Horst D. Deckert

Ungereimtheiten bei Greenpeace Aktion während EM-Spiel: Waren das Fernsehen, die Spieler und die Bundesregierung eingeweiht?

Dei der Niederlage der Mannschaft „Die Mannschaft“ gegen Frankreich kam es gestern ganz zu Beginn zu einen Zwischenfall, bei dem ein Greenpeace Aktivist per Gleitschirm im Stadion gelandet ist (hier ab 1:03:15). Nur mit Glück hat er keine mittlere Katastrophe ausgelöst, die Medien berichteten ausgiebig darüber. Jenseits der berechtigten Kritik an der Aktion meldete sich bei mir der innere Verschwörungstheoretiker, da eine derartige Aktionen eigentlich nicht möglich sein sollte und sich die zufällig Beteiligten völlig anders verhielten, als es üblicherweise angezeigt ist. Ich frage mich daher, ob die Regierung, die Spieler und das Fernsehen im Vorfeld über die Aktion informiert worden sein könnten.

Flitzer sind nicht gerne gesehen, mit Grund

Bei großen Fußballspielen kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. In der Regel sind es harmlose Flitzer, von denen einige nackt für den besonderen Kick mitten im Spiel über das Feld rennen. In anderen Fällen sind es weniger harmlose politische Aktivisten, die sich einschleichen, um für ihr Anliegen zu werben. In der Regel verläuft die Sache harmlos, wobei in unserer verrückten Zeit nicht ausgeschlossen ist, dass es auch einmal ein Terrorist sein könnte, oder bei Tieren ein verängstigter Hund, der auf einen Spieler losgeht und diesen beißt.

Meist werden solche Szenen von den Zuschauern im Stadion mit Applaus goutiert, wenn auch nicht immer. Für die Verantwortlichen auf der anderen Seite ist die Angelegenheit überhaupt nicht lustig. Fußballspiele sind eng choreografiert, die Sicherheit von mehreren zehntausend Menschen muss jederzeit gewährleistet sein und auch den Sponsoren gefällt es sicherlich nicht, wenn die teuer eingekaufte Werbung plötzlich neben einem Irren platziert ist.

Es ist daher sehr naheliegend, dass derartige Szenen möglichst nicht ihren Weg aus dem Stadion herausfinden, wenn es denn einmal passiert. Zu groß ist alleine schon die Gefahr, dass sich Nachahmer finden, die beim nächsten Mal beim Ausleben ihres Exhibitionismus noch einmal eine Schippe drauf legen.

Das System gegen Flitzer steht… eigentlich

Mit dem Aufkommen des Phänomens mussten die Veranstalter daher gemeinsam mit den Sicherheitsbehörden und TV-Anstalten immer weiter an ihren Möglichkeiten feilen, genau solche Situationen zu verhindern – oder wenn es passiert, den Schaden für die öffentliche Wahrnehmung zu minimieren. Ein Zwischenfall beim WM Finale von 2018 (ab 0:15) zeigt exemplarisch, wie mit solchen Situationen umgegangen wird.

Als der Flitzer entdeckt wird, zoomt die Kamera sofort von der Szene weg und zeigt die Großbildansicht. Gleichzeitig rennen sofort Helfer auf das Feld, um den Täter einzufangen. Das Spiel kommt zum Halt, wobei das Kamerabild mit einem wartenden Spieler eingeblendet wird, nicht aber den Flitzer und wie er eingefangen und abgeführt wird. Dann werden Zeitlupen gezeigt. Der (englische) Kommentator kommentiert mit: „Sie ruinieren die Party.“

Mit Ausnahme der wenigen Sekunden, in denen der Flitzer zu sehen ist, war das Vorgehen der russischen Regie wie auch das Verhalten des Kommentators vorbildlich. Die TV-Zuschuer bekamen nur genau so viel mit, wie sie benötigten, um die Spielunterbrechung zu verstehen. Dieses Vorgehen ist ein gut eingeübtes System, das auch in München als regelmäßiger Spielstätte für große Spiele hätte funktionieren müssen. In meinen Augen geschah dies in München nicht und es wirft Fragen auf.

