
Nun hat auch der türkische Präsidentschaftswahlkampf seine ausländische Wahleinmischung. Die Opposition beschuldigt Russland, die Regierung beschuldigt die USA. Was ist passiert? Lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen und sichern Sie sich unsere DVD zu den Hintergründen der Weltpolitik: Zu Nord Stream, Ramstein und Seymour Hersh . Lieferbar ab Ende Juni. Hier mehr erfahren.
_ von Thomas Röper
Man kann die Präsidentschaftswahl in der Türkei mit Fug und Recht als Schicksalswahl bezeichnen, denn sollte Erdogan die Macht verlieren, wird eine pro-westliche Opposition die Macht übernehmen. Zwar verkündet die Opposition, dass sie die guten Beziehungen zu Russland beibehalten will, aber das hat nichts zu sagen, denn das haben wir auch schon zum Beispiel in Moldawien erlebt. Die damalige Präsidentschaftskandidatin Sandu hat ebenfalls versprochen, die guten Beziehungen zu Russland beizubehalten, nur um danach – zum Schaden ihres Landes – das exakte Gegenteil zu tun, worüber ich oft berichtet habe.
Die Ausgangslage vor der Wahl
Der Vergleich zwischen den beiden – eigentlich völlig verschiedenen – Ländern ist aus einem Grund durchaus möglich, denn sowohl Moldawien als auch die Türkei hängen zu einem wichtigen Teil wirtschaftlich von Russland ab. Als Russland nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei im Jahr 2015 die Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei weitgehend abgebrochen hat, waren die Folgen sehr schmerzhaft für die Türkei, die im Bereich Tourismus, Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse und Import von Energieträgern sehr auf Russland angewiesen ist. Russland ist übrigens der drittgrößte Handelspartner der Türkei.
Aber das Beispiel der EU hat gezeigt, dass solche pragmatischen Interessen für Vasallen der USA kein Gewicht haben, wenn die USA Sanktionen gegen einen Gegner, in diesem Fall Russland, verhängen wollen. Dann gehen die Vasallen den Weg mit, auch wenn er für sie geradezu selbstmörderisch ist. Das dürfte auch für die türkische Opposition gelten.
Grüne gegen Erdogan
Der Konkurrent von Erdogan bei den Wahlen hat bereits angekündigt, im Falle eines Wahlsieges sofort die Beziehungen zur EU und zum Westen zu verbessern. Dass er sich dabei der anti-russischen Politik inklusive der Sanktionen verweigert, ist kaum denkbar. Auf die Frage, ob er eine NATO-Erweiterung (der Beitritt Schwedens wird zum Ärger der USA bisher von Erdogan verhindert) unterstützen würde, antwortete er zum Beispiel:
„Natürlich. Im 21. Jahrhundert ist die NATO nicht nur eine militärische Organisation, sondern auch der Verteidiger der Demokratie. Wir werden unsere Beziehungen zum Bündnis im gleichen Rahmen wie in der Vergangenheit aufrechterhalten.“
Daher ist es offensichtlich, wer an dem Wahlsieg welches Präsidentschaftskandidaten in der Türkei interessiert ist: Der Westen unterstützt offen den Oppositionsführer, die deutschen Grünen – immerhin Regierungspartei und Inhaber des Postens der deutschen Außenministerin – fordern sogar vollkommen offen die Abwahl von Erdogan.
Russland hingegen dürfte sich eher wünschen, dass Erdogan die Wahl gewinnt. Er ist für Russland zwar kein einfacher Partner, aber man weiß in Moskau, was man von ihm erwarten kann (und auch was nicht) und es ist klar, dass Erdogan keine Sanktionen gegen Russland verhängen würde – und sei es nur, weil sie der Türkei zu sehr schaden würden.
Der Video-Skandal
Wenige Tage vor der Wahl gab es in der Türkei einen Skandal. Im Netz tauchte ein gefälschtes Sexvideo auf, das Muharrem İnce, einen der oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, natürlich diskreditiert hat. Daraufhin warf er genervt das Handtuch und zog seine Präsidentschaftskandidatur zurück.
