Horst D. Deckert

Strahlendes Wetter und Lebensfreude am «Stillen Protest» in Neuchâtel

Der Wettergott und die Stadt Neuenburg meinten es gut mit dem «Stillen Protest». Wann schien das letzte Mal den ganzen Tag die Sonne? Wann wurde das letzte Mal eine Kundgebung für die Grundrechte bewilligt?



Dass der Sicherheitsdirektor der Stadt, Gemeinderat Didier Boillat (FDP) grünes Licht gegeben hatte, war eine gutes Zeichen für die Meinungsfreiheit.
Es handelte sich immerhin um eine Demonstration zur kommenden Volksabstimmung: Am 13. Juni werden unter anderem das Covid-19- und PMT-Gesetz dem Volk vorgelegt.

Ein Farbenmeer an der Seepromenade

Bereits auf dem Hinweg treffe ich auf Menschen aus der Ostschweiz, aus der Innerschweiz, aus allen Landesteilen. Für einige von ihnen ist kein Weg zu weit, sie seien bis jetzt an allen grossen Kundgebungen gegen die Covid-Massnahmen dabeigewesen. Ein Aargauer um die achtzig äussert hingegen, es sei «die erste Demo» in seinem Leben.

Mehrere tausend Demonstrierende versammeln sich ab 13 Uhr auf dem weitläufigen Platz Jeunes-Rives am Ufer des Neuenburgersees. Es herrscht schon fast Volksfeststimmung unter dem Farbenmeer der originellen Transparente, der vielen Kantonswappen, der violetten «Massvoll»-Flaggen, der regenbogen-Fahnen der Friedensbewegung.

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Fotos: Corona-Transition

Die Urkraft der Freiheits-Trychler

Die Ankunft der Freiheits-Trychler ist Ehrfurcht gebietend. Als sie das erste Mal ihre bis zu 30 Kilo schweren Kuhglocken in Bewegung versetzen, ist das ein erschütternder Moment, der manchem Zuschauer tatsächlich die Tränen in die Augen treibt. Ihr dröhnendes Glockengeläut erscheint wie das gebetsmühlenartige Beschwören einer vergessenen Urkraft – und in dieser Zeit der kollektiven Not und Verzweiflung hat dieser Akt schon fast etwas mystisches, etwas geheimnisvolles; auf jeden Fall etwas unglaublich tröstendes.

Wer die Trychler noch nie mit eigenen Sinnen erlebt hat, hat meines Erachtens eine der erhabensten Darbietungen des kollektiven Widerstands gegen die Corona-Willkür in diesem Land noch nicht erlebt. Symbolträchtiger kann man wohl kaum zum Ausdruck bringen, wie furchtlos und entschlossen der schweizerische Freiheitsgeist sich dem krankmachenden Angstregime entgegenstellt.

Lebensfreude ergreift die Geisterstadt

Um 14 Uhr setzt sich der Demonstrationszug durch die Stadt in Bewegung. Angeführt wird er vom unheimlichen Totenmarsch des «Stillen Protests». Das sind die berüchtigten Aktivisten in den weissen Schutzanzügen. Sie beklagen demonstrativ den Tod der Grundrechte; auch die «Freiheit» und das «Kindeswohl» werden in weissen Särgen zu Grabe getragen.

Danach folgt die heitere und kunterbunte Menschenmenge, sie konterkariert den Schweigemarsch mit Glockengeläut, Trommeln, Pfeifen, Klatschen, freudigem Gejohle, mit kräftigen «Liberté»-Rufen, eine kleine fröhliche Kappelle spielt «Danser encore».

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Das beschauliche Neuenburg ist ja ganz allgemein nicht gerade der Inbegriff einer pulsierenden Metropole. Aber in Zeiten der panikbedingten Lahmlegung des Landes erscheint mir der Kontrast besonders frappant: Diese fröhliche Schar von Demonstranten bringt für einen Moment die geballte Lebensfreude in diese ausgestorben wirkende Stadt zurück.

Der friedliche Protestmarsch zieht sich über ganze zwei Kilometer hin. Der freie Journalist Daniel Stricker muss seine Kondition unter Beweis stellen beim Versuch, ein umfassendes Bild vom weitläufigen Umzug für seinen VideoStream festzuhalten. Als die letzten Demonstrierenden vom Besammlungsort Jeunes-Rives losmarschieren, kommt der «Stille Protest» schon wieder am Ausgangspunkt an. Ein euphorischer Moment.

