Horst D. Deckert

Vorsicht, politische Schreikinder!

Früh übt sich der krakeelende Rechthaber (Symbolbild:Shutterstock)

Manchmal möchte man sich im „besten Deutschland aller Zeiten“ nur noch die Decke über den Kopf ziehen und überwintern, bis man wieder unbehelligt seinen Kopf aus der Haustür stecken oder auch nur den Fernseher einschalten oder die Nachrichten im Internet lesen kann. Es ist schon eine Zumutung, seine Einkäufe in einem Supermarkt erledigen zu müssen, in dem einen ein halbes Dutzend schlecht erzogene Kinder umschwärmen, die einem jeden Moment vor den Einkaufswagen springen könnten und zu schreien beginnen oder einem selbigen in die Krampfadern rammen.

Auch ohne Einkaufswagen wachsen manche Kolumnisten, Aktivisten und Berufsempörte scheinbar nie aus diesem Trotz- und Schreialter heraus, auch wenn sie ihre Methoden mit den Jahren verfeinert haben. Das trotzige Kind weiß, dass es nur einen schrillen, langgezogenen Schrei anstimmen muss, um alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als wäre das eine Art Kurzwahl zur umgehenden Verständigung des Jugendamts zu seiner Rettung. Instinktiv ahnen sie, wie barbarisch es Außenstehende empfinden würden, wenn nun elterliche Sanktionen einsetzten – nur derjenige, der gerade von ihnen malträtiert wurde, mag von der Illusion befreit sein, alle Kinder seien von Natur aus gutmütig und liebenswert.

Diesen Reflex nutzen auch erwachsene Menschen immer häufiger aus, um ihre Botschaften der Außenwelt aufzunötigen. In der wortreichen Erklärung, warum wieder einmal etwas rassistisch, klimafeindlich oder gemeinschaftsschädigend sein soll, ist auch ein „Ihr seid alle gemein und versteht mich nicht!“ verborgen. Bevor uns der Klimawandel dahinrafft – wodurch auch immer er verursacht werden mag – werden wir wahrscheinlich alle von einer Horde infantiler Aktivisten in den Wahnsinn getrieben worden sein. Denn noch eins haben sie mit kindlichen Quälgeistern gemein: Die Unfähigkeit, auf die Früchte ihrer Bemühungen auch nur so lange zu warten, bis es ihnen gelungen ist, eine Mehrheit von deren Sinn und Notwendigkeit glaubwürdig zu überzeugen.

Kindliche Quälgeister

Sogar der nicht sehr impulskontrollierte Ralf Stegner musste jüngst erkennen, wie rabiat selbst potentielle Verbündete angegangen werden, als junge Aktivisten von „Fridays for Future“ vor der SPD-Zentrale in Berlin protestierten. Noch nicht einmal den Grünen erging es besser, die „Zeugen Gretas“ standen bei ihnen ebenfalls vor der Tür, um über den Klimawandel zu reden. Oder besser: Die sofortige Umsetzung ihrer Ideen einzufordern. Es hätte nur noch die Drohung gefehlt, die Luft anzuhalten, bis das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland vom Netz geht. Man hätte sich gewünscht, irgendein Mensch mit Courage hätte das Fenster geöffnet und heruntergebrüllt, sie sollten endlich mal die Klappe halten. Aber eben das wird nicht passieren, weil genau so eine Aktion die nächste Empörungswelle auslöst, darauf können sich die umweltbewegten Schreihälse nur zu gut verlassen. Denn schließlich wollen sie ja nur Gutes.

