Horst D. Deckert

Tony Blair, der Untote, werkelt an einem politischen Comeback

Vor einer Woche sorgte ein Video von Nigel Farage für Aufsehen, als er vorschlug, Tony Blair in das Management der Coronakrise mit einzubinden. Da Blair bei den allermeisten unten durch ist, sah sich Farage dazu gezwungen, eine Erklärung nachzuschieben, warum er trotz der vielen Differenzen, die auch er mit ihm hat, für eine Einbindung von Blair ist: Er ist der einzige mit Erfahrung im Management von großen Unterfangen und er war bislang auch der einzige, der im Zusammenhang mit dem weiteren Vorgehen in der Coronakrise, es ging spezifisch um die Impfung, sinnvolle Vorschläge vorgebracht hat. Für Farage war das Grund genug, über den eigenen Schatten zu springen und ihm in der Sache sein Vertrauen auszusprechen.

Doch hinter Blairs neuerlichem Auftauchen im tagespolitischen Geschäft Großbritannien könnte weit mehr stecken als nur das Interesse eines Politveteranen an einem dringlichen Anliegen seines Landes. Blair, so scheint es, will zurück und zwar ganz nach oben.

 

The Spectator: Tony Blair macht sich selbst etwas vor mit der Idee eines „Comebacks im Stil von De Gaulle“

 

Tony Blair hat eine zaghafte Rückkehr in das Herz der britischen Politik vollzogen, indem er Matt Hancock strategische Ratschläge für die Einführung von Impfstoffen anbot. Aber reicht der Ehrgeiz des ehemaligen Premierministers weiter als das? Mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Premierministers wird Blair nachgesagt, er sei scharf auf ein „Comeback im Stil von De Gaulle“. Für Blairs Kritiker ist das ein treffender Vergleich. De Gaulle war der sogenannte „Vater Europas“, der das Freie Frankreich während der Kriegsjahre mit Vichy als Führer des offizillen Frankreichs vertrat. Später, nach 1946, verschwand De Gaulle im politischen Niemandsland, bevor er etwas mehr als ein Jahrzehnt später eine dramatische Rückkehr inszenierte und schließlich für zehn Jahre als Präsident regierte. Könnte Blair also tatsächlich De Gaulle nacheifern?

Man kann verstehen, warum Blair mit einem Comeback spielen könnte. Denn was auch immer Sie von ihm halten, es ist definitiv nicht abwegig, ihn ale ein politisches Schwergewicht zu erachten, was vor allem im Vergleich zu vielen Politiker gilt, die nach seinem Ausscheiden im britischen Politzirkus den Ton angaben. Doch während Blair sich seine Chancen auf eine Rückkehr in die Downing Street ausrechnet, lässt ihn eine derartige Ambition zutiefst verblendet aussehen.

In der Politik spielt das Erbe eine große Rolle. De Gaulles erstes politisches Ende im Jahr 1946 kam durch einen törichten Schachzug seinerseits zustande. Er wollte keine Kompromisse mit den Kommunisten eingehen und erachtete sich als unentbehrlich, weswegen er so vermessen war, dass er wollte, man müsse ihn zurück in die Politik bitten. Doch das funktionierte nicht und so wurde De Gaulle auf eine andere Art und Weise, aber dennoch ähnlich wie Churchill plötzlich als ein Mann von gestern angesehen. Sie beide hatten ihre Nationen siegreich durch den Zweiten Weltkrieg gebracht und die Menschen waren dankbar dafür, doch jetzt wollten sie etwas neues sehen.

Die Franzosen allerdings bewunderten De Gaulle weiterhin zutiefst, so wie die Briten noch immer Churchill verehrten, obwohl sie jemand anderen in die Regierung wählten. Das Vermächtnis De Gaulles zwischen 1946 und seiner Rückkehr 1958 war das des Mannes, der Frankreich gerettet hat und in instrumentaler Weise dabei war, als es um die Vertreibung der Nazis und ihrer Vichy-Marionetten ging.

