Horst D. Deckert

New Great Game kehrt zu den Grundlagen zurück

Von Pepe Escobar: Er ist ein brasilianischer Journalist, der eine Kolumne, The Roving Eye, für Asia Times Online schreibt und ein Kommentator auf Russlands RT und Irans Press TV ist. Er schreibt regelmäßig für den russischen Nachrichtensender Sputnik News und verfasste zuvor viele Meinungsbeiträge für Al Jazeera.

asiatimes.com: Die Russland-China-Iran-Allianz packt den Afghanistan-Stier bei den Hörnern

Der chinesische Außenminister Wang Yi befindet sich die ganze Woche über auf einer zentralasiatischen Rundreise. Er besucht Turkmenistan, Tadschikistan und Usbekistan. Die letzten beiden sind Vollmitglieder der vor 20 Jahren gegründeten Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

Die Schwergewichte der SCO sind natürlich China und Russland. Zu ihnen gesellen sich vier zentralasiatische „Stans“ (alle außer Turkmenistan), Indien und Pakistan. Entscheidend ist, dass Afghanistan und der Iran Beobachter sind, neben Weißrussland und der Mongolei.

Und das führt uns zu dem, was diesen Mittwoch in Duschanbe, der tadschikischen Hauptstadt, passiert. Die SCO wird 3 in 1 abhalten: Treffen des Außenministerrats, der SCO-Afghanistan-Kontaktgruppe und eine Konferenz mit dem Titel „Central and South Asia“: Regional Connectivity, Challenges and Opportunities“.

Am gleichen Tisch werden also Wang Yi, sein sehr enger strategischer Partner Sergej Lawrow und vor allem der afghanische Außenminister Mohammad Haneef Atmar sitzen. Sie werden über die Irrungen und Wirrungen nach dem Abzug des Hegemons und dem kläglichen Zusammenbruch des Mythos von der „Stabilisierung“ Afghanistans durch die NATO diskutieren.

Lassen Sie uns ein mögliches Szenario durchspielen: Wang Yi und Lawrow sagen Atmar unmissverständlich, dass es ein Abkommen zur nationalen Versöhnung mit den Taliban geben muss, das von Russland-China vermittelt wird, ohne amerikanische Einmischung, einschließlich des Endes der Opium-Heroin-Ratline.

Der chinesische Außenminister Wang Yi plaudert mit Gästen nach der Eröffnungszeremonie des Lanting Forums in Peking am 25. Juni. Foto: AFP / Jade Gao

Russland und China entlocken den Taliban ein festes Versprechen, dass der Dschihadismus nicht mehr geduldet wird. Das Endspiel: jede Menge produktive Investitionen, Afghanistan wird in die Belt and Road und – später – in die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) eingebunden.

Besonders aufschlussreich wird die gemeinsame Erklärung der SOZ am Mittwoch sein, in der vielleicht detailliert dargelegt wird, wie die Organisation im weiteren Verlauf einen faktischen Friedensprozess für Afghanistan koordinieren will.

In diesem Szenario hat die SCO nun die Chance, das umzusetzen, was sie seit Jahren aktiv diskutiert: dass nur eine asiatische Lösung für das afghanische Drama gilt.

Sun Zhuangzhi, Exekutivdirektor des chinesischen Forschungszentrums der SCO, bringt es auf den Punkt: Die Organisation ist in der Lage, einen Plan zu entwickeln, der politische Stabilität, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Entwicklung und eine Roadmap für Infrastrukturprojekte miteinander verbindet.

Die Taliban stimmen zu. Sprecher Suhail Shaheen betont: „China ist ein befreundetes Land, das wir für den Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans begrüßen.“

Wieder auf der Seidenstraße

Nach der wirtschaftlichen Konnektivität ist ein weiteres Motto der SOZ, das von Peking seit den frühen 2000er Jahren gefördert wird, die Notwendigkeit, die „drei Übel“ zu bekämpfen: Terrorismus, Separatismus und Extremismus. Alle SCO-Mitglieder sind sich der dschihadistischen Metastasen, die Zentralasien bedrohen, sehr wohl bewusst – von ISIS-Khorasan bis hin zu zwielichtigen uigurischen Gruppierungen, die derzeit in Idlib in Syrien kämpfen, sowie der (schwindenden) Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU).

Die Taliban sind ein weitaus komplexerer Fall. Sie werden von Moskau immer noch als terroristische Organisation gebrandmarkt. Doch auf dem neuen, sich schnell entwickelnden Schachbrett wissen sowohl Moskau als auch Peking, wie wichtig es ist, die Taliban in eine Diplomatie mit hohem Einsatz einzubinden.

