In einem Brief, der am 10. Juni in spanischer Sprache verfasst wurde, lehnte Papst Franziskus den Rücktritt ab, den der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, am 21. Mai eingereicht hatte, und bat ihn, an der Spitze seiner Diözese zu bleiben.
In seinem Rücktrittsschreiben sprach der deutsche Prälat von „Versäumnissen auf persönlicher Ebene“, aber auch „auf institutioneller und systematischer Ebene“, eine regelrechte Denunziation der Kirche in Deutschland. Marx klagte auch einige seiner Mitbrüder an, die, wie er sagte, „diesen Aspekt der Mitverantwortung und damit die schuldhafte Beteiligung der Institution nicht akzeptieren wollen“ und „eine Haltung einnehmen, die jedem Dialog der Reform und Erneuerung in Bezug auf die Krise des sexuellen Missbrauchs feindlich gegenübersteht“.
Der einzige Weg aus der Krise, so der Kardinal, sei „der ’synodale Weg‘, ein Weg, der wirklich die ‚Unterscheidung der Geister‘ ermöglicht.
Die italienische Tageszeitung La Nuova Bussola Quotidiana (LNBQ) erinnert daran, dass dieser Weg eine Überprüfung der gesamten Morallehre der Kirche über die Sexualität beinhaltet hat. Der erste Akt der deutschen Synode, als Marx noch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, endete mit einer „freien Interpretation“ der kirchlichen Lehre zu Zölibat, Homosexualität und Sexualität. Marx hatte erklärt: „Einerseits halten wir uns an die Ordnung der Kirche, andererseits interpretieren wir sie frei und offen. Und wir versuchen, etwas zu machen, was es in dieser Form bei uns noch nie gegeben hat.“
Angesichts des Widerstands gegen seine Vorschläge für linke Reformen entschloss sich Kardinal Marx zum Rücktritt. Diese Initiative kann als „offensichtlicher Versuch gedeutet werden, die Hand in Richtung der radikalen ‚Reformen‘ zu zwingen, die der Synodale Weg mit einem Knall vorantreibt, eine Botschaft, die durch das ‚persönliche Zeugnis‘ bekräftigt wird, das von diesem Rücktritt ausgeht, der als eine Geste der Mitverantwortung gesehen wird, jener Mitverantwortung, die ‚die anderen‘ nicht akzeptieren wollen. Ein Anschein von Bescheidenheit, der dennoch den Willen verrät, sofort mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die seine Reformen nicht wollen“, fährt LNBQ in einer alles in allem stimmigen Analyse fort, und dabei bleibt es nicht:
Im zweiten Akt der Geschichte lehnt Franziskus in einem Brief das großzügige Angebot des Erzbischofs ab, den Bischofssitz von Ratzinger zu übernehmen. “Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie die traurige Geschichte des sexuellen Missbrauchs und die Art und Weise, wie die Kirche bis vor kurzem damit umgegangen ist, als eine Katastrophe bezeichnen. Sich dieser Heuchelei in der Art, wie wir unseren Glauben leben, bewusst zu werden, ist eine Gnade, es ist ein erster Schritt, den wir tun müssen“, schreibt der Papst. Er weist auf den Weg der Kirchenreform als eine Reform des Selbst hin, “gemacht von Männern und Frauen, die sich nicht scheuten, in eine Krise zu gehen und sich vom Herrn reformieren zu lassen.“ Sich selbst in Gefahr zu begeben, um die Reform nicht zur Ideologie zu machen, in der “Art und Weise, die Sie selbst, lieber Bruder, bei der Präsentation Ihres Rücktritts angenommen haben“, wenn stattdessen das, was der Papst in seinem Brief die “Politik des Straußes“ nennt, “Schweigen, Auslassungen, zu viel Gewicht auf das Prestige von Institutionen legen, die nur zum persönlichen und historischen Bankrott führen.“
Indem Franziskus den Rücktritt von Kardinal Marx ablehnt, so die Schlussfolgerung von LNBQ, „verschweigt er den Hinweis auf den synodalen Weg als Ausweg aus der Krise; damit besteht aber die Gefahr, dass das eigentliche Problem des sexuellen Missbrauchs vernebelt wird, um zu verhindern, dass wir sehen, dass die Kirche in Deutschland in jeder Hinsicht in Schieflage ist und dass der synodale Weg nicht die Lösung, sondern der Beschleuniger dieser Probleme ist.“
Quelle: MPI