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Putsch-Paranoia: Wann werden Umsturz-Ängste selbst zum Problem?
„Umsturzphantasien“, „Vertreibungsplänen“ und Staatsstreiche wo man auch hinsieht. Dabei sind die meisten Beispiele nicht vergleichbar. Und auch der übertriebene Kampf gegen Umstürze kann eine Demokratie untergraben.
von Jonas Aston
Es ist der 13. März 1920. Die Weimarer Republik existierte noch nicht einmal zwei Jahre als General Walther von Lüttwitz und Erich Ludendorff gemeinsam mit Wolfgang Kapp den Versuch unternahmen, die gewählte Regierung unter Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) zu stürzen. Die Putschisten planten den Versailler Vertrag einseitig aufkündigen. Dieser sah vor, dass von den 300.000 verbliebenen Soldaten weitere 200.000 entlassen werden sollten.
Hochrangige Militärs schlossen sich daraufhin gegen die erste Regierung der Weimarer Republik zusammen, Lüttwitz drang mit der Brigade Ehrhardt ins Berliner Regierungsviertel ein. Die Reichswehr verweigerte der gewählten Regierung ihre Unterstützung. Generaloberst Hans von Seeckt soll Aufforderungen zum Widerstand mit der Aussage „Truppe schießt nicht auf Truppe“ ignoriert haben.
Die Reichsregierung floh aus Berlin. Deutschland versank im Chaos. Durch einen beherzten Aufruf durch die Gewerkschaften und die gewählte Regierung wurde das Land ab dem 15. März 1920 lahmgelegt. Mit 12 Millionen Teilnehmern markiert das bis heute den größten Streik in der deutschen Geschichte. In Berlin wurde Gas-, Wasser und Elektrizitätswerke sowie öffentliche Verkehrsmittel lahmgelegt. Auch die Beamten in Berlin missachteten die Anweisungen der Putschisten. Am 17. März scheiterte der Kapp-Putsch aufgrund des Widerstands der Bevölkerung endgültig.
Kein Putsch ohne hochrangige Militärs oder Verwaltungsbeamte
In der deutschen Geschichte ereigneten sich noch einige weitere Putsch-Versuche. 1923 schloss sich Erich Ludendorff etwa mit Adolf Hitler zusammen. Sie planten von München ausgehend auf Berlin zu marschieren und die Regierungsgewalt zu übernehmen. Doch noch in München konnten Hitler und Ludendorff gestoppt werden. Wenige Jahre später gelangte Hitler dennoch – ganz ohne Putsch – an die Macht.
Am 20. Juli 1944 versuchte dann Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Hitler zu töten und die NS-Regierung gewaltsam zu stürzen. Die Bombe, die in der „Wolfschanze“ deponierte wurde, verletzte Hitler jedoch nur leicht. Insbesondere dank Stauffenbergs Heldenmuts gelang es dennoch zeitweise Teile des Landes unter Kontrolle zu bringen, in Paris wurde gar die SS entwaffnet. Doch die Erfolge währten nur kurz. Noch in derselben Nacht wurden Stauffenberg, Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht im Bendlerblock in Berlin hingerichtet. Es sollte das Größte bleiben, dass Deutschland im Kampf gegen die Verbrechen des Nationalsozialismus aufbringen konnte – doch der Umsturz scheiterte, trotz eines weit vernetzten Kreises vor allem innerhalb der Wehrmacht.
All diese Putschversuche eint, dass hochrangige Führungskräfte, insbesondere aus Militär und Verwaltung, sich zusammengeschlossen haben und die Macht der jeweiligen Regierung ernsthaft infrage stellten. Und sie alle scheiterten dennoch.