1. Kein Flugverbot über dem Stadion

Spätestens seit den Anschlägen am 11. September 2001 müssen die Behörden im Blick behalten, dass jederzeit ein Flugzeug gekapert werden könnte, um es im Stadion zum Absturz zu bringen. In Anbetracht der gedrängt auf den Tribünen stehenden Zuschauer reicht dabei sogar ein Kleinstflugzeug, um erheblichen Schaden zu verursachen.

Abhilfe dagegen schafft ein generelles Flugverbot über einem Stadion, wenn in diesem gerade eine Großveranstaltung stattfindet. Mir ist nicht bekannt, ob dies zu den allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen gehört. Sollte das nicht der Fall sein, dann wäre es eine unentschuldbare Lücke im allgemeinen Sicherheitssystem.

Fakt ist, dass der Zwischenfall in München kaum hätte passieren können, wenn dort ein Flugverbot geherrscht hätte. Der Aktivist hat zwar einen motorisierten Gleitschirm verwendet, die bis zu 100km weit fliegen können. Jedoch wäre er über der Stadt mit Sicherheit auf dem Radarschirm erschienen, da Kleinstflugzeuge kaum größer sind und zivile Anlagen auch für diese funktionieren müssen.

Mit der Annäherung des Aktivisten an das Stadion hätte die Flugabwehr aktiviert werden müssen, um ihn beim Weiterflug in Richtung Stadion rechtzeitig abfangen zu können. Im Zweifel wäre es sogar möglich gewesen, den Gleitschirm im Rahmen des Luftsicherheitsgesetz abzuschießen. Die letzte Entscheidung hätte bei der Bundesregierung bzw. der Bundeskanzlerin gelegen, wie es in §13 heißt, sobald der zuständig Ministerpräsident (in diesem Fall Markus Söder) um Amtshilfe zur Gefahrenabwehr bittet. Da es gut und gerne ein bewaffneter Terrorist mit einer Tarnung als Greenpeace Aktivist hätte sein können, wäre für die Behörden spätestens beim Anflug in Richtung Stadion ein Eingreifen zwingend gewesen.

Mehrere Szenarien sind möglich, warum sie das nicht taten. Einmal ist vorstellbar, dass die Behörden den Anflug nicht ernst nahmen, oder die Aufschrift am Fallschirm die Interpretation „harmlos“ zuwiesen. Des weiteren ist möglich, dass sich der Ministerpräsident oder die Bundeskanzlerin zur Gesichtswahrung gegen ein Eingreifen entschieden, da die Landung im Stadion möglicherweise als weniger dramatisch erachtet wurde, als das Geräusch eines Kampfflugzeugs über München. Nicht auszuschließen ist, dass Greenpeace die Behörden kurz vor oder während der Aktion sogar darüber unterrichtet hat, um einen Antiterroreinsatz zu verhindern und die Aktion als kleineres Übel zuzulassen.

Die Frage wäre, woher die Verantwortlichen die Sicherheit hatten, dass die Aktion „harmlos“ sei und es schon gut gehen wird – obwohl es wie man sehen konnte dennoch beinahe zur Katastrophe kam, und auch, warum sich die Politik von Greenpeace in dieser Weise erpressen lässt. Im anderen Fall wäre die Frage, wo in unserer Sicherheitsarchitektur sonst noch kritische Lücken existieren, wenn derartige Fluggeräte nicht vom Radar erfasst werden, bzw. die Meldekette dafür nicht funktioniert.

