Während der SPIEGEL in investigativer Großarbeit die Pöbeleien von Till Schweiger aufdeckt, schließt die EU-Kommission gerade in Nachverhandlungen mit dem US-Pharmamulti Pfizer einen weiteren Milliardendeal über die Lieferung von Corona-Impfstoffen ab. Diese „Nachverhandlungen“ sind die Folge des skandalösen „Pfizer-Deals“, den Kommissionspräsidentin von der Leyen vor zwei Jahren im Alleingang per SMS mit dem Pfizer-Chef Bourla vereinbart hat. Insgesamt hat die EU mehr als 4,6 Milliarden Impfdosen bestellt. Ein Großteil davon wurde bereits vernichtet oder wird in Zukunft vernichtet werden müssen. Alleine die nun verhandelten Nachverhandlungen kosten die Steuerzahler der EU mindestens 10 Milliarden Euro. Die politische Verantwortung dafür trägt Ursula von der Leyen. In Summe sind die Verträge zur EU-Impfstoffbeschaffung der wohl größte politische Skandal der letzten Jahrzehnte. Doch die großen deutschen Medien schweigen. Das könnte auch daran liegen, dass ihre Corona-Berichterstattung von der Leyen dazu getrieben hat, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und dabei episch zu scheitern. Von Jens Berger
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Die Europäische Union hat 450 Millionen Einwohner. Selbst wenn man die Frage der Sinnhaftigkeit der Corona-Impfung für die gesamte Bevölkerung einmal großzügig außer Acht lässt, ist es unverständlich, warum die EU-Kommission als zentraler Verhandlungspartner für die EU-Staaten ganze 2,4 Milliarden Impfdosen verbindlich und weitere 2,2 Milliarden Impfdosen als Option bestellt hat. Das sind in Summer 4,6 Milliarden Impfdosen – mehr als 10 Impfdosen pro Kopf, vom Säugling in Estland bis zum Greis in Portugal. Stand heute wurden nach offiziellen Angaben 975 Millionen Dosen verimpft – das heißt, das mehr als jede zweite verbindlich bestellte und bezahlte Impfdosis vernichtet werden muss; zählt man die optional vorbestellten Dosen hinzu, hat die EU mehr als viermal so viele Impfstoffe bestellt wie benötigt. Das freut die Pharmakonzerne, für die die zentrale Impfstoffbeschaffung der EU der wohl größte Jackpot aller Zeiten war und ist. Denn auch heute noch – wo Corona keine Rolle mehr spielt und niemand etwas von Impfungen wissen will – werden tagtäglich containerweise Impfstoffe an die staatlichen Stellen ausgeliefert und das wird auch bis mindestens 2026 so weiter gehen. Waren bis Anfang 2021 mit AstraZeneca, Sanofi/GSK, Janssen, Curevac, Pfizer/BioNTech und Moderna noch sechs Anbieter im Spiel, eroberte im Mai 2021 der US-Konzern Pfizer – zusammen mit seinem deutschen Partner BioNTech – das Spielfeld. Ein Vertrag zwischen Pfizer und der EU-Kommission über 900 Millionen Impfdosen und eine Option über weitere 900 Millionen Impfdosen, die zum Glück nie gezogen wurde, war der Game Changer. Um diesen Vertrag soll es hier gehen.
Um zumindest im Ansatz das Handeln von der Leyens wenn auch nicht verstehen, so doch nachvollziehen zu können, ist es sinnvoll, sich in den Frühling 2021 zu begeben. Die Winterwelle 2020/2021 hatte in den meisten europäischen Ländern zahlreiche Todesopfer gefordert und Medien und Politik sind in einen regelrechten „Impfwahn“ verfallen. Sollte es später vor allem darum gehen, möglich viele Menschen zur Impfung zu drängen, ging es damals noch darum, genügend Impfstoffe für die von den Medien verunsicherte und verängstigte Bevölkerung zu organisieren. Und in diesem Punkt, da waren sich die Medien einig, hätten die nationale Politik und die EU bislang versagt.
