Von MEINRAD MÜLLER | Es war Heiligabend 1914 an der Westfront. Seit Wochen standen sich Deutsche und Briten in den engen Schützengräben nahe der belgischen Städte Mesen und Nieuwkapelle gegenüber. Es war ein Krieg, den keiner der einfachen Soldaten wirklich wollte, aber sie führten ihn – weil sie mussten. Nichts hat sich daran bis heute geändert.
Doch am 24. Dezember 1914 geschah etwas, das niemand erwartet hatte. Auf der deutschen Seite stellte ein Soldat eine Kerze auf den Rand seines Grabens. Der Flammenschein war klein, doch auch ohne Feldstecher zu sehen. Dann hörte man eine Stimme, leise zuerst, dann kräftiger: „Stille Nacht, heilige Nacht.“ Die anderen Kameraden stimmten ein. Der Gesang war rau, aber er füllte die Stille dieser frostigen Nacht.
Auf der britischen Seite, keine 100 Meter weiter, wurden die Männer aufmerksam. Als die Deutschen Stille Nacht, heilige Nacht gesungen hatten, kam die ebenfalls gesungene Antwort: „Silent night, holy night.“ Das gleiche Lied in englischer Sprache über die Gräben hinweg. Die gleiche Melodie mit gleicher Wehmut. Ungeplant und ohne Befehl.
Begegnung im Niemandsland
Schließlich wagten sich die ersten Männer auf die zerbombten Felder zwischen den Schützengräben. Zögerlich und mit erhobenen Händen, als wollten sie sagen: „Wir kommen in Frieden.“ Es war ein unwirklicher Moment. Einer dieser britischen „Tommys“ schüttelte einem Deutschen die Hand. Dann folgten mehr Männer. Sie reichten einander Tabak, Schokolade und ein paar Worte in gebrochenem Englisch oder Deutsch. Manche zeigten Fotos von daheim, andere tauschten einfach nur ein Lächeln aus.
Plötzlich brachte jemand einen Ball hervor – woher, weiß heute niemand mehr. Es wurde gekickt, ein bisschen hin und her. Kein echtes Spiel, kein Ergebnis, nur ein Zeitvertreib. Aber es war ein Moment, in dem die Männer wieder das waren, was sie vor dem Krieg gewesen waren: Söhne, Brüder, Freunde.
Das Ende des Friedens
Mit dem Morgengrauen endete dieses zerbrechliche Heiligabend-Friedenswunder. Die Offiziere gaben Schießbefehle wie tags zuvor. Doch es fühlte sich anders an. Für viele war dieser Abend ein Beweis, dass selbst unter den schlimmsten Umständen etwas Menschliches möglich ist.
Dieser kleine Weihnachtsfrieden von 1914 ist im Detail auf Wikipedia nachzulesen, war einmalig. Es war kein Ereignis, das den Krieg beendete oder die Welt veränderte. Aber für ein paar Stunden zeigte er, dass die Soldaten auf beiden Seiten mehr verband als sie trennte. Und das war genug. Und es sollte uns lehren, den Kriegstreibern nicht blind zu folgen. Auch heute nicht.
Meinrad Müller.
Meinrad Müller (70), Unternehmer im Ruhestand, kommentiert mit einem zwinkernden Auge Themen der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik für diverse Blogs in Deutschland. Der gebürtige Bayer greift vor allem Themen auf, die in der Mainstreampresse nicht erwähnt werden. Seine humorvollen und satirischen Taschenbücher sind auf Amazon zu finden. Müllers bisherige Beiträge auf PI-NEWS gibt es hier, seinen Ratgeber für Hobbyautoren hier.