Taliban-Kämpfer haben in den vergangenen zwei Wochen große Teile Afghanistans eingenommen. Bild: AFP / Aref Karimi

Wang Yi hat Islamabad – Pakistan ist Mitglied der SOZ – bereits zu verstehen gegeben, dass ein trilateraler Mechanismus mit Peking und Kabul eingerichtet werden muss, um eine machbare politische Lösung für Afghanistan voranzutreiben und gleichzeitig die Sicherheitsfront zu managen.

Aus chinesischer Sicht geht es hier um den vielschichtigen China-Pakistan Economic Corridor (CPEC), in den Peking Kabul einbeziehen will. Hier ist ein detaillierter CPEC-Fortschrittsbericht.

Zu den Bausteinen gehört der bereits 2017 zwischen China Telecom und Afghan Telecom geschlossene Deal zum Bau eines Glasfaserkabelsystems Kashgar-Faizabad, das dann zu einem Seidenstraßensystem China-Kirgisistan-Tadschikistan-Afghanistan ausgebaut werden soll.

In direktem Zusammenhang damit steht das im Februar unterzeichnete Abkommen zwischen Islamabad, Kabul und Taschkent über den Bau einer Eisenbahnlinie, die Afghanistan tatsächlich zu einem wichtigen Knotenpunkt zwischen Zentral- und Südasien machen könnte. Nennen Sie es den SCO-Korridor.

All das wurde durch ein entscheidendes trilaterales Treffen zwischen den Außenministern Chinas, Pakistans und Afghanistans im letzten Monat gefestigt. Das Team Ghani in Kabul erneuerte sein Interesse, an Belt and Road angeschlossen zu werden – was in der Praxis auf eine erweiterte CPEC hinausläuft. Die Taliban haben letzte Woche genau das Gleiche gesagt.

Wang Yi weiß sehr wohl, dass der Dschihadismus es auf CPEC abgesehen haben wird. Allerdings nicht die afghanischen Taliban. Und nicht die pakistanischen Taliban (TTP), da etliche CPEC-Projekte (z.B. Glasfaser) die Infrastruktur in Peschawar und Umgebung verbessern werden.

Afghanistan in der Handelskonnektivität mit CPEC und ein Schlüsselknotenpunkt der Neuen Seidenstraßen könnte nicht sinnvoller sein – auch historisch, da Afghanistan immer in die alten Seidenstraßen eingebettet war. Crossroads Afghanistan ist das fehlende Glied in der Konnektivitätsgleichung zwischen China und Zentralasien. Der Teufel steckt natürlich in den Details.

Die iranische Gleichung

Für den Westen gibt es noch die iranische Gleichung. Die kürzlich gefestigte strategische Partnerschaft zwischen Iran und China könnte schließlich zu einer engeren Integration führen, wenn CPEC auf Afghanistan ausgeweitet wird. Die Taliban sind sich dessen sehr wohl bewusst. Als Teil ihrer aktuellen diplomatischen Offensive waren sie in Teheran und haben alle richtigen Geräusche in Richtung einer politischen Lösung gemacht.

Eine Karte zeigt die Route des chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridors. Foto: Wikimedia Commons/ Wanishahrukh

Ihre gemeinsame Erklärung mit dem iranischen Außenminister Javad Zarif privilegiert Verhandlungen mit Kabul. Die Taliban verpflichten sich, Angriffe auf Zivilisten, Schulen, Moscheen, Krankenhäuser und NGOs zu unterlassen.

Teheran – Beobachter bei der SCO und auf dem Weg zum Vollmitglied – spricht aktiv mit allen afghanischen Akteuren. Nicht weniger als vier Delegationen waren letzte Woche zu Besuch. Der Leiter des Kabuler Teams war der ehemalige afghanische Vizepräsident Yunus Qanooni (ebenfalls ein ehemaliger Warlord), während die Taliban von Sher Mohammad Abbas Stanikzai angeführt wurden, der ihr politisches Büro in Doha leitet. Das alles deutet auf eine ernste Angelegenheit hin.

Es gibt bereits 780’000 registrierte afghanische Flüchtlinge im Iran, die in Flüchtlingsdörfern entlang der Grenze leben und sich nicht in größeren Städten niederlassen dürfen. Aber es gibt auch mindestens 2,5 Millionen Illegale. Kein Wunder, dass Teheran aufhorchen muss. Zarif ist wieder einmal ganz auf einer Linie mit Lawrow – und übrigens auch mit Wang Yi: Ein ununterbrochener Zermürbungskrieg zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban könne nur zu „ungünstigen“ Konsequenzen führen.

Die Frage, die sich für Teheran stellt, dreht sich um den idealen Rahmen für Verhandlungen. Das würde auf die SCO hindeuten. Immerhin nimmt der Iran seit mehr als zwei Jahren nicht mehr am Schneckentempo des Doha-Mechanismus teil.

In Teheran tobt eine Debatte darüber, wie man mit der neuen afghanischen Gleichung praktisch umgehen soll. Wie ich vor weniger als drei Jahren in Mashhad mit eigenen Augen gesehen habe, könnte die Migration aus Afghanistan – dieses Mal von Facharbeitern, die vor dem Vormarsch der Taliban fliehen – der iranischen Wirtschaft tatsächlich helfen.