Das gepflegte Jeunes-Rives-Areal, die idyllische Seeuferpromenade mit ungetrübtem Blick auf die Alpen, der wunderbar grüne Chaumont, der Hausberg Neuchâtels, bieten eine prächtige Kulisse für die Versammlung der Bürgerrechtsaktivistinnen und Freiheitsverteidiger.

Aus der Mitte der Gesellschaft

Und wieder einmal kann man sich Gewissheit verschaffen: Auf den massnahmenkritischen Demos ist die ganze Bandbreite der Gesellschaft vertreten: vom Kind bis zum Hochbetagten, vom vollgepiercten Rocker zum traditionsliebenden «Bergler», manche Frauen tragen Dreadlocks, andere Trachten, ein hipper Junge ist auf dem Skateboard unterwegs, ein anderer sitzt im Rollstuhl.

Rechtsextreme suche ich vergeblich, obwohl ich verzweifelt nach ihnen Ausschau halte. Auch Antisemiten treffe ich keine an, obwohl die Zeit natürlich nicht ausreicht, um jeden einzelnen Teilnehmenden aktiv einer Gewissensprüfung zu unterziehen. Jedenfalls bestätigen sich die seltsamen Klischees der Mainstream-Berichterstattung auch diesmal nicht. Nicht mal ein Flacherdler ist heute dabei.

Was kann man sonst noch Verwerfliches über die Demonstrierenden berichten? «Sie trugen keine Masken!» Ja, das trifft auf die Mehrheit zu. Ich gehe indessen davon aus, dass diese Leute glaubhaft machen können, besondere Gründe zu haben, die sie von der «Maskenpflicht» befreien. Artikel 3b Absatz 2, Covid-19-Verordnung; es gilt die Unschuldsvermutung.

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Von Kruse bis Rimoldi

An der Kundgebung sprechen unter anderem Werner Boxler von den Verfassungsfreunden, Josef Ender vom «Aktionsbündnis Urkantone», der Rechtsanwalt Philipp Kruse, die Anwälte-Vereinigung «Le Virus des Libertés» sowie Markus Holzer von «Animap». Zu guter Letzt erscheint Nicolas A. Rimoldi von «Mass-voll», der die Bühne gemeinsam mit einer fröhlichen Horde Jugendlicher in Beschlag nimmt. Der Aktivist WD Chur hat die Reden in voller Länge gefilmt.

Ein Höhepunkt ist sicherlich der Auftritt von «Verfassungsfreund» Michael Bubendorf, der für seine rhetorischen Fähigkeiten, seine Schlagfertigkeit und seinen Humor nur zu beneiden ist. Es dürfte unterhaltsam werden, wenn Bubendorf demnächst in der SRF-«Arena» gegen Bundesrat Berset in den Ring steigen darf.

Der «Stille Protest» will den Röstigraben überbrücken

Es mochte manchen Demonstranten vielleicht etwas enttäuschen, dass Neuchâtel an diesem Nachmittag nicht von zehntausenden Freiheitsliebenden aufgesucht wurde: Ein junger Teilnehmer meinte: «Eine bewilligte Demo. Das schönste Wetter. Was braucht es denn noch, damit Herr und Frau Schweizer ihren Hintern bewegen, um für ihre Rechte auf die Strasse zu gehen?»

Simone, die Organisatorin und Gründerin von «Stiller Protest» war jedoch rundum zufrieden: Die Kundgebung sei «absolut friedlich» verlaufen, der kilometerlange Umzug durch die Stadt war «genial» und das Wetter wunderschön.

Die Veranstaltung sei besonders wichtig gewesen, um den «Röstigraben» zu überbrücken. Es sei wichtig, dass das ganze Land zusammenrückt: «Das ist ein grosses Anliegen, das wir haben, dass man diese Brücke baut in die Westschweiz, ins Tessin. Wir sind eine Schweiz. Wir müssen in dieser Sache wirklich alle miteinander arbeiten.»

Dazu bietet der nächste «Stille Protest» wieder Gelegenheit, dieser findet in der Stadt Genf statt – nicht wie ursprünglich geplant in Solothurn. Die Solothurner Behörden haben eine Absage erteilt, im Beschwerdeverfahren sei man mit den «fadenscheinigen» Argumenten der Infektionsrisiken abgespiesen worden – laut Simone ein «politischer Entscheid» gegen die Grundrechte. So marschiert der «Stille Protest» am 29. Mai in Genf, wo die Kundgebung bewilligt wurde.

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