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