Stefan Kämpfe
Die erste Dezemberhälfte 2022 verlief überwiegend winterlich und legte mit einer gut dreiwöchigen Flaute bei wenig Sonne und teils frostigen Temperaturen die Schwächen der Deutschen Energiewende schonungslos offen. Es war nur ein Warnschuss – doch werden daraus auch die richtigen Lehren gezogen? Im letzten Monatsdrittel herrschte dann sehr mildes, teils auch windiges Westwetter – das erwartete, typische Weihnachtstauwetter. Für den bevorstehenden Hochwinter 2023 kann vermutlich Entwarnung gegeben werden. Einzelne Kältewellen sind zwar nicht ausgeschlossen, doch deutet sich ein insgesamt sehr milder Hochwinter an.
Die langfristige Entwicklung der Dezembertemperaturen in Deutschland
Wegen einer starken Häufung westlicher und südwestlicher Großwetterlagen gehört der Christmonat zu den erwärmungsstärksten Monaten des Jahres; allerdings scheint diese Erwärmung nun weitgehend ausgereizt zu sein. Solch ein Ausnahmedezember wie 2015, als im DWD-Flächenmittel 6,5°C erreicht wurden und zu Weihnachten schon Haselsträucher, Schneeglöckchen und Winterlinge blühten, ist nur bei totaler, kräftiger Warmluftzufuhr aus SW an praktisch allen Tagen, verbunden mit sehr viel Sonnenschein, möglich. In diesem Jahr zeigte sich nun, was unsere Dezembertemperaturen wirklich beeinflusst – nicht CO₂, sondern die Großwetterlagen und die damit verbundenen Luftmassen. Kommen diese aus Ost bis Nord, so wie in der ersten Dezemberhälfte 2022, ist es bitterkalt; während an Weihnachten bei West- bis Südwestwinden schon Frühlingsgefühle aufkamen. Folglich traf der Dezember 2022 mit etwa 1,5 bis 2,0°C im DWD-Flächenmittel in etwa das Langjährige DWD-Mittel von 1991 bis 2020 (1,8°C).
Abbildung 1: Der Dezember zeigt zwar ein etwas undeutlicheres Temperaturverhalten, als die meisten Monate, bei denen ab etwa 1988 eine sprunghafte Erwärmung einsetzte. Das grobe Muster „Zuerst bis fast zur Mitte des 20. Jahrhunderts merkliche Erwärmung, dann eine längere Stagnationsphase oder gar leichte Abkühlung, am Ende starke Erwärmung“, zeigt er aber dennoch. Diese letzte Erwärmung begann schon mit dem extrem milden Dezember 1974 und scheint sich nun dem Ende zu nähern. Diese Grafik zeigt keine Klimasensitivität des CO₂, sie verdeutlicht lediglich, dass die Temperaturentwicklung einiger Zeitabschnitte, besonders der Stagnationsphase zur Mitte des 20. Jahrhunderts, nicht zur zunehmenden CO₂-Konzentration passte.
Die meteorologischen Hintergründe der Frühwinterkälte 2022 – zeitweise Blockierung der Westdrift
Dem letzten kalten Dezember (2010) gingen ein nur kurzzeitig heißer, schon Ende Juli beendeter Sommer sowie ein insgesamt etwas zu kühler Herbst voraus. Diesmal folgte einem langen, heißen Sommer ein merklich zu warmer Herbst mit enorm vielen Süd- und Südwestlagen im Oktober/November, was in ähnlicher Form letztmalig vor dem rekordmilden Winter 2006/07 zu beobachten war und auch in früheren Vergleichsfällen oft auf einen milden Folgewinter hindeutete. Aber zwei markante Kältewellen, eine längere ab Mitte September und eine kürzere, schon winterliche um den 20. November, deuteten schon die latente Bereitschaft der Atmosphäre zu weiteren, zumindest gelegentlichen Kälteeinbrüchen an. Nach dem 21. November kehrte die milde Südluft nochmals zurück, bevor zum Monatswechsel ein Hoch über Fennoskandien die Regie übernahm. Dabei zog ein kleines Höhentief vom 1. bis zum 3. Dezember westwärts über Mitteleuropa hinweg und löste gebietsweise bei leichtem Dauerfrost intensive Schneefälle aus; 10 bis 15 cm Schneehöhe sind für das niederschlagsarme Thüringer Becken schon sehr bemerkenswert.
Abbildung 2: Reichlich Schnee im sonst so dürren Weimar am 2. Dezember 2022. Ein Höhentief und Nordoststau sorgten für diese weiße Advents-Überraschung.