Im Deutschland des 21. Jahrhunderts konnte ein weiterer Putsch-Versuch nur um Haaresbreite verhindert werden, zumindest wenn man der öffentlichen Darstellung traut. Eine Gruppe rund um den 72-jährigen mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß soll sich gebildet und einen Staatsstreich anvisiert haben. Die Verschwörer hätten einen neuen Staat nach dem Vorbild des Kaiserreichs von 1871 errichten wollen. Rund 3000 Polizisten durchsuchten rund 180 Häuser und Wohnungen und nahmen 25 Personen fest. Die SPD-Bundestagsfraktion verkündete hierzu: „Unsere Demokratie bleibt wehrhaft! Mit dem größten Anti-Terroreinsatz unserer Geschichte wurde ein Staatsstreich verhindert“.
Der Wahn von Umsturz
Doch wann wird die Angst vor dem Umsturz zum Wahn? Und wann wird der Slogan „wehret den Anfängen“ selbst zur Bedrohung? Historisch gibt es nicht nur Beispiele, wie durch Staatsstreiche Demokratien untergingen – sondern auch wie Regierungen mit dem permanenten Schreckensszenario von Umstürzen Freiheiten abschafften.
„Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Menschen im Land“ wiederholt Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gebetsmühlenartig. Ein Blick in die Statistiken offenbart etwas anderes. Die Zivilgesellschaft wird dennoch permanent dazu aufgerufen sich an Protesten gegen Rechtsextremismus zu beteiligen.
Glaubt man Kanzler Scholz hat die Bundesregierung dabei auch größten Erfolg. „Von Köln bis Dresden, von Tübingen bis Kiel hunderttausende gehen in diesen Tagen auf die Straße, um Gesicht zu zeigen – für unsere Demokratie gegen Rechtsextremismus“, erklärt Scholz aktuell in einer seiner seltenen Ansprachen. Hintergrund dieser flächendeckenden Massendemonstration sei eine „Geheimkonferenz“ von „Extremisten“ gewesen bei der man geplant hätte wie man „Millionen von Menschen aus unserem Land vertreiben“ könne.
Scholz spielt hier auf ein Treffen von drei AfD-Politkern der zweiten Reihe mit dem Aktivisten der Identitären Bewegung Martin Sellner in Potsdam an. Der AfD zu unterstellen sie hätte hier einen Plan zur massenhaften Deportation von Migranten entwickelt, ist lächerlich. Hinweise auf die Wannsee-Konferenz, die „nur wenige Kilometer entfernt“ stattgefunden hätte, sind geschichtsvergessen. Doch der Wahn vom kurz bevorstehenden Umsturz zieht sich durch.
„Angriff auf Habeck“, „versuchte Erstürmung“ titelten zahlreiche Medien noch vor kurzem als Habeck mit einer Fähre in den Hafen von Schlüttsiel einfahren wollte. Mit Schaum vor dem Mund inszenierten Medien und Politik eine lebensbedrohliche Situation für den Wirtschaftsminister. Womöglich haben einige Bürger über die Stränge geschlagen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen vergleichbar harmloser Straftaten wie Landfriedensbruch oder Nötigung. Doch das Narrativ der „Erstürmung“ hat sich längst aufgelöst. Die Polizei bestätigte, dass es einen Sturm auf Habecks Fähre nie gegeben hatte.
Selbst bei den Bauernprotesten wurde vorsorglich die Verfassungstreue der Teilnehmer angezweifelt. „Umsturzphantasien“ unterstellte Habeck Teilen des Protests. Immer wieder wurden die Demonstranten aufgefordert sich von „rechts“ zu distanzieren. Der „Rechtsextremismusforscher“ Michael Quent empfahl den Bauern deswegen sich Regenbogenflaggen an die Trecker zu hängen. In Wahrheit ging es nur darum legitimen Protest zu „delegitimieren“ und die Kritik an der Ampel nicht zu groß werden zu lassen.
