Horst D. Deckert

Sind alle Zweitstimmen der Grünen bei der Bundestagswahl ungültig? (2)

Rechtsbruch im Reichstag? (Foto:Imago)

Gilt das Grundgesetz auch für die Parteien und Abgeordneten, die uns regieren? Nach dem Bundesverfassungsgericht steckt nun der Bundestag in der Zwickmühle: Soll er das Grundgesetz vor der Regierung und den Parteien schützen, oder die (regierungsnahen) Parteien vor dem Grundgesetz?

Zur Erinnerung ein kurzer Rückblick auf das Thema von Teil 1: Man stelle sich vor, die AfD hätte bei den Landeslisten zur Bundestagswahl alle Spitzenkandidaturen Männern vorbehalten, alle ungeraden Plätze für Männer reserviert und reine Männerlisten zugelassen, aber den Frauenanteil auf 50 Prozent begrenzt. Das wäre unzweifelhaft ein schwerer Verstoß unter anderem gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Artikel 3 Grundgesetz. Man ersetze „AfD“ nun durch „Bündnis 90/Die Grünen“ und „Männer“ durch „Frauen„: Genau dies war bei der Bundestagswahl im September 2021 tatsächlich der Fall.

Welche Partei ist noch sexistischer als die Grünen? Nicht einmal die Satzung der „Feministischen Partei Die Frauen“ enthält – wie es bei den Grünen der Fall ist – eine geschlechtsbezogene Diskriminierung bei Kandidaturen; das mag allerdings auch daran liegen, das es dort (zumindest öffentlich erkennbar) keine männlichen Mitglieder gibt. Die Paragraphen 2 und 3 der Satzung dieser Partei spricht nicht von Mitgliedern, sondern von „Mitfrauen“ – wobei unklar ist, ob das wörtlich gemeint ist. Werden Männer durch Eintritt in diese Partei deklaratorisch zur „Mitfrau„, oder müssten sie sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, um als „Mitfrau“ Parteimitglied werden zu dürfen? Oder können Männer hier gar nicht Mitglied werden? Fragen über Fragen.

Das Quotenproblem

Wenn nun eine solche Partei mangels männlicher Mitglieder nur weibliche Mitglieder aufweist, liegen reine Frauenlisten in der Natur der Sache. In der Natur der Sache liegt es aber auch, dass eine Geschlechterquote nicht ohne Diskriminierung möglich ist, wenn die Geschlechteranteile unter den Mitgliedern ungleich verteilt sind. Die einzig demokratische Quote ist eine Quote, die dem Anteil der Mitglieder entspricht. Die SPD hat laut Bundeszentrale für politische Bildung einen Anteil von 33 Prozent an weiblichen Mitgliedern. Bei der Linken sind es 36 Prozent, bei der CDU 27 Prozent. Bei den Grünen sind Mitglieder mit Hochschulabschluss mit 72 Prozent völlig überrepräsentiert. Bei der Linken sind 78 Prozent konfessionslos, während in der CSU 78 Prozent katholisch sind.

Bei demokratischen Quoten müssten alle Merkmale – nicht nur das Geschlecht – in gleicher Höhe wie ihr Anteil an den Mitgliedern berücksichtigt werden, um demokratisch legitimiert zu sein. Die einfachste und auf jeden Fall demokratische Lösung ist, gar keine Quoten einzusetzen, sondern Kandidaten nach Eignung zu wählen. Geschieht dies nicht, müssen die Begünstigten mit dem Makel leben, eine Quoten-Frau, ein Quoten-Jugendlicher, ein Quoten-Angehöriger einer gewissen Religion, ein Quoten-Gewerkschaftsmitglied, ein Quotenkandidat mit Migrationshintergrund, eine Quoten-Kanzlerkandidatin etc. zu sein.

Disclaimer: Als ehemaliger Bundesvorsitzender einer Kleinpartei, die 2010/2011 an drei Landtagswahlen teilnahm, und als aktueller Bundesvorsitzender einer 2020 gegründeten Kleinpartei habe ich mit Vertretern von 28 anderen Kleinparteien über Kooperationen, Fusionen und Erfahrungen gesprochen. Meiner Erfahrung nach haben alle Parteien größte Mühe, Frauen für die Mitwirkung zu gewinnen. Frauen haben meiner Beobachtung nach generell ein viel geringeres Interesse an Politik als Männer. Frauen, die ein Interesse an Ämtern haben, werden von dankbaren Mitgliedern fast immer gewählt. In der Finanz- und Mitgliederverwaltung können sich Parteien keine ungeeigneten Kandidat/innen leisten – bei Amts- bzw. Mandatsträger/innen schon.

Verfassungsbeschwerde und der Beschluss parteinaher Richter

Teil 1 berichtete von der Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Frage, ob alle Zweitstimmen der Grünen bei der Bundestagswahl ungültig sind. Drei Richter des Bundesverfassungsgerichts, deren Unbefangenheit gelinde gesagt fraglich ist (Ex-CDU-Ministerpräsident Peter Müller sowie die von der SPD eingesetzten Richter König und Maidowski) entschieden mit Beschluss 2 BvR 1699/21: Es sei ihrer Meinung nach entgegen § 93a Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht von „grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung„, wenn Artikel 3 Grundgesetz verletzt wird, indem Bundestagsabgeordnete durch geschlechtsbezogene Diskriminierung ihr Mandat erhalten. In einem weiteren Artikel auf Ansage wird das Thema Bundesverfassungsgericht noch vertieft werden.