So viel zum medialen Narrativ. In der Realität hatte die EU, die man als zentralen Verhandlungspartner für die EU-Mitgliedsstaaten auserkoren hatte, um zu verhindern, dass übereifrige und finanziell potente Staaten wie Deutschland den ganzen Markt leerkaufen, im April 2021 bereits 1,36 Milliarden Impfdosen bei diversen Herstellern fest verbindlich bestellt und sich weitere 1,21 Milliarden Impfdosen über vertragliche Optionen zusichern lassen. Auch hier soll es nicht um die Sinnhaftigkeit der Massenimpfung gehen. Festzuhalten ist aber, dass in den Wochen, in denen Ursula von der Leyen die Impfstoffbeschaffung zur Chefinnensache machte und dabei sämtliche EU-Vergaberegeln brach, die es gibt, objektiv keine Unterversorgung mit Corona-Impfstoffen bestand.
Dennoch nahm von der Leyen nun die Verhandlungen selbst in die Hand und handelte mit dem Pfizer-Chef Bourla persönlich – und das offenbar größtenteils per SMS – einen Vertrag aus, wie ihn die EU noch nicht gesehen hatte. Es ging um 900 Millionen Impfdosen, die verbindlich bestellt wurden und weitere 900 Millionen Impfdosen, auf die sich die EU eine Option einräumen ließ. Wer nun denkt, dass ein derart gigantisches Bestellvolumen zumindest günstigere Preise mit sich brachte, der sieht sich getäuscht. Hatte Pfizer bei den vorhergehenden Verträgen noch einen Preis von 15,50 Euro pro Dosis durchsetzen können, waren es nun 19,50 Euro. Zum Vergleich – der Impfstoff von AstraZeneca kostete die EU 2,30 Euro pro Dosis. Von der Leyens „Privatvertrag“ hatte somit ein Volumen mit mindestens 35 Milliarden Euro – der mit großem Abstand historisch größte Einzelvertrag zwischen der EU und einem Unternehmen. Und alles ohne Ausschreibung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Umgehung der eigenen Rechenschafts- und Transparenzpflichten. Noch heute haben weder die Öffentlichkeit, noch der EU-Rechnungshof oder das EU-Parlament Einblick in die Verträge, geschweige denn Einblick in die Chatunterlagen von von der Leyen und Bourla zum Zustandekommen der Verträge.
Der Sommer kam, die Impfstoffknappheit aus dem Winter war kein Thema mehr. Nun suchte man verzweifelt nach Menschen, die sich überhaupt noch impfen und bestenfalls sogar zum vierten Mal boostern lassen wollten. So langsam sprach es sich sogar bis in die Medien herum, dass die Impfung nicht das hält, was man sich von ihr versprochen hatte. Ja, die Sterblichkeit der Hochrisiko-Gruppen konnte durch die Impfung gesenkt werden, aber der Nutzen für die breite Mehrheit ist bis heute nicht belegt und von der versprochenen Immunität war schon bald ohnehin nicht mehr die Rede. Das Thema Nebenwirkungen wurde gleich ganz unter den Deckel gekehrt. 4,6 Milliarden Impfdosen? Wofür?
So kam es, wie es aus objektiver Sicht kommen musste: Die EU-Staaten wussten bereits wenige Wochen nach dem Pfizer-Deal gar nicht mehr, wohin mit den vielen Impfdosen. Diese wurden zunächst eingelagert oder bereits von den Herstellern ab Werk vernichtet. Ausgeliefert wurden ab diesem Zeitpunkt vor allem Dosen, die diejenigen Dosen in den Lagern ersetzten, die aufgrund des Verfallsdatums dort vor Ort vernichtet werden mussten. Doch: Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten. Und so werden auch heute noch jeden Tag Impfdosen produziert, die niemand will und die richtig viel Geld kosten. Von der Leyen sei Dank.