Blair hingegen hat kein solch positives Erbe, auf das er seine neuerlichen Ambitionen stützen könnte. Wenn die Briten an Tony Blair denken, dann kommen ihnen vier Buchstaben in den Sinn: I-R-A-K. Ob es Blair gefällt oder nicht, dieser Krieg ist sein Vermächtnis. Man kann darüber streiten, ob die Schmach, mit der Blair nach 2007 begraben wurde, gerechtfertigt ist; sicherlich nicht bestreiten lässt sich jedenfalls, dass die fundamentale Ablehnung gegenüber dem ehemaligen Labour Parteichef existiert und unglaublich weit verbreitet ist.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe mich im Laufe des letzten Jahrzehnts tatsächlich etwas für Blair erwärmen können. Ich habe beispielsweise erkannt, dass viele Gründe für meine Antipathie ihm gegenüber während seiner Zeit im Amt heute nicht mehr relevant sind. Ich hatte mich damals auf Fukuyamas Vision vom Ende der Geschichte eingelassen, in der wir den Endpunkt der ideologischen Evolution der Menschheit und die Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie erreicht hatten. Infolgedessen erwartete ich mehr von einem britischen Premierminister, als Blair zu liefern in der Lage schien. Doch inzwischen ist mir klar geworden, dass dies eine falsche Hoffnung war. Vor allem nachdem Theresa May Premierministerin wurde,kam in mir immer mehr das Gefühl auf, zu hart mit Blair ins Gericht gegangen zu sein. Inzwischen denke ich, dass er von ihm aus gerechnet der bis heute beste Premierminister war.

Klar ist, dass nicht allzu viele mit mir übereinstimmen werden. Die Frage ist, ob die britische Öffentlichkeit ihre Gefühle für Blair überwinden könnte und ihm verzeiht? Nein. Wird Blair in der Lage sein, den Irak abzuschütteln und wieder als jener „Cool Britannia“-Premier gesehen zu werden, den die Briten 1997 ins Amt gewählt haben? Nein, natürlich nicht.

Gerecht oder nicht, die Geschichte hat sich eine Meinung über Tony Blair gebildet. Und für jede politische Fraktion und Gruppierung der aktuellen Ära ist Blair problematisch.

Für die Brexit Anhänger ist er jemand, der sich verschworen hat, um uns in der EU zu halten; für die klassisch Liberalen ist er nicht nur der Architekt des Irakkrieges, sondern auch ein Premierminister, der die bürgerlichen Freiheiten mit Füßen getreten hat; für die Linken ist er der Verräter ihrer Werte, der Mann, der Labour an den Meistbietenden verkauft hat; für Mittelinke ist er jener Typ, der vor ein paar Jahren verkündete, dass den britischen Zentrismus retten wolle, nur um dann eine Organisation mit seinem Namen zu gründen, die über kaum etwas anderes als Nahost-Politik spricht. Für den ungebundenen Durchschnittswähler wiederum ist Blair jemand aus einer anderen Zeit, ein Artefakt aus einer vergangenen Ära.

Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen missgönne ich Tony Blair seine finanziell erfolgreiche Karriere nach seiner Präsidentschaft nicht. Ich weiß, dass es in Großbritannien Tradition ist, dass Ex-Premierminister ihren Lebensabend mit lahmen Hinterbänklerreden und Wohltätigkeitsarbeit ausklingen lassen. Doch ich nehme es Blair nicht im Geringsten übel, dass er sich dieser Konvention entzogen hat. Doch wie er die einfache Tatsache nicht begreifen konnte, dass er mit dieser Karriere in den letzten zehn Jahren jede Chance auf ein politisches Comeback zerstört hat, ist mir schleierhaft.

Für jemanden, der sich einen Namen mit seiner überragenden politischen Scharfsinnigkeit gemacht hat, scheitert Blair manchmal an ziemlich grundlegenden Dingen in Bezug auf die politische Realität. Ich hoffe, dass die umgehenden Gerüchte über ein „Comeback im Stil von De Gaulle“ nur ein laues Lüftchen sind. Ansonsten müsste ich mich für Tony Blair schämen.

Quelle Titelbild

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