Horst D. Deckert

«Reporter ohne Grenzen» machen sich Sorgen um die Pressefreiheit

«Journalismus ist der beste Impfstoff gegen Desinformation», erklärte Christophe Deloire, Generalsekretär der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen International (RSF) in der vergangenen Woche gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP). Seine Aussage machte er im Rahmen der Präsentation des neuen «Welt-Pressefreiheits-Index», in dem die journalistische Lage in 180 Ländern der Welt bewertet wird.

Selbst in lateinamerikanischen Medien fanden Deloires Worte Widerhall. Wie in El Salvador, einem der Länder, in denen die Berichterstattung über die Corona-Pandemie «erheblich behindert» wird. Dort wurde in der Online-Ausgabe von El Mundo eine Originalbotschaft der AFP publiziert: «RSF prangert an: Journalismus in mehr als 130 Ländern blockiert.»

Zum gleichen deprimierenden Ergebnis kommt auch die deutsche Dependance von Reporter ohne Grenzen. Auf deren Website ist zu lesen, dass die Pressefreiheit in «fast drei Viertel der Länder bedeutend eingeschränkt» ist. In 73 von 180 Ländern werde unabhängiger Journalismus «weitgehend oder vollständig» blockiert, in 59 weiteren «ernsthaft» behindert.

«Ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie stehen Journalistinnen und Journalisten in vielen Teilen der Welt so stark unter Druck wie selten zuvor. Informationssperren und staatliche Desinformation, willkürliche Festnahmen und Gewalt gegen Medienschaffende schränkten die Pressefreiheit auf allen Kontinenten ein», urteilt RSF.



Die Corona-Pandemie würde weltweit repressive Tendenzen
verstärken und festigen. «Repressive Staaten» würden die Pandemie missbrauchen:

«In Ungarn wurde die Verbreitung von ‹Falschmeldungen› über die Pandemie ebenso unter Strafe gestellt wie in Malaysia. Ägypten verbot die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen, das Assad-Regime in Syrien verhängte eine Nachrichtensperre für alle Medien ausser der staatlichen Nachrichtenagentur.»

In Staaten wie China, Venezuela, Serbien und dem Kosovo seien Medienschaffende wegen ihrer Corona-Berichterstattung festgenommen worden. In China würden aktuell mehr als 100 Journalisten im Gefängnis sitzen, mehr als in jedem anderen Land der Welt.

Kein Wunder also, dass China weiterhin auf einem der hintersten Plätze zu finden ist, nämlich auf Rang 177. Laut RSF aufgrund «umfassender Internetzensur und Überwachung sowie Propaganda im In- und Ausland». Schlusslichter sind drei ebenso totalitäre Regimes, die ganz traditionell die letzten drei Plätze belegen: Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea.

«Alle drei haben gemeinsam, dass die jeweilige Regierung die komplette Kontrolle über alle Informationsflüsse hält. So erhalten Turkmenistan und Nordkorea die Behauptung aufrecht, dass es in ihren Ländern keinerlei Corona-Fälle gebe. Eritrea hüllt sich noch immer in Schweigen über den Verbleib von elf Journalisten, die vor 20 Jahren verhaftet wurden und über deren weiteres Schicksal kaum etwas bekannt ist», lässt RSF wissen.

Noch gefährlicher schätzt Reporter ohne Grenzen allerdings die Situation in Ländern wie Mexiko, Honduras, Afghanistan und dem Irak ein. Dort sei die Lage weiterhin «lebensgefährlich für Medienschaffende». Die meisten Journalistenmorde früherer Jahre seien nach wie vor ungesühnt.

Weniger Länder mit «guter» Beurteilung

Auch über die weltweite «weisse» Liste, in der die Länder geführt werden, in denen die Lage als «gut» eingestuft wird, ist nicht viel Positives zu berichten: denn diese schrumpfte. «Noch nie seit Einführung der aktuellen Methodik im Jahr 2013 gab es so wenige Länder, in denen die Lage der Pressefreiheit als ‹gut› bewertet wurde. Ihre Zahl sank von 13 auf 12», informierte Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen in Deutschland.

Das «weisse» Ranking führen 2021 Norwegen, Finnland und Schweden an, als bestes lateinamerikanisches Land profilierte sich Costa Rica auf Platz 5. Die Schweiz rutschte von Platz 8 auf 10 ab, Deutschland wurde von Rang 11 auf 13 runtergestuft.

Die Nichtregierungsorganisation machte auch die Ursachen für die Verschlechterung der deutschen Situation aus:

«Aufgrund der vielen Übergriffe auf Corona-Demonstrationen mussten wir die Lage der Pressefreiheit in Deutschland von ‹gut› auf nur noch ‹zufriedenstellend› herabstufen: ein deutliches Alarmsignal», erklärte Rediske.

Die Gewalt gegen Medienschaffende in Deutschland habe eine «noch nie dagewesene Dimension» erreicht. Im Kalenderjahr 2020 habe es mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten gegeben. Damit habe sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (mindestens 13 Übergriffe) verfünffacht.

«Die Mehrheit der körperlichen und verbalen Angriffe ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Massnahmen. Journalistinnen und Journalisten wurden geschlagen, getreten und zu Boden gestossen, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe ereigneten sich auf oder am Rande von Demonstrationen», so Reporter ohne Grenzen.

Rediske teilt zudem die Einschätzung von Generalsekretär Christophe Deloire. «Unabhängiger Journalismus ist das einzig wirksame Mittel gegen die Desinformations-Pandemie, die seit einem Jahr die Corona-Pandemie begleitet. Wenn die Welt nun hoffentlich bald zur Normalität zurückkehrt, muss auch der Respekt für die unabdingbare Rolle des Journalismus für eine funktionierende Gesellschaft zurückkehren», tat er kund.

Zur weltweiten und so offensichtlichen Gleichschaltung der Mainstream-Medien sowie der Einäscherung des Pressekodex und der kritiklosen und ethikfreien Berichterstattung der meisten Journalisten seit Beginn der Corona-Hysterie äusserten sich weder Rediske noch Deloire.

Das hätten sie ruhig in Erwägung ziehen sollen, denn Mitte Dezember 2020 verkündete RSF in ihrer «Jahresbilanz der Pressefreiheit»:

«Zusätzlich starben Hunderte Journalistinnen und Journalisten weltweit an oder mit Covid-19. Wie viele von ihnen sich infolge ihrer Arbeit mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hatten, ist nicht festzustellen. Mindestens drei Journalisten erlagen dem Virus wegen mangelnder ärztlicher Versorgung, nachdem sie sich mutmasslich in Gefängnissen in Ägypten, Russland und Saudi-Arabien infiziert hatten.»

Zwar drückten sich die globalen «Hüter der Pressefreiheit» vorsichtig aus, doch von wahrheitsliebenden und ehrenwerten Reportern ohne Grenzen sollte man auch noch andere Statements zum Thema erwarten dürfen.

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