In den letzten Tagen – vor allem nach der Diskussion um die Frankfurter Buchmesse – wurde mir wieder einmal bewusst, warum sich Linke und Grüne so vor der sogenannten „Hufeisentheorie“ fürchten müssen. Natürlich protestieren sie dagegen, mit Rechtsextremisten gleichgesetzt zu werden, denn die sind schließlich der Erzfeind. Und die kindliche Empörung über die Ungerechtigkeit der Welt zählt zu ihren raffiniertesten Marketingstrategien bei der Abwendung jedes methodischen Vergleichs. Vorgebliche Naivität, der Kampf für das Gute und das Appellieren an den Beschützerinstinkt der Gesellschaft lassen sich nun einmal besser vermarkten als ein illusionsfreier Blick auf die Schattenseiten der Welt. Auch Mausefallen bewirbt man nicht mit den Bildern zerquetschter Nager – ebenso wenig kann man jemanden einfach auffordern, seinen Job bei einem Autohersteller zu kündigen, man muss es ihm als Dienst an der Menschheit verkaufen.

Emotionale Erpressung wird zwar von den meisten Menschen instinktiv bemerkt – man möchte sich mit aller Kraft aus ihrer Umklammerung lösen, wird aber von seinem schlechten Gewissen, das sich wie eine Würgeschlange um die Beine legt daran gehindert – aber kaum jemand stellt sich ihr offen entgegen. Ob es der klammernde Partner ist, oder eine Schriftstellerin, die eine Bedrohungslage herbeifantasiert, man stellt sich immer die Frage, was wäre, wenn demjenigen tatsächlich etwas zustößt – trüge man die Schuld daran? Und damit haben sie uns im Griff. Nicht jeder, der auf rationaler Ebene die Notwendigkeit sieht, hier eine deutliche Grenze zu ziehen, hat auch die Kraft, das in aller Konsequenz durchzusetzen. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass Linke hauptsächlich die bürgerliche Rechte angehen – dort können sie auf Lücken im Panzer hoffen, an denen sie den Hebel ansetzen können – dem knallharten Neonazi dürften Zweifel an der Richtigkeit seines Tuns ebenso fremd sein wie seinem linken Kontrahenten.

Extremisten aller Couleur ähneln einander

Es ist das Hinwegtrampeln über die Interessen anderer, was Extremisten aller Couleur einander so ähnlich macht. Wenn man mich früher gefragt hätte, was einen „Nazi“ ausmacht, schließlich sind sie in aller Munde, hätte ich diese Eigenschaft allerdings erst nachrangig benannt. Viel eher wären mir Charaktereigenschaften wie Zynismus, Engstirnigkeit, Arroganz und das Fehlen jeder Empathie für die Position eines anderen in den Sinn gekommen. Dabei hatte ich das Bild eines bösartig lachenden Menschen im Kopf – das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Gerade diese Eigenschaften legen aber viele radikale Linke heute an den Tag, wenn sie ihre Lachsmileys unter ernstgemeinte Beiträge setzen und jeden Abweichler als geistig eingeschränkt diffamieren. Ihre nicht ganz so radikalen Brüder und Schwestern im Geiste geben gleichzeitig vor, ständig Opfer solcher Machenschaften zu sein und wenden sie im gleichen Atemzug an: „Ihr könnt euch nicht in mich hineinversetzen, weil ihr Privilegien habt!“ – „Ihr erkennt den Ernst der Lage nicht!“ – „Ihr schützt mich nicht!„.

Auch die „Spiegel„-Kolumnistin Margarete Stokowski blies nun anlässlich der Frankfurter Buchmesse wieder kräftig in dieses Horn; ihr einziges Ziel dabei: Die andere Seite zum Schweigen zu bringen, ihr das Recht zu nehmen, sich zu äußern. Es mag strafrechtlich und auch von der Auswirkung auf den einzelnen Menschen ein Unterschied sein, ob dies mit der Moralkeule oder einer geballten Faust geschieht, aber der Gedanke dahinter ist der gleiche: Wer reden darf, bestimme ich! Und wer dennoch den Mund aufmacht, wird unverzüglich abgestraft. Nur weil diese Haltung mit „edlen“ Motiven verbrämt wird, wird sie dadurch nicht demokratischer. Denn auch das haben diese Damen und Herren mit quengelnden Kindern gemein: Es fällt ihnen schwer zu teilen. Und wenn es nur eine Minute Redezeit ist – man sitzt darauf und will sie nicht hergeben.

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