Luftaufnahme von Mashhad. Foto: Wikipedia

Der Generaldirektor des Westasien-Referats im iranischen Außenministerium, Rasoul Mousavi, bringt es auf den Punkt: „Die Taliban ergeben sich“ dem afghanischen Volk. „Sie sind nicht von der traditionellen Gesellschaft Afghanistans getrennt, sie waren immer ein Teil von ihr. Außerdem haben sie militärische Macht.“

Vor Ort im Westen Afghanistans, in Herat – verbunden durch einen viel befahrenen Autobahnkorridor über die Grenze nach Mashhad – sind die Dinge komplizierter. Die Taliban kontrollieren jetzt den größten Teil der Provinz Herat, mit Ausnahme von zwei Bezirken.

Der legendäre örtliche Warlord Ismail Khan, jetzt Mitte 70 und mit einer überladenen Geschichte im Kampf gegen die Taliban, hat Milizen eingesetzt, um die Stadt, den Flughafen und die Außenbezirke zu bewachen.

Dennoch haben die Taliban in diplomatischen Gesprächen mit China, Russland und dem Iran bereits geschworen, dass sie nicht vorhaben, bei irgendjemanden „einzumarschieren“ – sei es in den Iran oder in die zentralasiatischen „Stans“. Taliban-Sprecher Suhail Shaheen betonte, dass der grenzüberschreitende Handel in verschiedenen Breitengraden, von Islam Quilla (im Iran) bis Torghundi (in Turkmenistan) und über das nördliche Tadschikistan, „offen und funktionsfähig bleiben wird.“

Dieser Nicht-Rückzug

In einer sich schnell entwickelnden Situation kontrollieren die Taliban jetzt mindestens die Hälfte der 400 Bezirke Afghanistans und „bestreiten“ Dutzende von anderen. Sie kontrollieren einige wichtige Autobahnen (man kann zum Beispiel nicht auf der Straße von Kabul nach Kandahar fahren, ohne Taliban-Kontrollpunkte zu passieren). Sie halten keine einzige Großstadt, noch nicht. Mindestens 15 von 34 regionalen Hauptstädten – einschließlich des strategisch wichtigen Mazar-i-Sharif – sind eingekesselt.

Die afghanischen Nachrichtenmedien, die immer sehr lebhaft sind, haben begonnen, einige schwierige Fragen zu stellen. Zum Beispiel: ISIS/Daesh gab es im Irak vor der US-Invasion und Besatzung 2003 nicht. Wie kommt es also, dass ISIS-Khorasan direkt vor der Nase der NATO entstanden ist?

Innerhalb der SCO, so sagten mir Diplomaten, gibt es einen weitreichenden Verdacht, dass die Agenda des tiefen Staates der USA darin besteht, die Flammen des drohenden Bürgerkriegs in Afghanistan zu schüren und ihn dann auf die zentralasiatischen „Stans“ auszudehnen, komplett mit zwielichtigen Dschihad-Kommandos, gemischt mit Uiguren, die auch Xinjiang destabilisieren.

Da dies der Fall ist, wäre der Nicht-Rückzug – was mit all den verbleibenden 18’000 Auftragnehmern/Soldaten des Pentagons, plus Spezialkräften und CIA-Schwarzeinsatztypen – eine Tarnung, die Washington eine neue Erzählung ermöglicht: Die Regierung in Kabul hat uns eingeladen, ein „terroristisches“ Wiederauftauchen zu bekämpfen und eine Spirale zum Bürgerkrieg zu verhindern.

Amerikanische Soldaten holen ihre Seesäcke ab, nachdem sie am 10. Dezember 2020 in Fort Drum, New York, von einem neunmonatigen Einsatz in Afghanistan heimgekehrt sind. Angeblich sollen alle US-Truppen bis zum 11. September 2021 aus Afghanistan abziehen. Bild: AFP / John Moore / Getty Images

Das langwierige Endspiel würde wie ein Win-Win-Hybrid-Krieg für den tiefen Staat und seine NATO Arm aussehen.

Nun, nicht so schnell. Die Taliban haben alle „Stans“ in unmissverständlichen Worten davor gewarnt, US-Militärbasen zu beherbergen. Und selbst Hamid Karzai hat zu Protokoll gegeben: genug mit der amerikanischen Einmischung.

All diese Szenarien werden an diesem Mittwoch in Duschanbe im Detail diskutiert. Ebenso wie der erfreuliche Teil: die – nun sehr realistische – zukünftige Einbindung Afghanistans in die Neue Seidenstraße.

Zurück zu den Grundlagen: Afghanistan kehrt mit Stil ins Herz des New Great Game des 21Jahrhundert zurück.

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