Junge Wehrpflichtige werden in der Ukraine auf offener Straße von Rekrutierern gekidnappt, weil keiner mehr in den Krieg will. Korrupte Beamte drücken für 7.000 Euro ein Auge zu – und werden reich.
In der Ukraine werden aus Mangel an „freiwilligen Soldaten“ immer öfter Wehrpflichtige auf offener Straße von Uniformierten entführt und zum Kriegsdienst – vor allem an der Front – gezwungen. Dort will niemand hin, denn das sei ein Todesurteil, sagte ein junger Ukrainer gegenüber französischen Medien.
Im Netz kursieren immer brutalere Entführungsvideos. Junge Männer verlassen ihre Häuser nicht mehr, aus Angst sie könnten gekidnappt werden. Wer genug Geld hat, kann sich für 7.000 Euro freikaufen. Die Rekrutierungsbüros sind mittlerweile Brutstätten der Korruption. Manche Beamte nutzen das System und haben schon ein Vermögen gemacht.
Todesurteil Frontdienst
Da die Truppenstärke der Ukraine an der Front zu schwinden beginnt, sind die Militärführer immer verzweifelter auf der Suche nach neuen Rekruten, um die Gegenoffensive gegen Russland voranzutreiben. Diese brutale Mobilisierung junger Männer durch ukrainische Militär-Rekrutierungsbeamte laufe bereits seit anderthalb Jahren, berichtet „Magyar Nemzet“. Im Interview mit dem Sender „France 24“ sagte ein junger Ukrainer: Viele junge Männer gingen nicht mehr aus dem Haus. Es bestehe immer ein Risiko, und man müsse sehr auf der Hut sein. Das sei ein Mega-Stress. Niemand wolle mehr an die Front, denn der Preis sei hoch: Dort sterben tausende Menschen, berichtete er.
Kidnapping-Videos im Netz
In der Ukraine vergehe kein Tag, ohne dass ein neues Video über die zunehmend brutale Mobilisierung im Netz auftauche, vermeldet „Magyar Nemzet“. Die Pressefreiheit in der Ukraine sei stark eingeschränkt. Die Videos werden daher auf Telegram oder Viber hochgeladen. Zuletzt habe eine Überwachungskamera in Mukachevo, Transkarpatien, solche Übergriffe aufgezeichnet: Am helllichten Tag wurde ein junger Mann vor einem Geschäft von Polizisten und Soldaten vom Fahrrad geholt, in ein Auto gestoßen und entführt. Auf einem anderen Video sieht man, wie ein junger Mann in Munkacs gegen seinen Willen in einen Armee-Kleinbus gezwungen wird. Auch in Kiew, Odessa und Umgebung wurden solche Entführungen gefilmt.
Korruption blüht
Die transkarpatische Viber-Messaging-Gruppe namens „Radar Zahid“ (westliches Radar) hat fast 20.000 Mitglieder. Hier informieren sich Wehrpflichtige zwischen 18 und 60 Jahren gegenseitig, wo die Soldaten Einberufungsbefehle erteilen. In den Regionen gibt es immer mehr mobile Kontrollpunkte, an denen neben Polizei und Grenzschutz auch militärische Hilfskräfte präsent sind.
Einige dieser Accounts geotracken die Rekrutierungspatrouillen in Echtzeit, um andere rechtzeitig zu warnen. Die Kontrollpunkte kann man kaum passieren, ohne einen „Liebesbrief“ (Einladung der Armee) zu haben. Den kann man kaufen. Korrupte Beamte nutzen das System und lassen sich für ihre Dienste gut bezahlen. Ein „Liebesbrief“ da, ein gefälschter Behindertenausweis dort. Jedes Mal bringt das 7.000 Euro in die Privatkassa, bestätigte Andrii Novak, ein ukrainischer Anwalt und Spezialist für Militär-Angelegenheiten in einem französischen TV-Sender.
Beamter scheffelte Millionen
Manche Beamte sind bereits unverschämt reich damit geworden und verbergen das auch gar nicht. Sie kommen in ihren Luxusautos zur Arbeit. Jüngst kam es zu einem handfesten Skandal, der zu einem Aufschrei in der Öffentlichkeit führte: Ein Militärkommandant aus Odessa kaufte im Vorjahr um fast vier Millionen Euro eine Luxusvilla an der spanischen Küste und um knapp 200.000 Euro ein Luxusauto. Seiner Frau kaufte er eine Ladenkette an der Costa del Sol. Damit nicht genug: Obwohl die Grenzen seit anderthalb Jahren für Wehrpflichtige geschlossen sind, konnte er in seinem spanischen Palast Urlaub machen. Die Wut der Ukrainer kochte über. Nach zwei Monaten Dauerbeschwerden reagierte schließlich Präsident Wolodymyr Selenskyj und versprach, künftig alle Militärämter überprüfen zu lassen. Denn solche Personen hätten in der Armee keinen Platz.
Wie Karnickel gejagt
Vor allem in Odessa gehen Rekrutierer besonders brutal vor. Zuletzt haben bei Reni uniformierte Beamte in die Luft geschossen, nachdem sie auf Widerstand gestoßen waren. Meistens wird aus Angst gar kein Widerstand geleistet.
Uniformierte umstellen oft auch die Märkte, junge Männer dürfen dann nicht mehr heraus. Es kommt häufig zu Kämpfen. Aufgrund der großen Empörung in der Öffentlichkeit wurde in einem Fall eine Untersuchung eingeleitet. Der Widerstand ist aber nicht groß.
In der Ukraine wurde das Kriegsrecht und die damit einhergehende Mobilisierung zuletzt im Mai bis zum 24. August d.J. verlängert.
Aufatmen können die jungen Männer auch dann nicht. Man rechnet mit einer Verlängerung um weitere neunzig Tage.
Zum Autor: Kornelia Kirchweger war Journalistin bei „Austria Presse Agentur“, Bundespressedienst, „BBC“, „Asahi Shimbun“. Fokus: EU, Asien, USA, Afrika. Seit 2016 beim „Wochenblick“. Rockte die sozialen Medien mit ihrem offenen Brief an Greta Thunberg und machte gegen den UNO-Migrationspakt mobil.
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