Stand heute hat die EU alleine gegenüber Pfizer bestehende Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 10 Milliarden Euro. Um dieses Problem anzugehen, finden derzeit Nachverhandlungen mit Pfizer statt. Nachverhandlungen? Das hört sich niedlich an. Konkret geht es darum, dass die EU-Kommission einen Weg finden will, um irgendwie den Schaden zu begrenzen, den von der Leyen mit ihrem privat ausgehandelten Pfizer-Deal angerichtet hat. Diese Nachverhandlungen haben nun ein Zwischenergebnis geliefert. Das besagt: Von den rund 500 Millionen Impfdosen, die die EU Pfizer stand heute noch abnehmen muss, fallen 220 Millionen Dosen weg. Dafür muss die EU jedoch eine Art Stornogebühr bezahlen – 2,2 Milliarden Euro. Die restlichen 280 Millionen Dosen werden in einem neuen Rahmenvertrag bis 2026 geliefert … oder besser „vernichtet“. Dafür zahlt die EU jedoch dann jedoch nicht den alten, ohnehin schon massiv überteuerten Preis, sondern einen neuen, sich an dem Marktpreis orientierten, Abnahmepreis. Auf Deutsch: Es wird noch teurer. Oder um es mit Martin Sonneborn zu sagen:
Wenn deren Berichte zutreffen, dann schlägt die Kommission vor, die Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von 10 MILIARDEN EURO durch eine #Pfizer gegenüber bestehende Zahlungsverpflichtung in Höhe von 10 MILIARDEN EURO zu ersetzen. Ein interessantes Hütchenspiel.
Zumindest interessant ist es in diesem Zusammenhang auch, dass die Öffentlichkeit von diesen Verträgen nicht etwa in der Tagesschau oder dem SPIEGEL, sondern von der britischen Financial Times und Reuters erfährt … und natürlich von ebenjenem Martin Sonneborn, der als EU-Abgeordneter der Partei bereits seit langem über seinen Twitter-Account mehr und kritischer über die Missstände in Brüssel berichtet als alle deutschen Medien zusammen.
Warum schweigen Tagesschau, SPIEGEL und Co.? Wir reden hier immerhin über einen politischen Skandal, der nicht nur von seinem Schaden für die Allgemeinheit so ziemlich alle Skandale in den Schatten stellt, über die die Medien in den letzten Jahren berichteten. Ich habe da einen Verdacht. Im Frühjahr 2021 war es ja nicht so, dass die Medien den – was damals bereits bekannt war – unter dubiosen Umständen zustande gekommenen Pfizer-Deal von der Leyens kritisiert hätten. Ganz im Gegenteil. Man hatte die Panik selbst geschürt und das einzige „Problem“ bei der Impfstoffbeschaffung darin gesehen, dass angeblich zu wenig Impfdosen bestellt wurden. Dementsprechend wurde von der Leyens Grenzüberschreitung bei den Verhandlungen auch nicht kritisiert, sondern als eine Art Befreiungsschlag gegen „zu zögerliche Nationalregierungen“ und „bürokratische Hemmnisse“ gesehen. Von der Leyen gab damals – unwidersprochen – in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zu Protokoll:
„Wie das Ergebnis heute aussehen würde, wenn jeder EU-Staat auf eigene Faust Impfstoff besorgt hätte, will ich mir lieber nicht ausmalen. Die ganze Welt war hinter den wenigen Produzenten her.“
Von der Leyen nahm die Sache also selbst in die Hand, um die EU in „Krisenzeiten“ als Alternative zu den Nationalstaaten zu positionieren. Das ging mächtig in die Hose. Doch nicht nur die EU und Ursula von der Leyen haben rückblickend beim Thema Impfstoffbeschaffung episch versagt, sondern auch die deutschen Medien. Für diese Versagen bezahlen wir nun den Preis. Dass von der Leyen damit „durchkommt“, ist wahrscheinlich. Freuen kann sich der US-Pharmamulti Pfizer. Der hat durch den Vertrag mit von der Leyen nicht nur sämtliche Mitbewerber verdrängt und nun ein Monopol für Coronaimpfstoffe auf dem europäischen Markt, sondern hat sich diesen kartellrechtlich hoch problematischen Vorgang auch noch sehr teuer bezahlen lassen – mit dem Geld der europäischen Steuerzahler. Wiedersehen werden wir von dem Geld übrigens nur sehr wenig. Pfizer nutzt schließlich sämtliche Steueroptimierungsmethoden, die eben jene EU dem Konzern dankenswerterweise einräumt.
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