
Im Weißen Haus und im Pentagon gibt es eine strategische Neuausrichtung. Der eigene “Hinterhof”, also Lateinamerika, gerät stärker in den sicherheitspolitischen Fokus. China oder Russland? Die sind offensichtlich nicht mehr so interessant. Das hat mehrere Gründe.
Die Vereinigten Staaten stehen vor einer medial kaum thematisierten Verschiebung ihrer militärischen Prioritäten. Anstatt wie bisher die Rivalität mit China als zentrale Bedrohung zu inszenieren, rückt nun Lateinamerika in den Fokus.
Politico berichtete jüngst von einem Entwurf der neuen Nationalen Verteidigungsstrategie, in dem regionale Missionen über die bisherige Ausrichtung auf Peking und Moskau gestellt werden sollen. Eine solche Neugewichtung würde tiefgreifende Folgen für Europa, die NATO und die gesamte globale Ordnung nach sich ziehen.
Ausgerechnet Elbridge Colby, ein langjähriger Vordenker in Fragen der US-Sicherheitsstrategie, zeichnet für dieses Papier verantwortlich. Unter seiner Federführung scheint das War Department (Kriegsministerium) – wie es nach Trumps jüngster Umbenennung nun wieder heißt – eine Rückbesinnung auf die westliche Hemisphäre zu vollziehen.
Offiziell geht es um “neue Bedrohungen” im unmittelbaren Umfeld der Vereinigten Staaten. Faktisch bedeutet es eine verstärkte Militarisierung nach innen und außen: Nationalgardisten in amerikanischen Großstädten, schwer bewaffnete Truppen an der Grenze zu Mexiko und die Drohung, in Venezuela notfalls militärisch zuzuschlagen.
Die lateinamerikanische Karte zieht Washington nicht zufällig. In Caracas regiert mit dem Kommunisten Nicolás Maduro ein Gegner, der sich (trotz eines Kopfgeldes, was sich bislang kein anderer Staatschef “verdient” hat) hartnäckig gegen den US-Einfluss im Land behauptet. Mehrere gescheiterte Umsturzversuche, drastische Sanktionen und eine fortgesetzte ökonomische Isolation haben (wie üblich) bislang nicht den gewünschten Erfolg gebracht.
Nun wird die militärische Eskalation ins Spiel gebracht. Trump selbst sprach offen davon, venezolanische Kampfjets abschießen zu lassen, sollte sich das US-Militär bedroht fühlen. Dass gleichzeitig Kriegsschiffe, ein Atom-U-Boot und modernste Kampfjets in die Karibik verlegt wurden, verdeutlicht die Ernsthaftigkeit dieser Drohkulisse.
Die offizielle Begründung für diese Truppenbewegungen: Drogenbekämpfung. Milliardenwerte an Rauschgift sollen demnach über Venezuela in die USA gelangen. Diese Argumentation erinnert an die Narrative, mit denen schon in den 1980er Jahren Interventionen in Mittelamerika legitimiert wurden.
Die geopolitische Realität ist eine andere: Venezuela sitzt auf den größten Ölreserven der Welt und ist strategisch von erheblicher Bedeutung für die Energieversorgung. Wer dort Einfluss gewinnt, sichert sich auch längerfristig eine entscheidende Position im globalen Kampf um Rohstoffe.
Monroe-Doktrin 2.0 – oder doch ein Ablenkungsmanöver?
Auch für Europa hat diese strategische Neuordnung Konsequenzen. Politico verweist darauf, dass ein Abzug von Teilen der rund 80.000 US-Soldaten in Europa zu erwarten sei. Für die NATO-Verbündeten bedeutet dies nicht nur weniger militärische Rückendeckung, sondern auch die Notwendigkeit, ihre militärischen Apparate deutlich auszubauen. Man könnte auch sagen, Washington erweckt unter Trump nun die Monroe-Doktrin wieder zum Leben.
Die Frage, die bleibt, ist eine grundsätzliche: Warum richtet sich eine Weltmacht, die Jahrzehnte lang den “pazifischen Jahrhundertkonflikt” mit China beschwor, plötzlich auf ihre eigene Hemisphäre aus? Die Antwort liegt möglicherweise weniger in realen Bedrohungen als in innenpolitischen Notwendigkeiten.
Ein Land, dessen Infrastruktur verfällt, dessen Verschuldung ins Unermessliche wächst und dessen gesellschaftliche Spannungen zunehmen, braucht nach altbekannter Logik einen äußeren Feind, um Geschlossenheit zu simulieren. Lateinamerika eignet sich dafür bestens: nah, medienwirksam, reich an Ressourcen und seit jeher Ziel amerikanischer Interventionen.
Die Verschiebung des Fokus von China nach Venezuela ist daher nicht nur eine strategische Entscheidung, sondern auch ein Symptom für den Zustand der Vereinigten Staaten selbst. Ein Imperium, das seinen globalen Anspruch aufrechterhalten will, sucht neue Fronten, um die eigene innere Krise zu überdecken.
Andererseits sind Einsätze im eigenen Hinterhof nicht so ressourcenintensiv wie ein potenzieller Krieg gegen China, welcher ohnehin die ganze Welt in den Abgrund stürzen könnte. Trump, der keinen Weltkrieg vom Zaun brechen möchte, muss dennoch außenpolitisch Stärke zeigen und auch dem militärisch-industriellen Komplex ein paar Brocken hinwerfen. Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nah liegt?