Die Opposition hat sofort Russland für das gefälschte Video verantwortlich gemacht und westliche Medien wie der Spiegel sehen das auch so. In seinem Artikel mit der Überschrift „Türkischer Wahlkampf – Erdoğan-Rivale Kılıçdaroğlu wirft Russland Deepfake-Kampagne vor“ hat der Spiegel den Eindruck erweckt, dass Russland wohl dahinter steckt, vor allem aber hat der Spiegel die Möglichkeit, dass ein westlicher Staat – zum Beispiel die USA – dahinter stecken könnte, gar nicht erst erwähnt.
Kılıçdaroğlu warf Russland offen vor, hinter dem Sexvideo-Skandal zu stecken, der zum Rückzug von İnce aus dem Präsidentschaftswahlkampf geführt hatte. Kılıçdaroğlu warnte Russland gleichzeitig davor, sich in die inneren Angelegenheiten der Türkei einzumischen. Kılıçdaroğlu sagte:
„Wenn ihr nach dem 15. Mai unsere Freundschaft wollt, nehmt eure Hände vom türkischen Staat.“
Kılıçdaroğlu beschuldigt Russland
Außerdem twitterte er auf Türkisch und auch auf Russisch:
„Liebe russische Freunde, ihr steckt hinter den Montagen, den Verschwörungen, den Deep-Fake-Inhalten, den Tonbändern, die gestern in diesem Land herauskamen. Wenn ihr nach dem (Wahltag am) 15. Mai unsere Freundschaft wollt, nehmt eure Hände vom türkischen Staat. Wir stehen nach wie vor zu Zusammenarbeit und Freundschaft.“
Gegenüber Reuters sagte Kılıçdaroğlu, er habe Beweise dafür, dass Russland dahinter stecke:
„Wenn wir keine konkreten Beweise hätten, hätte ich nicht darüber getwittert. Wir halten es für inakzeptabel, dass sich ein anderes Land zugunsten einer politischen Partei in den Wahlprozess in der Türkei einmischt. Ich wollte, dass die ganze Welt davon erfährt, also habe ich es getwittert.“
Die Beweise, die er angeblich hat, hat er übrigens nicht vorgelegt.
Erdogan beschuldigt den Westen
Die türkische Regierung sieht das anders und macht die USA für den Skandal verantwortlich. Der türkische Innenminister erklärte:
„Die USA mischen sich regelmäßig in die Wahlen in der Türkei ein, und zwar auf verschiedene Weise, unter anderem durch den Einsatz so genannter Kassetten-Verschwörungen . Was hat Muharrem Ince ihnen getan? Sie haben kein Gewissen“
Erdogan wurde noch deutlicher. Im Fernsehen sagte er:
„Herr Kemal hat sich jetzt auf Russland gestürzt, weil es angeblich die Wahlen in der Türkei lenkt. Er sollte sich schämen. Was antwortest Du, wenn ich Dir sage, dass sich die USA, Frankreich, die BRD und Großbritannien in die türkischen Wahlen einmischen?“
Weiter bezeichnete Erdogan die westlichen Staaten als „Lügner“:
„Ich treffe mich mit ihnen seit 20 Jahren, Du kannst sie nicht besser kennen als ich. Ich habe mit ihnen an einem Tisch gesessen, sie sind Lügner“
Cui bono?
Wenn man wissen möchte, wer hinter dem gefälschten Skandal-Video stecken könnte (und wer auf keinen Fall dahinter stecken kann), muss man sich nur fragen, wem der Skandal genützt hat. Dazu müssen wir verstehen, wie die Wahlen in der Türkei funktionieren.
Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet
Bei der Wahl treten neben Präsident Erdogan und seinem wichtigsten Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu noch einige andere Kandidaten von Oppositionsparteien an. Sollte in der ersten Wahlrunde keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen, gibt es eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen bekommen haben.
Die Umfragen sehen Erdogan und Kılıçdaroğlu praktisch gleichauf und beide hoffen auf eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang. Dass Ince nun das Handtuch geworfen hat, nützt Kılıçdaroğlu, weil zu erwarten ist, dass sich die Wähler des Oppositionellen nun auf die Seite des führenden Oppositionellen schlagen.
Selbst wenn man Russland für den Teufel in Person halten möchte, kann Russland nicht hinter dem Skandal stecken, weil der Skandal Erdogan schadet. Das ist kein Beweis für die Täterschaft der USA, es ist aber ein Beleg dafür, dass Russland es nicht gewesen sein kann.
Ein türkischer Maidan?
