Horst D. Deckert

Raketengefecht an Israels Nordgrenze: Der Libanon warnt vor neuem Kriegsausbruch

Der fragile Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon steht erneut auf der Kippe. Am Samstag kam es zu einem folgenschweren Schlagabtausch, der die gesamte Region wieder an den Rand eines umfassenden Krieges bringen könnte – ein beunruhigendes Déjà-vu nach dem monatelangen Konflikt, der erst kürzlich unter amerikanisch-französischer Vermittlung beendet wurde.

Die israelischen Streitkräfte (IDF) meldeten am Samstag den Abschuss von drei Projektilen aus dem Libanon auf israelisches Gebiet, während drei weitere Geschosse auf libanesischem Territorium niedergingen. Diese Attacke, die erste größere Auseinandersetzung seit Monaten, veranlasste das israelische Militär zu einer umgehenden und entschiedenen Antwort: Eine Welle von Luftangriffen gegen “Dutzende Hisbollah-Raketenwerfer” sowie ein Kommandozentrum der schiitischen Miliz. Die

Hisbollah (Hizb Allah, Partei Gottes) distanzierte sich von den Raketenangriffen. “Wir bekräftigen unser Festhalten am Waffenstillstandsabkommen und stehen hinter dem libanesischen Staat bei der Bewältigung dieser gefährlichen zionistischen Eskalation gegen den Libanon”, erklärte die vom Iran unterstützte paramilitärische Islamistenmiliz in einer offiziellen Stellungnahme.

Die BBC unterstrich die Brisanz der Situation: “Dies ist die schlimmste Gewalt seit Inkrafttreten des fragilen, von den USA und Frankreich vermittelten Waffenstillstands.” Die Glaubwürdigkeit der Hisbollah-Erklärung wird von Beobachtern unterschiedlich bewertet. Skeptiker verweisen auf die komplexe Kommandostruktur der Organisation und die Möglichkeit, dass einzelne Zellen ohne zentrale Autorisierung gehandelt haben könnten.

Der libanesische Ministerpräsident Nawaf Salam warnte eindringlich vor einer gefährlichen Eskalationsspirale: “Der Libanon steht am Rande eines neuen Krieges”, mahnte er in einer Krisensitzung seines Kabinetts. “Alle sicherheitspolitischen und militärischen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um zu zeigen, dass der Libanon in Fragen von Krieg und Frieden selbst entscheidet.”

In einer offiziellen Erklärung hieß es weiter: “Salam warnte vor erneuten militärischen Operationen an der Südgrenze, wegen der Risiken, die sie bergen, das Land in einen neuen Krieg zu ziehen, der dem Libanon und dem libanesischen Volk Leid bringen wird.” Die Besorgnis des Regierungschefs ist nicht unbegründet – das Land befindet sich noch immer in einem schmerzhaften Wiederaufbauprozess, nachdem israelische Luftangriffe als Reaktion auf Hisbollah-Angriffe auf Israel ganze Stadtviertel vor allem im südlichen Beirut dem Erdboden gleichgemacht hatten.

Militäranalysten sehen in dem jüngsten Schlagabtausch beunruhigende Parallelen zur Situation nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober 2023. Damals führte Israel über ein Jahr lang einen Mehrfrontenkrieg – gegen die Hamas im Gazastreifen und gegen die Hisbollah im Libanon. Die israelischen Kampfflugzeuge, die nun wieder über libanesischem Territorium gesichtet wurden, könnten ein Vorbote einer erneuten Ausweitung des Konflikts sein.

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant hatte bereits vor Wochen erklärt: “Wir werden keinen Zustand dulden, in dem unsere Bürger im Norden Israels nicht sicher in ihre Häuser zurückkehren können.” Diese klare Positionierung verdeutlicht Israels Entschlossenheit, auch nach der Vereinbarung eines Waffenstillstands die Sicherheit seiner Nordgrenze mit allen Mitteln zu gewährleisten.

Die jüngsten Entwicklungen senden Schockwellen durch die gesamte Region und alarmieren internationale Vermittler. Das amerikanisch-französische Tandem, das den Waffenstillstand ausgehandelt hatte, steht nun vor der Herausforderung, einen vollständigen Zusammenbruch der Vereinbarung zu verhindern. Der iranische Einfluss bleibt dabei ein entscheidender Faktor. Als Hauptsponsor der Hisbollah hat Teheran maßgeblichen Einfluss auf das strategische Kalkül der schiitischen Miliz. Gleichzeitig verschärft sich die Konfrontation zwischen Israel und dem Iran nach zahlreichen gegenseitigen Attacken und der wachsenden Sorge um das iranische Atomprogramm.

Die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah sind Teil eines größeren regionalen Machtkampfes. Die schiitische Miliz, die sowohl als politische Partei im libanesischen Parlament vertreten ist als auch über einen schlagkräftigen militärischen Flügel verfügt, steht im Zentrum eines komplizierten Geflechts aus Allianzen und Feindschaften. Während der Iran die Hisbollah als unverzichtbaren Verbündeten in seiner “Achse des Widerstands” gegen Israel betrachtet, sehen die USA und ihre arabischen Partner in der Organisation einen destabilisierenden Faktor. Diese gegensätzlichen Perspektiven erschweren eine dauerhafte diplomatische Lösung.

Der ehemalige israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Danny Danon, formulierte es kürzlich unmissverständlich: “Die Hisbollah ist kein libanesisches Problem – sie ist ein iranisches Problem auf libanesischem Boden.” Diese Wahrnehmung unterstreicht die komplexe Natur des Konflikts, der weit über einen bilateralen Streit hinausgeht. Die kommenden Tage werden zeigen, ob es sich bei dem jüngsten Schlagabtausch um einen isolierten Zwischenfall handelt oder um den Beginn einer neuen Gewaltspirale. Diplomatische Bemühungen laufen auf Hochtouren, um eine weitere Eskalation zu verhindern.

Die strategischen Interessen der beteiligten Akteure scheinen jedoch zunehmend unvereinbar. Israel besteht auf umfassenden Sicherheitsgarantien für seine nördlichen Gemeinden, während die Hisbollah ihre Rolle als militärischer “Widerstand” gegen Israel als existenziellen Daseinszweck definiert. In dieser angespannten Situation könnte jeder weitere Raketenangriff oder Luftschlag den zerbrechlichen Waffenstillstand endgültig zum Einsturz bringen.

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