Abbildung 3: Wetterlage am 2. Dezember 2022. Man erkennt ein sehr kräftiges Russland-Hoch, dessen Keil über Skandinavien bis zu den Britischen Inseln reicht. Am Boden deuten nur kleinere Ausbuchtungen der Isobaren auf den zyklonalen Einfluss hin; in der Höhe ist er deutlich sichtbar (Großwetterlage XXZZT, nach HESS/BREZOWSKY HFZ, Luftmasse xP). Bildquelle: wetterzentrale.de
Nachfolgend sickerte von Südosten mildere Luft ein und ließ den Schnee im Flachland tauen; doch ab dem Nikolaustag begann zwischen einem mit weit über 1060 hPa enorm kräftigen Grönland-Hoch und einem Skandinavien-Tief ein gewaltiger, mehrtägiger Kaltluftausbruch aus der Arktis nach West- und Mitteleuropa, welcher sich aber wegen des wärmenden Einflusses von Nordmeer, Nord- und Ostsee zunächst vor allem in höheren Luftschichten bemerkbar machte.
Abbildung 4: Am 8. Dezember strömte zwischen einem extrem kräftigen Grönland-Hoch und einem Tief über Skandinavien in der Höhe sehr kalte Luft nach West- und Mitteleuropa; wegen des wärmenden Einflusses der Meere blieb es in den unteren Luftschichten aber noch mild. Bildquelle: wetterzentrale.de
Die schnellere Auswirkung des Kaltlufteinbruches in der Höhe, die anschließende Bildung einer bodennahen Inversion und der die Kältewelle beendende Warmluftvorstoß nach Mitte Dezember zeigten sich beispielsweise sehr formschön am Verhalten der Stundenwerte der Lufttemperaturen zu einem bestimmten, immer gleichen Zeitpunkt an einer Flachland- und einer nicht weit entfernten Bergstation:
Abbildung 5: Frühere und stärkere Temperaturabnahme an der Bergstation Brocken wegen eines markanten Einbruches höhenkalter Luft nach dem 7. Dezember 2022. Während es auf dem Brocken nach dem 7. Dezember kontinuierlich abkühlte, blieb es in Magdeburg bis zum 8. Dezember noch mild und der nachfolgende Temperaturrückgang verlief langsamer, weil die Luftmasse in den untersten Luftschichten durch den Meereseinfluss erwärmt wurde. Danach bildete sich durch bodennahe Auskühlung die typische, winterliche Inversion; in Magdeburg war es zeitweise kälter. Auch der zuerst in der Höhe beginnende Warmluftvorstoß ist gut zu erkennen; erst in der erwärmten Meeresluft ganz am Ende stellte sich wieder die normale Luftschichtung ein.
Zunächst blieb die Westdrift weiterhin blockiert, und die höhenkalte Luftmasse konnte sich auch in den unteren Luftschichten merklich abkühlen; teils wandelte sie sich in eine sehr kalte Kontinentale Subpolarluft (cP) um. Mäßige bis strenge Nachtfröste waren die Folge, und trotz des Tiefdruckeinflusses war Deutschland besonders in seinen zentralen Landesteilen vom dynamischen Wettergeschehen (Wind, stärkere Niederschläge) vorübergehend weitgehend abgeschnitten – die folgende Abbildung zeigt, warum:
Abbildung 6: Zwischen einem mit höhenkalter Luft gefüllten Tief über dem Baltikum und einem auf sehr südlicher Bahn aufziehenden Atlantik-Tief lag Deutschland am 12. Dezember 2022 im Bereich geringer Luftdruckgegensätze, der Wind flaute ab (keine Isobaren über Deutschland), und die hier lagernden Luftmassen (mA, xA und cP) kühlten in der gebietsweise klaren Nacht auf den 13. Dezember bodennah stark aus. Der Jet-Stream verlief weit südlich durch das Mittelmeer-Gebiet und konnte so der Witterung in Deutschland keine Dynamik verleihen – ruhiges, kaltes Winterwetter stellte sich ein. Bildquelle: wetterzentrale.de
Aber nach dem 17. Dezember kündigte sich das so häufige Weihnachtstauwetter an. Die Blockierung der Westdrift endete, und mit gefrierendem Regen vollzog sich am 19. Dezember der Wetterwechsel vom kalten Frühwinter zum sehr milden Südwestwetter.
