Horst D. Deckert

So schön kann Meinungsfreiheit sein!

Die Demonstration in Neuenburg, die vor zwei Wochen fünf- bis sechstausend Menschen vereinte, war ein schöner politischer Moment. Darüber ist zu wenig gesagt worden.

Dank der Stadt Neuenburg, die die Kundgebung «aus Sorge um die Meinungsfreiheit» genehmigt hatte, verlief alles friedlich. Für diejenigen, die im Laufe der letzten Monate viele Protestdemonstrationen gesehen haben, war dies eher überraschend. Leitmotive waren der Aufruf zur Achtung der demokratischen Institutionen und zum Dialog mit dem Bundesrat sowie die Erinnerung an die Volksrechte und die Verherrlichung – mit einer gewissen patriotischen Naivität! – der Schweizer Demokratie.

Dasselbe kann man von anderen empörten Menschen nicht sagen. Am selben Abend drückte die Schweizer Sprecherin von Extinction Rebellion im Fernsehen (RTS, 52 Minutes) ihre Verachtung für das Parlament und die bestehenden Institutionen aus und plädierte für Bürgerversammlungen und Expertenkomitees, um im Notfall drastische ökologische Massnahmen durchzusetzen.

Ein stiller Protest

Die weisen Demonstranten, die von Stiller Protest und den Freunden der Verfassung zusammengerufen wurden, waren sowohl wütend als auch gelassen. «Ich bin gekommen, um unter normalen Menschen zu sein», sagte ein Mann in den Dreissigern, den Arm um seine lächelnde Begleiterin gelegt. «Ich habe die Nase voll von der Psychose und der Pandemie», verkündete ein grosses, aufgewecktes Mädchen auf einem Plakat.

Es tut mir Leid für die Spürhunde von Verschwörungstheoretikern, doch ich habe keine hasserfüllten oder verrückten Parolen gesehen oder gehört: nicht gegen Bill Gates, nicht gegen G5, nicht einmal gegen die Bundesräte selbst. Es herrschte Vielfalt in der Menge: junge Leute, alte Leute, Familien, Einzelgänger und natürlich die unterschiedlichsten politischen Gesinnungen. Nationalisten im Stile der SVP, Linke, die ihre Fahnen schwenkten, und viele Menschen ohne Parteibindung, die einfach nur darüber nachdenken wollten, was mit uns geschieht.

Wie der anständig aussehende Herr, der auf eine Zeile von Goethe hinwies: «Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf». Oder der Mann mit dem schwarzen T-Shirt, der Benjamin Franklin zitierte: «Wer die Freiheit aufgibt, um die Sicherheit zu gewinnen, verliert am Ende beides». Oder das Paar, das rot-weisse Hüte trug und eine Leinentasche mit der Aufschrift: «Freiheit wird aus Mut gemacht». Oder auch die Dame, die auf ihrem Rücken die Worte eines Arztes und Theologen trug: «Indem wir uns weigern zu sterben, nehmen wir uns selbst das Leben». Einige Denker in Frankreich und anderswo hätten es nicht besser sagen können.

Französisch- und Deutschsprachige mobilisierten sich für die gleiche Sache. Eine weitere bemerkenswerte politische Tatsache, die in Neuenburg vielleicht einmalig war: Die deutschsprachige Bevölkerung kam in grosser Zahl, um sich der französischsprachigen Bevölkerung anzuschliessen. Das machte das Gespräch nicht einfacher, aber es war schön zu sehen und zu hören! Die Menge wurde nicht müde, auf Französisch zu rufen: «Liberté! Liberté!» Als ob es auf Französisch stärker klingen würde als «Freiheit».

Dieser Text wurde uns von «bonpourlatete.com» zur Verfügung gestellt, dem führenden alternativen Medium der französischsprachigen Schweiz. Von Journalisten für wache Menschen.

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