Horst D. Deckert

Stürzt der Nah-Ost-Krieg die UN ins Chaos?

Die Vereinten Nationen sind, was den Krieg zwischen Israel und der Hamas betrifft in eine recht prekäre Situation geschlittert.

In diesem Krieg werden UN-Soldaten getötet, während sich die USA und Russland im Sicherheitsrat in fruchtlosen „Geplänkeln“ verzetteln.

Der „Uraltkonflikt“ in neuer Dimension

Der Konflikt des Staates Israel mit den Palästinensern ist fast so alt wie die Vereinten Nationen selbst, Letztere haben jedoch ihre eigene Rolle dabei eingenommen.

Doch selten hat etwas in der sonst scheinbar so biederen Institution so viel Chaos angerichtet wie im letzten Monat.

Israelische Beamte forderten den Rücktritt des Generalsekretärs, ein hochrangiger Menschenrechtsvertreter trat mit einem wütenden Brief zurück, in dem er „Völkermord“ beschwor, und Diplomaten im „bewegungseingeschränkten“ UN-Sicherheitsrat werfen sich gegenseitig vor, zu sanft mit der militanten Gruppe Hamas umzugehen das Israel am 7. Oktober angriffen hatte.

Die Frustration sei im UN-Hauptquartier spürbar, erklärten Diplomaten und Beamte. Es läuft durch WhatsApp-Nachrichten wie auch durch die Korridore. Informelle Treffen zu völlig unabhängigen Themen wenden sich nun zwangsläufig dem Nahen Osten zu.

Die „ Situation“ scheint sich überdies mit der Zahl der Todesopfer unter den UN-Mitarbeitern, mittlerweile bereits mehr als 70, zuzuspitzen.

„Man kann diese Spannung spüren, es ist definitiv eine große Krise. Die Zahlen sind absolut erschütternd“, erklärte ein Diplomat aus einem Mitgliedsland des Sicherheitsrats, dem wie Anderen ebenfalls Anonymität zugesichert wurde, um offen über das heikle Thema zu sprechen. „Das verstärkt die Frustration, die man in den Gängen der UN spüren wird“, wie politico zu berichten weiß.

In diesem Zusammenhang drängt sich zwangsläufig die Frage auf,  ob die Vereinten Nationen aktuell noch ein nützliches Forum zur Lösung von Problemen oder nur ein Forum zur Äußerung von Missständen sind.

Moskau und Peking nutzen, unter anderem im Rahmen der BRICS, den Moment, um den Einfluss der USA in vielen  Ländern zu „minimieren“. Im Focus stehen dabei auch Länder, die sich mit der palästinensischen Sache identifizieren und darüber verärgert sind, dass deren eigenen Bedürfnisse seitens Washington ignoriert werden.

UN-Diplomaten „streiten“ öffentlich

Richard Gowan, ein UN-Analyst bei der International Crisis Group, einer Denkfabrik, erklärte, dass UN-Diplomaten in vielen Momenten eines Umbruchs in der Öffentlichkeit streiten, ansonsten aber freundlich miteinander umgehen.

„Ich habe jedoch gehört, dass die Stimmung unter vier Augen dieses Mal wesentlich nervöser ist“, erklärte Gowan.

Der aktuelle Krieg begann, als die Hamas in den Süden Israels eindrang, etwa 1.400 Menschen tötete und mehr als 200 als Geiseln nahm. Seitdem hat Israel den Gazastreifen belagert und abgeriegelt, Luftangriffe gestartet und Bodentruppen entsandt.

Berichten, unter Berufung auf Gesundheitsbehörden in dem von der Hamas kontrollierten Gebiet, zu Folge sollen mindestens 9.000 Palästinenser getötet worden sein, die meisten davon Zivilisten.

Der erste Hamas-Angriff löste Kritik aus vielen Teilen der Vereinten Nationen aus, darunter auch von Generalsekretär Antonio Guterres. Daraufhin war der Sicherheitsrat, das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen, sofort gespalten. Während die USA von den Ländern verlangten, die Hamas namentlich zu verurteilen, lehnten einige Länder, Berichten zu Folge, ab und entschieden sich für eine allgemeine Verurteilung von Angriffen auf Zivilisten.

UN-Mitglieder glänzen durch Uneinigkeit

Daraufhin haben Russland und die Vereinigten Staaten über die Texte möglicher Resolutionen des Sicherheitsrats gestritten, sich gegenseitig der Bösgläubigkeit beschuldigt und unterschiedliche Beschreibungen ihrer tatsächlichen Standpunkte abgegeben.

Die Mitglieder sind sich uneinig darüber, ob sie einen Waffenstillstand fordern, ob sie sagen sollen, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung hat, und ob sie den ersten Angriff überhaupt in Erklärungen erwähnen sollen.

Vor allem die Vereinigten Staaten widersetzten sich vehement den Forderungen nach einem Waffenstillstand und erklärten, ein solcher Schritt würde die Fähigkeit Israels, sich zu verteidigen, untergraben, und befürworteten stattdessen „humanitäre Pausen“, Kampfpausen, die allerdings nur wenige Stunden dauern könnten.

Russland wie auch in geringerem Maße China, die wie die USA im Rat über ein Vetorecht verfügen, haben die Opposition gegen die Vereinigten Staaten angeführt. Auch andere Länder, darunter Brasilien und die Vereinigten Arabischen Emirate, spielten eine Schlüsselrolle.