Gut drei Wochen Flaute und Kälte – schlecht für die Deutsche Energiewende
Weil Deutschland aus grün-ideologischen Gründen seine sicheren, zuverlässigen, umweltfreundlichen Kernkraftwerke abschaltet und den Kohleausstieg forcierte, während gleichzeitig der bisherige Hauptlieferant für Erdgas, Russland, weitgehend ersatzlos ausfiel, kam es zu einer für die Nachkriegszeit beispiellosen Energiekrise, einhergehend mit einer Hyperinflation. Millionen Deutsche sitzen nun im Dunkeln und Kalten, weil sie die exorbitant gestiegenen Strom- und Heizkosten nicht mehr bezahlen können, und viele Unternehmen stehen vor dem wirtschaftlichen Aus. Die Frühwinter-Kälte kam da zur absoluten Unzeit, weil jedes Grad weniger Außentemperatur den Heizenergiebedarf um etwa 6% steigen lässt. Zwar versichern Bundesnetzagentur und Bundesregierung, die Stromversorgung sei gesichert und die Erdgasspeicher gefüllt – aber zu welchem Preis und wie lange? Als Ausweg bietet sich, zumindest für die Stromerzeugung, der von der Ampel-Koalition beschlossene forcierte Ausbau der Erneuerbaren Energien, besonders von Wind- und Solarenergie, an – doch der erweist sich als enorm problematisch. Massiv steigende Lohn- und Rohstoffkosten, Fachkräfte- und Rohstoffmangel, der enorme Platzbedarf der Wind- und Solaranlagen, ökologische Probleme sowie Proteste gegen den notwendigen, viel zu langsamen Leitungsausbau und nicht zuletzt die fehlenden, in absehbarer Zeit nicht in technisch-ökonomischer Reichweite befindlichen Energiespeicher, verhindern einen raschen Zubau. Doch könnten auch meteorologisch-klimatische Gegebenheiten die Energiewende scheitern lassen? Auf den ersten Blick erzeugen die „Erneuerbaren“ doch schon heute an stürmischen Winter- und besonders an sonnig-windigen Frühlings- und Sommertagen so viel Strom, dass oftmals Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen – die überschüssige Energie kann nicht gespeichert werden. Doch leider häuft sich in letzter Zeit auch das Gegenteil – ganzjährig mehr windschwache Wetterlagen; in Kombination mit herbstlich- winterlicher Bewölkung sind das die so genannten „Dunkelflauten“. Bei solchen Dunkelflauten würde selbst eine Verzehnfachung der heute schon üppigen Wind- und Solaranlagenzahl nicht genügend Elektroenergie liefern! Das jüngste Ereignis begann schon in der letzten Novemberwoche und dauerte bis zum 18. Dezember.
Abbildungen 7a und 7b: Kaum Wind- und Solarenergie über mehr als drei Wochen: Hier ist oben (7a) der komplette November und unten (7b) der Zeitraum vom 1. bis zum 23. Dezember 2022 dargestellt; die eigentliche Kalamität begann schon am 28. November und dauerte bis zum 18. Dezember, aber auch davor und danach waren die „Erneuerbaren“ nicht sehr produktiv. Nur Anfang November und ab dem 19. Dezember wehte mehr Wind – aber auch da reichte er nicht immer aus. Und die Solarenergie erbrachte fast Nichts. Selbst eine Verzehnfachung der Wind- und Solaranlagen hätte zeitweise nicht genügend Strom geliefert. Man achte auf den hohen Anteil des verstromten, teuren Erdgases; aber auch die importierte Steinkohle verteuerte sich erheblich – für die Strompreise in Deutschland lässt das nichts Gutes erahnen. Ohne ausreichende Energiespeicher bleiben die fossilen Energieträger jedoch unverzichtbar; die oft gepriesene Wasserstofftechnologie ist hinsichtlich ihres Wirkungsgrades ineffizient, kurzfristig nicht in großem Umfang realisierbar und viel zu teuer! Alle „Erneuerbaren“ leisteten trotz ihres weit fortgeschrittenen Ausbaugrades zeitweise nur 15 bis 40% der Gesamtstromerzeugung, also mussten 60 bis 85% konventionell erzeugt werden! Man beachte, dass der Primärenergiebedarf in Deutschland viel höher als die hier dargestellte Stromerzeugung ist – legt man diesen Primärenergieverbrauch zugrunde, decken die „Erneuerbaren“ Energien trotz ihres enormen Ausbaugrades nur knappe 16% im witterungsmäßig viel günstigeren Jahresmittel ab (Stand: 2021). Bildquellen: energy-charts.info, ergänzt.