2. Das Verhalten der Regie & des Kommentatoren

Der Moderator Bela Rethy gehört eigentlich zu den besseren Fußballkommentatoren, der auch das WM Finale von 2018 kommentiert hat. Leider konnte ich keinen Clip mit der deutschen Übertragung finden (vielleicht weiß ein Leser, wo es einen gibt), so dass ein Vergleich mit seiner Kommentierung des damaligen Zwischenfalls schlecht möglich ist. Rethy jedenfalls bekleckerte sich mit seiner Reaktion auf den Anflug des Aktivisten nicht mit Ruhm.

Der Zwischenfall begann, als gerade die Grafiken mit den Aufstellungen angezeigt wurden. Das Bild auf das Stadionrund war dadurch verdeckt. Dennoch druckst Rethy plötzlich: „Eee..eine Aktion von Greenpeace.“

Die TV-Zuschauer konnten in diesem Moment nicht sehen, was im Stadion passiert, da weiterhin die Aufstellung zu sehen ist. Rethy beginnt dann die Szene zu beschreiben, wie der Aktivist beinahe abstürzt, woraufhin das Bild schließlich wechselt und den Zwischenfall in Nahaufnahme zeigt. Ich möchte Rethy an dieser Stelle keine Absicht unterstellen, vermutlich hat er nur instinktiv gehandelt, als er die Szene nicht überging, sondern wortreich darauf einging. Als es bei der EM 2008 zu einem längeren Bildausfall kam, musste er schon einmal spontan auf Radiokommentar umstellen. Vermutlich hat er hier instinktiv gehandelt, auch wenn er als Profi analog zum Co-Kommentator besser hätte reagieren können.

Insbesondere aber die Regie muss kritisiert, deren Reaktion auf den Zwischenfalls war alles andere als professionell. Sie hätten nie das Bild wechseln dürfen und Rethy hätte sofort der Ton abgestellt werden müssen. Ich bin mir sicher, dass es strikte Anweisungen für TV-Sender gibt, derartige Zwischenfälle nach Möglichkeit auszublenden. Die Regie hat komplett versagt, zumal das Einblenden der Aufstellungen noch einmal mindestens eine Minute gedauert hätte, so dass die Szene komplett hätte verschwiegen werden können.

Dies geschah nicht. Daher sind mindestens im Fall der Regieführung personelle Konsequenzen notwendig, sie trägt die unmittelbare Schuld daran, dass der Aktivist mit der maximalen Aufmerkamkeit sein Ziel erreichen konnte. Aber auch Rethy sollte in sich gehen und sich fragen, ob er in der Situation richtig gehandelt hat. Nicht zuletzt „scheint das eine Aktion von Greenpeace zu sein“, wie Rethy meinte. Doch was ist, wenn es nur so schien und es in Wahrheit jemand mit einem Sprengstoffgürtel war? Manchmal ist bei manchen das Gefahrengefühl ausgeschaltet. Das war bei Rethy eindeutig der Fall, einem Profi wie ihm darf das nicht passieren.

Inwieweit die TV-Verantwortlichen im Stadion im Vorfeld über die Aktion des Aktivisten unterrichtet waren, wird wohl unbekannt bleiben. Doch alleine die Tatsache, dass die Szene während sie geschah komplett hätte ignoriert werden können und dennoch das Gegenteil geschah, lässt vermuten, dass auch hier jemand möglicherweise mehr wusste, als es oberflächlich den Anschein macht. Über die Motive, die Szene so groß ins Bild zu setzen, darf – nein muss – spekuliert werden.

3. Das Verhalten der Spieler

Dritter im Bunde relevanter Auffälligkeiten ist mit Rüdiger mindestens ein deutscher Spieler, der sofort nach dem Absturz zu dem Aktivisten rannte und mit ihm sprach, wie dieses Foto zeigt. Grundsätzlich ist es dem Spieler hoch anzurechnen, insbesondere, da er mehr als zehn Meter entfernt stand. In der Regel stören sich viele Spieler an derartigen Zwischenfällen, da es ihrer Konzentration abträglich ist. Sie überlassen es den Ordnern, sich um den Störer zu kümmern. Rüdiger ist offenbar etwas robuster in dieser Hinsicht, vielleicht hat sich bei ihm instinktiv auch das Verantwortungsbewusstsein gemeldet und die Vorsicht überschrieben.

