Horst D. Deckert

Transkarpatien (Karpato-Ukraine): zuhause in der Minderheit

Gastbeitrag von einen ungarischen Studenten in der (heutigen) Ukraine

 

Der im Titel enthaltene Gedanke geht mir oft durch den Kopf: Bin ich in Transkarpatien, in meiner Heimat, eigentlich zuhause?! Zählen meine Rechte genauso viel wie die der zur Mehrheitsnation gehörenden Bürger? – Bisher fühlt es sich nämlich nicht so an.

 

Über mich muss man wissen, dass ich ein durchschnittlicher junger Ungar aus Transkarpatien bin. Nachdem ich die Schule beendet hatte, stand ich vor der gleichen Entscheidung wie jeder andere Schulabgänger auch – wie und vor allem wo geht es weiter? Das ist für uns eine schwierige Frage. Wir müssen entscheiden, ob wir “zuhause” bleiben wollen oder unser Leben im Ausland fortsetzen. Ich möchte zuhause, in Transkarpatien etwas aus mir machen, hier möchte ich weiterlernen und später eine gut bezahlte Arbeit finden. Da, wo ich mir das erlangte Wissen zunutze machen kann,

wo ich meine Erfahrungen an die nachfolgende Generation weitergeben kann, sie ermutigen kann, auch den schwereren Weg zu wählen – in der Heimat zu bleiben.

Das von unseren Lehrern oft erwähnte “echte Leben” ist nicht so einfach, wie wir es uns beim Verlassen unserer Alma Mater voller Begeisterung, aber verantwortungslos vorstellen. Im Alter von 17 Jahren sollen wir verantwortungsbewusste Entscheidungen über unser Schicksal treffen, in Fragen, bei denen sich später herausstellen kann, dass die Entscheidung falsch war. Ich bin in meiner Heimat geblieben und versuchte, mich als Student des hiesigen Hochschulsystems zu bewähren – aber wie lange und wofür reicht das aus?! In der Ukraine gilt die Wehrpflicht für alle jungen Männer unter 27. Eine Befreiung davon bekommen nur jene, die ein attestiertes gesundheitliches Problem haben oder in Vollzeit studieren oder an einer Berufsausbildung teilnehmen. Für die meisten jungen Leute bedeutet das ein Jahrzehnt voller Sorge. Nicht jeder kann es sich finanziell leisten, zehn Jahre lang zu studieren, um der Wehrpflicht irgendwie zu entgehen. So ist es auch bei mir.

Meine Eltern haben mich allerdings nicht großgezogen,

damit ich an irgendeiner ostukrainischen Front mein Leben für ein Land hergebe, das mich nicht in meiner Muttersprache studieren lässt und mir Sanktionen erteilt, wenn ich mich auf Ungarisch äußere. Kann man sich überhaupt vorstellen, was in einem jungen ungarischen Mann aus Transkarpatien vorgeht, wenn er nach Hause kommt und ein Einberufungsbescheid auf ihn wartet?

Selbst wenn sich mit einem sechsjährigen Bachelor- und Masterstudium Zeit gewinnen lässt – 3–4 Jahre verbringt man dennoch in Beklommenheit und Angst. Das ist der hauptsächliche Grund dafür, dass ein großer Teil der ungarischen Jugend Transkarpatiens in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ins Ausland emigriert.

In den letzten sieben Jahren hat die wechselnde Regierung der Ukraine versucht, unsere Muttersprache durch ein Sprachgesetz zu unterdrücken, sie hat die nationale Identität unserer Kinder mit einem Bildungsgesetz besiegelt, unsere nationalen Symbole wurden von Barbaren abgerissen, unsere Alltagsruhe wird durch Drohbotschaften gestört.

Doch vergebens: Diese grausamen Taten stärken uns umso mehr, sie spornen uns an, nicht aufzugeben, was seit tausend Jahren uns gehört und was unsere Vorfahren mit ihrem Leben für uns verteidigt haben; sie gaben ihr Blut, damit wir den größten Schatz – unsere Muttersprache und nationale Kultur – bewahren und stolz an die Generation nach uns weitergeben können.

Lieber Leser! Es ist nicht leicht, als Ungar in der heutigen, von Kämpfen geplagten Ukraine zu leben, doch schon immer waren es die Schwierigkeiten, die den Ungarn wie eine Sprungfeder Kraft gaben, sie aufrecht hielten und vorwärts brachten. Unsere Vorfahren fürchteten sich nicht, dabei hatte man auch sie zu unterjochen versucht. Ich als junger Transkarpatier sehe und erlebe die Schwierigkeiten und Probleme, mit denen wir schon seit langem zu kämpfen haben. Doch Angst und Unterwürfigkeit sind mit dem Charakter der Ungarn nicht vereinbar. Wir sind es unserer ruhmreichen Vergangenheit schuldig, alles zu tun, was in diesem Chaos getan werden kann und muss: für unser Ungarntum einzustehen.

Wir wurden hier geboren, dies ist unsere Heimat, von hier kann uns niemand vertreiben oder uns assimilieren, denn wir sind hier zuhause. Hier in Transkarpatien. Ungar zu sein

und auch als Minderheit zu bestehen ist kein alltägliches Gefühl, sondern ein wahres Wunder, und wir sind es unseren Vorfahren und Nachkommen schuldig.

“Das Ungarntum ist kein Hutschmuck, sondern wird von den Ungarn in der Tiefe ihres Herzens getragen, wie die Auster ihre Perle trägt. Das Gefühl unseres Ungarntums brennt tief in uns, sodass wir fast schon selbst nichts davon wissen, wie Vulkane, die kalte Steinberge sind, bis sie einmal zu grollen beginnen.” (Géza Gárdonyi)

Géza Gárdonyis tief schürfende Gedanken bestärken mich darin, dass wir, egal wo auf der Welt wir leben, unsere Muttersprache und Kultur nicht aufgeben dürfen, denn das ist es, was uns auch in der Diaspora und in den Gebieten außerhalb der Landesgrenzen zu einer starken Nation macht.

Wodurch bleibt ein Mensch ein echter Ungar, wenn man von allen Seiten versucht, seine Rechte zu mindern, ihm seine alten Schätze zu entreißen, sich in seinen Alltag einzumischen?! Durch das Erbe seiner Vorfahren. Die nachfolgende Generation wird später von uns Rechenschaft darüber fordern, was wir getan haben, um diesen erkämpften und über Jahrhunderte hinweg bewahrten Schatz weiter zu vererben.

Die Burg von Huszt · Bildquelle: Sumida Magazin

Wir werden stolz sagen können: wir haben unsere Schulen, unsere Kirchen, unsere Muttersprache und unseren Glauben erhalten.

Das ist natürlich nur möglich und nur dann können wir dies mit Stolz verkünden, wenn wir uns nicht der Willkür einiger Politiker unterwerfen, denn Zeiten ändern sich und werden schließlich uns Recht geben. Wir werden später unseren Kindern und Enkeln in die Augen sehen müssen, und das werden wir nur dann ohne Scham tun können, wenn auch sie in der Schule in ihrer Muttersprache lernen können, wenn sie in der Kirche Predigten in ihrer Muttersprache hören können.

Es hängt von uns ab – von unserer Ausdauer und unserem Rückgrat – ob es so sein wird.

Der Autor ist Student, der seinen Namen wegen der politischen Lage in der Ukrainen nicht öffentlich bekanntgeben möchte.

Dieser Beitrag erschien zuerst in deutscher Übersetzung von Sophia Matteikat bei UNGARNREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.


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