Bislang hatte jedoch das 15-köpfige Gremium keine Resolution im Zusammenhang mit dem Israel-Hamas-Krieg verabschiedet. Die, von Russland Unterstützten, hatten zu wenig Stimmen erhalten. Eine, von Brasilien geführte Partei, die genügend Stimmen erhalten hatte, wurde von den USA abgelehnt, während eine von den USA geführte Partei mit genügend Stimmen, von Russland und China abgelehnt wurde.

Doch die 193 Mitglieder umfassende UN-Generalversammlung, in der die Großmächte kein Veto haben, verabschiedete mit überwältigender Mehrheit eine unverbindliche Resolution unter Führung Jordaniens und anderer arabischer Staaten, die einen humanitären Waffenstillstand forderte. Die Maßnahme wurde schließlich mit 121 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimmen und 44 Enthaltungen angenommen.

USA gegen humanitären Waffenstillstand

Die Vereinigten Staaten stimmten dagegen, wobei selbst einige traditionelle US-Verbündete wie Australien und das Vereinigte Königreich sich der Stimme enthielten, anstatt sich auf die Seite der Vereinigten Staaten zu stellen.

Frankreich unterstützte die Resolution. Ein kanadischer Änderungsantrag, der einige Bedenken der USA und Israels berücksichtigt hätte, wurde nicht angenommen. Vor allem die US-Verbündeten hatten Mühe, eine Vielzahl von Interessen zu „bündeln“, darunter den Wunsch, gute Beziehungen zu arabischen Ländern aufrechtzuerhalten, ohne unbedingt Israel oder Amerika zu verärgern.

Die Ergebnisse standen in deutlichem Kontrast zu den, von den USA geführten Resolutionen gegen Russlands „Sonderoperation“ in der Ukraine, die mehr als 140 Stimmen erhielten.

Dmitry Polyanskiy, ein hochrangiger russischer Diplomat bei den Vereinten Nationen, erklärte, Russland habe kein Problem damit, die Hamas wegen ihrer brutalen Angriffe anzuprangern, Israel und die Vereinigten Staaten sollten jedoch anerkennen, dass dem Angriff jahrzehntelange israelische Unterdrückung der Palästinenser vorausgegangen sei.

Wenn die USA Gräueltaten verurteilen wollen, „warum verurteilen sie nicht, was Israel in Gaza tut“, fragte Polyanskiy.

„Einseitige Resolutionen, egal ob sie im Sicherheitsrat oder in der Generalversammlung vorgelegt werden, werden nicht zur Förderung des Friedens beitragen“, erklärte Nathan Evans, Sprecher der US-Mission bei den Vereinten Nationen.

Israels „Blitzableiter-Funktion“ ist passe

Der moderne Staat Israel wurde Ende der 1940er Jahre, nur wenige Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, gegründet und war lange Zeit förmlich der Blitzableiter im internationalen Gremium. Bereits seine Entstehung mit „ausdrücklicher Billigung der UN, löste einen Krieg aus.

In gewisser Weise spiegeln die Debatten bei den Vereinten Nationen die internen Machtkämpfe in anderen Institutionen, vom US-Außenministerium bis zu den Exekutivorganen der Europäischen Union, darüber wider, wie dieser neue Krieg im Nahen Osten angegangen werden soll.

Die Überlegungen sind jedoch keineswegs dieselben. In den Vereinten Nationen gibt es seit langem mehr offene Sympathie für die Palästinenser als beispielsweise in der Regierung der Vereinigten Staaten.

Dieses Mal hatten die Aktionen des israelischen Botschafters Gilad Erdan viele im UN-System verschreckt.

Israel forderte Gutterres Abdankung

Bei mindestens einer UN-Versammlung trug Erdan einen gelben Sternaufnäher auf seinem Anzug, eine Anspielung auf eine Identifizierungsmaßnahme gegen Juden während des Holocaust. Erdan war es auch der den Rücktritt von Generalsekretär Guterres gefordert hatte, der einen Waffenstillstand unterstützt und in der Diskussion über den aktuellen Krieg auf die lange Geschichte des palästinensischen Leidens hingewiesen hatte.

Erdan erklärte, er habe keine Wahl in einem System, das er als gegen Israel ausgerichtet und mit Sympathie für den Terrorismus der Palästinenser beschrieb, die sein Land auslöschen wollen.

Die Spaltungen in den Vereinten Nationen gehen über die Mitgliedsstaaten hinaus und betreffen Mitarbeiter, die für verschiedene Teile der Institution arbeiten, beispielsweise für die Flüchtlings- und Gesundheitsabteilung.

Es herrscht Besorgnis über die Dutzenden UN-Mitarbeiter, die im Krieg getötet wurden. Viele waren in Gaza stationiert und kamen bei offensichtlichen israelischen Bombenanschlägen ums Leben. Während die Arbeit für die Vereinten Nationen im Ausland oft mit Risiken verbunden ist, ist eine so hohe Zahl an Todesopfern in kurzer Zeit für diese Institution selten.

„Die Vereinten Nationen sind als Arbeitsumfeld so einzigartig“, erklärte ein Diplomat der UN. „Die Leute schreien sich normaler Weise auf den Fluren nicht gegenseitig an. Es ist momentan sehr emotional.“


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