Im Gesamtbild jedoch muss Rüdiger für sein Verhalten kritisiert werden, da auch die Spieler Teil des allgemeinen Sicherheitskonzepts sind. Profifußballer verdienen generell sehr viel Geld, wobei die Fehlertoleranz in Anbetracht von 6,1 Millionen Euro Jahreseinkommen sehr gering ist. Dies gilt auf dem Platz, daneben und wie in diesem Fall dazwischen. Auch wenn der Aktivist hätte verletzt sein können, Rüdiger wusste nicht, welche Absichten er hatte. Man kann auch bezweifeln, dass er diesem im Fall einer schweren Verletzung mehr als die Hand hätte halten können. Direkt am Spielfeldrand standen mindestens zwei hochqualifizierte Mannschaftsärzte bereit, die sich im Fall der Fälle in wenigen Sekunden um den Abgestürzen hätten kümmern können. Im Zweifel hätte Rüdiger in seinem Unwissen etwas machen können, das dem Verletzten schadet.

Die Frage an Rüdiger und den zweiten Spieler, der sich dem Aktivisten genähert hat, wäre entsprechend, ob auch sie im Vorfeld über den Zwischenfall informiert waren. In dieser Version hätten sie gewusst, dass zur Zeit des Anpfiffs wahrscheinlich ein Gleitschirmflieger im Stadion landen wird. Was keiner ahnen konnte war, dass aufgrund des Kameraseils unerwartet etwas schief gehen würde. Das hat Rüdiger kurzzeitig so weit schockiert, dass er die Anweisung, sich fernzuhalten vergaß, und instinktiv zu dem Verletzten gerannt ist. Es würde auch erklären, warum sich mindestens die beiden Spieler nicht in ihrer Konzentration gestört fühlten. Denn weiß was kommt, der wird auch in einer extremen Drucksituation davon nicht aus der Ruhe gebracht.

Nein, das war keine Lappalie

Für alle, die den Zwischenfall als Lappalie abtun wollen, noch ein Hinweis jenseits der genannten. Das Seil, an dem der Aktivist hängen geblieben ist, hätte auch reißen können. Ein 150m langes und doppelt geführtes Stahlseil mit einem Durchmesser von 1cm wiegt zuzüglich des Kameramoduls mehr als eine halbe Tonne. Wäre es unerwartet aus der Verankerung gerissen, weil sich der bis zu 200kg schwere motorisierte Gleitschirmflieger in hoher Geschwindigkeit hineinfliegt, dann wäre das Seil unkontrolliert über den gesamten Platz gepeitscht.

Die Aktion hätte ohne weiteres einem halben Dutzend Spieler das Leben kosten können, ein Absturz in die coronabedingt dünn besetzten Ränge wäre wohl weniger dramatisch ausgefallen. Der Schlimmstfall hätte wenige Minuten zuvor eintreten können, als beim Absingens der Nationalhymnen alle Spieler und die Schiedsrichter mittig auf dem Platz dicht beieinander aufgereiht standen.

Alles an dieser Geschichte deutet auf ein krasses behördliches Versagen hin, zu viel auf ein Mitwissertum durch Politik, Medien und die sportlichen Verantwortungsträger vor Ort. Bei der WM in Russland wurden die Flitzer des Finales damals „hart“ bestraft. Sie bekamen von der unerbittlichen russischen Justiz 15 Tage Haft aufgebrummt. Leider ist zu bezweifeln, dass über den Zwischenfall in München auch nur 15 Sekunden lang die Wahrheit gesagt werden wird.

Titelbild Quelle

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