Der Putsch der Pensionäre
Mit welchem Eifer man den Umsturz von Rechts herbeiphantasiert zeigt sich am deutlichsten bei dem „Putschversuch“ der Gruppe um Prinz Reuß. Diesen ernsthaft einen Putsch zuzutrauen, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Bei den sogenannten Verschwörern handelte es sich um Personen, die sich zu großen Teilen längst im Pensionsalter befinden. Bedeutende Persönlichkeiten des Militärs oder der Verwaltung haben sich nicht in der Gruppe um Prinz Reuß befunden. Weder der BKA-Chef noch ein LKA-Vorsitzender und nicht einmal der Präsident eines Oberlandesgerichts befand sich unter den „Verschwörern“.
Bei den Hausdurchsuchungen wurden mehrere hundert Waffen sichergestellt. Hierunter sollen sich jedoch auch zahlreiche Schwerter und Armbrüste befunden haben. Dass ein Häufchen von Rentnern mit Waffen aus dem Mittelalter ernsthaft eine Gefahr für den Staat mit rund 500.000 Polizisten und Soldaten darstellen soll, ist wohl kaum jemandem vermittelbar. Nicht einmal im Ansatz hatte Prinz Reuß die Mittel oder die Unterstützung über die Putschisten Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland verfügten.
Dieser sogenannte „Putschversuch“ offenbart eine Krise in gleich mehrfacher Hinsicht. Zum einen scheint die Regierung es für notwendig zu halten, ihre rigorose Durchsetzungskraft gegenüber dem Durchschnittsbürger zur Schau zu stellen. Zum anderen ist es besorgniserregend, wenn gleich mehrere Medienhäuser und zahlreiche Kamerateams sich bereitwillig zur Verfügung stellen, die angebliche Durchschlagskraft des Staates zu dokumentieren. Überbordende Zuwanderung, Corona-Spätfolgen und Schulden in Milliardenhöhe gerieten in Vergessenheit. Schließlich waren dutzende Medienhäuser damit beschäftigt, über den gerade noch vereitelten Putsch von Prinz Reuß zu berichten.
Hofberichterstattung im Namen der Demokratie
Die Linke-Bundestagsabgeordnete Martina Renner erklärte zum Zeitpunkt der Razzia etwa gegenüber n-tv: „Ich selbst wusste seit Mitte letzter Woche bereits davon und weiß außerdem von mehreren Medien, die schon seit zwei Wochen Kenntnis hatten. Es waren die Namen der Beschuldigten bekannt, ihre Adresse und der geplante Zeitpunkt des Zugriffs.“ Statt dem kritischen Beobachter hat man den untergebenen Hofberichterstatter gespielt und das nur um einige spektakuläre Bilder zu erhaschen.
Der Preis hierfür ist die Unabhängigkeit. Wer in seiner Berichterstattung von Insider-Tipps der Regierung abhängig ist, kann nie wieder glaubwürdigen kritischen Journalismus betreiben. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Rolle von Innenministerin Nancy Faeser. Werden interne Informationen an die Presse weitergegeben, besteht die Gefahr, dass sich eine geplante Razzia auch anderweitig herumspricht. Wenn die mutmaßlichen Putschisten so gefährlich sind wie behauptet, hat Faeser ihre Beamten offenbar mutwillig in Gefahr gebracht.
Das Mantra von dem gerade noch vereitelten Putsch wird wohl noch einige Zeit aufrechterhalten werden. Deutschland dürfte ein interessantes Gerichtsverfahren bevorstehen. Vor rund zwei Wochen hat die Bundesanwaltschaft offiziell Klage wegen Hochverrat gegen die angeblichen Verschwörer erhoben. Es wurden 25.000 Aktenseiten gesammelt, weitere Datenträger wurden noch nicht ausgewertet. Von den ursprünglich 69 Beschuldigten stehen 27 vor Gericht. Das Urteil soll frühestens in drei Jahren verkündet werden.
Der Kampf um „die Demokratie“ ist zu einer permanenten Lust an Weimar verkommen. Überall wittert man rechte „Umstürze“. Der Kollaps der Demokratie und gar der Untergang der Bundesrepublik Deutschland als solche wird herbeiphantasiert. Doch diese Phantasien sind längst selbst gefährlich.
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