Der Bundeswahlleiter schreibt in seinem Leitfaden „Hinweise zur Durchführung von Aufstellungsversammlungen für Bundestagswahlen auf Seite 5: „Jedoch sind die Parteien bei der Kandidatenaufstellung nicht völlig frei. Sowohl das Grundgesetz als auch das einfache Wahlrecht enthält Vorgaben für das Aufstellungsverfahren.“ Der Bundeswahlleiter zitiert ausdrücklich Artikel 21 Grundgesetz, der besagt, dass die innere Ordnung von Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muss. Ist eine demokratische innere Ordnung laut Artikel 21 (1) GG nicht auch durch gleiche Rechte für alle Bürger und Bundestagskandidaten definiert, unabhängig vom Geschlecht?

Nachdem in gleicher Sache Einsprüche bei den Landeswahlleitern mit der Begründung abgewiesen wurden, dass einfache Bürger dort kein Recht zum Einspruch gegen Wahlverfahren haben und die Einspruchsfrist nach sage und schreibe 3 (in Worten: Drei) Tagen bereits abgelaufen war, waren einige Landeswahlleiter immerhin so freundlich, uns einen Einspruch gemäß § 2 Wahlprüfungsgesetz zu empfehlen. Dieser Empfehlung folgten wir am 27. September (Eingangsbestätigung am 29. September durch den Deutschen Bundestag).

Ziel: Aufklärung über die “Demokratie-Simulation Bundestag”

Werden wir Erfolg haben? Wird das Grundgesetz beim Wahlverfahren der Bundestagswahl 2021 respektiert? Werden damit alle Zweitstimmen der Grünen ungültig? Hacken Krähen anderen Krähen die Augen aus? Berauben sich Union, SPD und FDP ihres potentiellen Koalitionspartners, der sie an die Macht bringen bzw. dort halten kann? Sicher nicht. Es geht uns darum, den Bürgern die Augen noch weiter zu öffnen hinsichtlich dieser Simulation einer Demokratie.

Mit der Selbstentmachtung im April 2020 und der Abschaffung essentieller Grundrechte haben sich alle Bundestagsabgeordneten, die dafür stimmten, vom Grundgesetz verabschiedet und sich selbst zu Verfassungsgegnern gemacht. Der Bundestag setzte die Unantastbarkeit der Menschenwürde einschließlich des Rechtes auf die körperliche Unversehrtheit außer Kraft (Artikel 1 GG). Der Bundestag setzte Artikel 2 GG (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit) außer Kraft. Ebenso Artikel 4 (Religionsausübung durch Gottesdienste), die Zensurfreiheit (Artikel 5 GG), Rechte von Eltern (Artikel 6 (2,3) GG), die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit (Artikel 8 GG), die Freizügigkeit / Reisefreiheit (Artikel 11 GG), die Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG).

Wie also wird der Bundestag auf den von uns klar dokumentierten Verstoß gegen Artikel 3 und Artikel 21 (1) GG sowie §§ 1 (1) und 15 (3) des Parteiengesetzes reagieren? Wie neutral und verfassungskonform reagiert der Bundestag auf Fraktionen, die durch verfassungswidrige Geschlechterdiskriminierung entstanden sind? Spielt das Grundgesetz ausgerechnet bei der Zusammensetzung des Bundestags keine Rolle? Ist die Zusammensetzung der Bundestagsfraktionen ein Grundgesetz-freier Raum? Stehen (manche) Parteien über dem Grundgesetz? Oder will der Bundestag ein rechtsstaatliches Vorbild sein?

Spielt das Grundgesetz für den Bundestag keine Rolle mehr?

Ohnehin sinkt der Bundestag immer weiter im Ansehen kritischer Bürger. Als „Abnicker“ (so der Titel eines Buches des Ex-SPD-Bundestagsabgeordneten Marco Bülow) unterwerfen sich Karrieristen mit Priorität für ihre Wiederwahl bedenkenlos dem Fraktionszwang. Um keine Posten zu verlieren, ist der Bundestag nach dem Nationalen Volkskongress Chinas nun das zweitgrößte Parlament der Welt – sogar noch größer als das EU-Parlament. Allzu oft fallen Abgeordnete, nicht nur im Bundestag, durch Ahnungslosigkeit (dokumentiert u.a. durch Fragen von TV-Magazinen wie Monitor, Panorama und Report), Interessenkonflikte, Lobbyismus/Korruption und Desinteresse an den Belangen der Bürger negativ auf.

Die öffentliche / mediale Debatte über die demokratische Legitimation des Bundestags und seine Rolle in unserer Gesellschaft erhält durch dieses Beispiel der grünen Wahllisten weitere Argumente. Der Bundestag muss sich nun entscheiden, ob er das Grundgesetz respektieren oder sein Gesicht noch weiter verlieren will. Wir halten Sie auf dem Laufenden!

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