Die Atmosphäre im türkischen Wahlkampf ist extrem aufgeheizt. Sollte Erdogan im ersten Wahlgang knapp gewinnen, dürfte die Opposition Erdogan Wahlfälschung vorwerfen und die westlichen Medien würden diesen Vorwurf übernehmen. Das ist ein Ritual, das wir aus vielen Ländern kennen, in denen die USA einen Kandidaten der Opposition unterstützt haben. Daher sind auch Proteste und Unruhen möglich, auch das wäre nicht das erste Mal.
Hinweise darauf, dass es in diese Richtung gehen kann, gibt es schon. Ich zitiere dazu einen Artikel der TASS, der darüber berichtet hat.
Beginn der Übersetzung:
Erdogans Rivale versprach, die Wahlprotokolle parallel zur Wahlkommission zu verlesen. Kemal Kılıçdaroğlu sagt, er werde „alle Versuche, mit den Ergebnissen zu spielen“, aufdecken
Kemal Kılıçdaroğlu, der wichtigste Konkurrent des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan um das Präsidentenamt, von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei, verspricht, die Wahlprotokolle der Wahlen vom 14. Mai parallel zur Zentralen Wahlkommission zu veröffentlichen.
„Wir werden alle Versuche, mit den Ergebnissen zu spielen, aufdecken. Nicht die Zentrale Wahlkommission, sondern wir werden die Ergebnisse verkünden. Wir arbeiten seit eineinhalb Jahren an der Sicherheit der Wahlkommissionen, es gibt eine Infrastruktur, es wurden Tests durchgeführt. Wir werden jedes Protokoll veröffentlichen. Wir werden sie alle haben“, sagte er am Mittwoch im Fernsehsender Tele‑1.
Kılıçdaroğlu machte keine Angaben zu der Infrastruktur, an der seine Partei gearbeitet hat. Er wies jedoch darauf hin, dass die offiziellen Stellen, „die Zentrale Wahlkommission oder die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, möglicherweise nicht alle Protokolle veröffentlichen“.
„Zweiter Wahlgang nicht ausgeschlossen“
Die Auszählung der Stimmen bei türkischen Wahlen wird in jedem Wahllokal von Kommissionen überwacht, die sich aus Vertretern der zur Wahl stehenden Parteien zusammensetzen. Vertreter seiner Partei sind in der Regel in jedem oder den meisten Wahllokalen anwesend. Am Ende des Wahlvorgangs werden die Stimmzettel ausgezählt und ab 17.00 Uhr werden am Wahltag Ergebnisprotokolle erstellt. Die Vertreter jeder Partei in der Kommission erhalten eine offizielle Kopie des Protokolls, die dann an die Parteizentrale weitergeleitet wird.
Die offiziellen Ergebnisse der Auszählung werden veröffentlicht, sobald die Wahlkommission die Stimmzettel verarbeitet hat, und ein oder mehrere Medien sind berechtigt, sie in Echtzeit zu veröffentlichen. Traditionell ist das die Nachrichtenagentur Anadolu, aber in der Vergangenheit wurde das Recht auch privaten Medien und Fernsehsendern gewährt. Häufig können die Medien die Daten schneller erhalten als die Zentrale Wahlkommission, da ihre Korrespondenten vor Ort die Ergebnisprotokolle aus den Wahllokalen oder den Regionalbüros der Parteien oft schneller an ihre Redaktionen weiterleiten.
Nach Angaben der Wahlkommission können 64 Millionen türkische Bürger an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai teilnehmen, während mehr als 1,6 Millionen bereits im Ausland gewählt haben. Insgesamt werden 191.884 Wahlurnen im In- und Ausland aufgestellt. Ein Präsidentschaftskandidat braucht mehr als 50 Prozent der Stimmen, um zu gewinnen. 36 Parteien treten zu den Parlamentswahlen an. Sie müssen die Sieben-Prozent-Hürde überwinden, um ins Parlament einzuziehen, aber wenn sich eine Partei mit anderen verbündet, gilt diese Voraussetzung nicht. Türkische politische Analysten schließen eine Präsidentschaftswahl mit zwei Wahlgängen nicht aus. In diesem Fall wird die zweite Runde am 28. Mai stattfinden. Sieger ist der Kandidat, der die einfache Mehrheit der Stimmen erhält.
Ende der Übersetzung
Dem bleibt nur hinzuzufügen, dass die Wahlen wohl sehr interessant werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei COMPACT MAGAZIN, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION.
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