Zunehmend geraten auch Wind- und Solarenergie in den Verdacht, unser Klima massiv zu beeinflussen; Näheres unter anderem hier und hier. Wichtige, ernste Hinweise für die Begrenztheit und die schon jetzige Übernutzung der Ressource Wind sind die Häufigkeitszunahme der windschwachen, Unbestimmten XX-Wetterlagen sowie die tendenzielle Abnahme der Windstärke in Norddeutschland:
Abbildungen 8a und 8b: Oben (8a) die merkliche Häufigkeitszunahme der Unbestimmten Wetterlagen ohne Anströmrichtung (XX-Lagen) im Jahresmittel; Werte für 2022 bis zum 25. Dezember vorliegend; mit 81 Tagen gab es auch 2022 überdurchschnittlich viele XX-Lagen. Näheres zur erst seit Juli 1979 vorliegenden Objektiven Wetterlagen-Klassifizierung hier. Unten die Entwicklung der Windgeschwindigkeit in Norddeutschland seit 1992 (Mittel aus 25 DWD-Stationen, leider nur in Beaufort vorliegend). Werte für 2022 optimistisch geschätzt.
Ausführlicher werden die meteorologischen Hintergründe der Energiewende hier behandelt. Eine gute Seite hatte das Winterwetter aber doch: In Deutschland, dem Land des Missmanagements, der Fehlplanungen, der Gender-Toiletten, der überbordenden Bürokratie, des Bildungsnotstandes, der verlotternden Infrastruktur und der überteuerten Mieten und Preise, ging wenigstens für ein paar Tage mal alles glatt!
Weitere Aussichten: Milder Hochwinter 2023 ist wahrscheinlich
Der Autor dieses Beitrages hatte in seiner Wintervorschau hier schon auf recht eindeutige Indizien für einen insgesamt relativ milden Winter 2022/23 hingewiesen. Für den weiteren Verlauf der Hochwinterwitterung im Januar/Februar 2023 liefert aber erst der Witterungstrend zwischen dem 25. Dezember und dem 10. Januar oft wichtige Hinweise: Wird oder bleibt es in diesem Zeitraum mild, so setzt sich das oft tendenziell im Hochwinter, zumindest im Januar, fort; für Kälte gilt Ähnliches („Siebenschläfer-Regel“ des Winters). Allerdings erhöhen die Kälteeinbrüche zwischen September und Dezember 2022 die Wahrscheinlichkeit weiterer, zumindest gelegentlicher winterlicher Kälteeinbrüche; die keinesfalls zuverlässigen Langfrist-Modelle gehen momentan aber von einem milden bis sehr milden Januar und Februar aus.
Abbildungen 9a und 9b: Das CFSv2-Modell kündigt einen sehr milden Januar (oben) und Februar 2023 an – Irrtümer sind aber nicht ausgeschlossen und zumindest einzelne Kältewellen noch möglich. Bildquellen: NOAA
Anfangs konnte sich die Kälte noch von Skandinavien bis Westrussland halten. Doch weil sich zunehmend ein Höhenkeil über Südeuropa aufwölbt, verlagern die Tiefs ihre Zugbahn nordwärts und dringen auch weiter nach Osten vor. Weitere Indizien sind die Verlagerung des troposphärischen Kältepols nach Grönland und Nordostkanada, der erwartete hohe Luftdruck über Südosteuropa und ein kalter Polarwirbel. Damit dürfte sich der Winter vorerst anderswo austoben – in Ost- oder Südasien und in Nordamerika. Aber seine Rückkehr ist noch nicht gänzlich ausgeschlossen, und vielleicht kann die Luft unter Hochdruckeinfluss zumindest zeitweise etwas stärker auskühlen. Diesmal scheint also der Winter weitgehend nochmals Milde walten zu lassen – das deutsche Energie-Harakiri bleibt vorerst ungestraft. Aber die lang anhaltend Dunkelflaute im Spätherbst/Frühwinter 2022 sowie die auch insgesamt enttäuschenden Erträge der Erneuerbaren Energien in den sehr windschwachen Jahren 2021 und 2022 sollten allen Verantwortlichen zum Umdenken bewegen – der momentane Kurs des Ausstiegs aus der Kohle- und Kernenergie kann ohne wirklich praktikable, bezahlbare, zuverlässige Alternativen nicht weiter fortgesetzt werden.
Abbildung 10: Für den 10. Januar 2023 sehen die Ensemble-Prognosen hohen Luftdruck über Südosteuropa und tiefen bei Island vor – denkbar ungünstige Voraussetzungen für Winterwetter in Deutschland. Bildquelle: NOAA
Abbildung 11: Für den Dreikönigstag 2023 (6. Januar) wird ein kräftiger, kalter, nur leicht gestörter Polarwirbel erwartet – auch das spricht gegen anhaltendes Winterwetter in Mitteleuropa. Bildquelle: meteociel.fr
Stefan Kämpfe, Diplom-Agraringenieur, unabhängiger Natur- und Klimaforscher