Horst D. Deckert

Schweiz, quo vadis?

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Das Alpenland war einst stolz auf seine sichere Stromversorgung. Doch das ist Vergangenheit: Weil die Schweiz jahrzehntelang kaum mehr Kraftwerke baute, muss sie heute im Ausland um Strom betteln. Ob sie ihn bekommt, wird immer fraglicher.

Von Peter Panther

Vor einigen Tagen in Bern: Der Bundesrat, also die Schweizer Regierung, informierte die Bevölkerung über mögliche Versorgungsprobleme mit Gas und Strom schon im nächsten Winter. Manch einer rieb sich die Augen: Die reiche Schweiz war seit Menschengedenken ein Land, in dem das Gas zuverlässig floss und Stromunterbrüche so gut wie nie vorkamen. Wie konnte es so weit kommen, dass nun vor Engpässen gewarnt werden muss – wie in einer Bananenrepublik?

Natürlich spielt Russland in der gegenwärtigen Lage eine Rolle. Wenn Putin Europa den Gashahn endgültig zudreht, werden auch in der Schweiz viele Stuben kalt. Das Gasproblem konnte die Politik kaum vorhersehen. Anders ist es beim Strom: Der Ukraine-Konflikt mag zwar der unmittelbare Anlass für mögliche Blackouts sein. Doch die wahren Ursachen liegen tiefer.

Lange Zeit war die Schweiz ein Land, das stolz war auf seine sichere und unabhängige Stromversorgung. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten kühne Konstrukteure in den Alpen eine Vielzahl von imposanten Staumauern errichtet. So versorgte man nicht nur die eigene Bevölkerung mit ausreichend Wasserstrom, sondern belieferte auch das Ausland und verdiente sich eine goldene Nase.

Militante Atomgegner gaben den Ton an

Als sich in den 1960er-Jahren abzeichnete, dass die Schweiz kaum noch weitere Täler fluten kann, setzte das Land auf die neu aufkommende Kernenergie: In rascher Folge stellte die Schweiz fünf Reaktoren auf, die mit ihrer Bandenergie die perfekte Ergänzung zu den flexibel einsetzbaren Wasserkraftwerken waren.

Das letzte Kernkraftwerk, das an Netz ging, war 1984 dasjenige in Leibstadt. Eigentlich war geplant gewesen, weitere Reaktoren zu bauen. Doch dazu kam es nicht mehr: Schon 1975 hatten militante Atomgegner das Gelände des vorgesehenen Kernkraftwerks Kaiseraugst bei Basel besetzt. Obwohl die Kernenergie in zahlreichen Volksabstimmungen immer wieder Zuspruch fand, sah sich die Politik wegen des Widerstands bald ausser Stande, weitere Kernanlagen zu errichten.

Doch der Stromverbrauch stieg weiter. Allerdings bekam das in der Schweiz kaum jemand mit. Denn die Stromwirtschaft hatte fixe Abnahmeverträge mit den französischen Kernkraftwerken Fessenheim, Bugey und Cattenom ausgehandelt. Ab den 1990er-Jahren floss darum während Jahrzehnten reichlich Atomstrom in die Schweiz. «Kaiseraugst» war quasi im Ausland gebaut worden.

Warnungen vor der Stromlücke

Immer stärker machte sich die Schweiz in der Folge abhängig von Stromimporten. Insbesondere im Winter floss auch viel Elektrizität aus deutschen Kohlekraftwerken. Es gab zwar immer wieder Warnungen vor einer baldigen Stromlücke. Doch diese wurden als Angstmacherei einer angeblich mächtigen «Atomlobby» abgetan.

Die Stromwirtschaft hatte immerhin noch das Ziel, die bestehenden Kernanlagen nach dem Ende der Lebenszeit zu ersetzen. Noch 2011 gab es konkrete Pläne für drei Neubauten. Doch dann kam das Kernkraft-Unglück von Fukushima. Der Bundesrat unter Führung der damaligen Energieministerin Doris Leuthard stoppte sofort die Gesuche für den Bau nuklearer Ersatzanlagen. Die alten Kernkraftwerke sollten zwar noch solange als möglich weiterlaufen. Doch neue Reaktoren wollte die Regierung nicht mehr.

2017 gab das Schweizer Volk in einer Abstimmung seinen Segen zum Neubauverbot. Ihm war versprochen worden, dass die Stromversorgung durch erneuerbare Energie gesichert werden könne – und notfalls mit Importen.

Warnung der Behörden an 30’000 Unternehmen

Der Schock kam dann letzten Herbst: Die Behörden verschickten an 30’000 Unternehmen eine Warnung, dass der Strom schon in wenigen Jahren ausgehen könnte, und mahnten die Firmenchefs an, Vorkehrungen für Ausfälle zu treffen. Denn es war klar geworden, dass die Schweiz ab 2025, wenn die EU-Staaten 70 Prozent ihrer grenzüberschreitenden Stromleitungen für den EU-internen Austausch reservieren müssen, punkto Stromlieferungen leer ausgehen könnte. Denn die Schweiz ist nicht Mitglied der Europäischen Union.

Seither herrscht Aufruhr im Land. Die meisten Politiker mahnen einen raschen Ausbau von Sonnen- und Windkraftwerken an. Die Kritiker der sogenannten «Energiestrategie 2050», namentlich die rechtsbürgerliche SVP, monieren dagegen, man müsse auf das Kernenergieverbot zurückkommen. Nur so lasse sich die endgültige Strommisere verhindern, wenn die bestehenden Anlagen dereinst stillgelegt werden. Derweil fürchtet die Industrie, bald im Dunkeln zu stehen.

Gaskraftwerke für den Notfall

Der Bundesrat ist nun hektisch daran, den Stromblackout abzuwenden. Dank vereinfachter Verfahren will er den Bau von Windrädern und neuen Wasserkraftwerken beschleunigen. Die Betreiber bestehender Speicherseen sollen verpflichtet werden, einen Teil des Wassers für Notsituationen zurückzuhalten. Zudem sollen in aller Eile zwei bis drei Gaskraftwerke aufgestellt werden, die dann einspringen, wenn im Winter weder Deutschland noch Frankreich aushelfen können.

Das waren zumindest die Pläne im letzten Februar. Doch einige Tage nach der Ankündigung von Gaskraftwerken ging der Krieg in der Ukraine los. Wegen Putins Boykottdrohungen erscheint es nun als schlechte Option, auf die Stromerzeugung mittels Gas zu setzen. Also braucht man Notfallanlagen, die man auch mit Heizöl betreiben kann. Dass damit die Klimaziele der Schweiz definitiv zu Makulatur werden, nimmt man mit einem Achselzucken hin.

Jahrzehntelange Versäumnisse

Für die drohende Stromknappheit im nächsten Winter kommen solche Notfallkraftwerke aber zu spät. Es kursieren darum bereits Pläne, nach welchen Grundsätzen die Elektrizität rationiert werden soll. Die Politik und die Behörden geben dabei ein hilfloses Bild ab. Aber die jahrzehntelangen Versäumnisse in der Stromwirtschaft lassen sich nicht so schnell ungeschehen machen.

So ist die Schweiz heute am Gängelband des Auslands und muss hoffen, dass Deutschland, Frankreich oder andere Länder selbst dann noch Strom liefern, wenn Putin die Gaslieferungen eingestellt hat. Die Versorgung mit Elektrizität ist unsicher und unschweizerisch geworden. Die Schuld dafür trägt das Land ganz allein.

 

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