Horst D. Deckert

Weil Rouven nicht mehr da ist

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Weil Rouven nicht mehr da ist

Am 31. Mai jährt sich das Attentat von Mannheim, bei dem der Polizist Rouven Laur ermordet und fünf weitere Menschen verletzt wurden. Sein Mörder träumt vor Gericht von einer Kamelzucht in Afghanistan.

von Elisa David

In einem Garten irgendwo in Neckarbischofsheim steht seit 30 Jahren ein Esskastanienbaum. Er dürfte jetzt langsam anfangen zu blühen, das tut er zum Juni immer. Vor dreißig Jahren haben zwei stolze Eltern ihn in diesem Garten zur Geburt ihres einzigen Sohnes gepflanzt. Seitdem sind die beiden miteinander aufgewachsen. 

Während der kleine Baum von einem dünnen Stämmchen zu einer stolzen Kastanie mit Blüten und Früchten heranwuchs, lernte der kleine Junge laufen, kam zur Schule, spielte Fußball, lernte seine besten Freunde kennen. „Die Gefährten“ nannten sie sich, in Anlehnung an Herr der Ringe. Sie reisten, gingen auf Konzerte, machten, was halbstarke Jungs eben so machen. 

Doch als sie erwachsen wurden, trennten sich ihre Wege. Ein paar zogen weg, andere blieben in der Region. Einer von ihnen ging zur Polizei. Sie haben sich nie ganz entfremdet. Manchmal trafen sie sich noch auf ein Bier. Dann erzählte Rouven Laur von seinen Ambitionen. Er wollte sich innerhalb der Polizei nach oben arbeiten, etwas bewirken. 

Mit 29 Jahren war er bereits Polizeihauptkommissar. Er wollte weiter in den höheren Dienst aufsteigen. Doch am 31. Mai 2024 um 11:34 Uhr rammte Sulaiman Ataee ihm von hinten ein Messer in den Hals – so tief, dass es bis ins Gehirn stach. So tief, dass Rouven starb. 

Er hatte keine Chance. Er stand wieder auf, wankte, bis seine Kollegen ihn auf den gepflasterten Boden legten. Er war gar nicht mehr bei sich. Im Krankenhaus wurde er notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt. Doch am 2. Juni 2024 erlag er seinen Verletzungen. 

Er starb in Ausübung seines Dienstes, um eine islamkritische Bürgerbewegung vor einem fanatischen Islamisten zu schützen. Heute, am 31. Mai jährt sich das Attentat, bei dem Rouven Laur vor unser aller Augen ermordet wurde. Dieses Jahr blüht der Kastanienbaum in Neckarbischofsheim zum ersten Mal ganz allein. 

Der Mannheim-Prozess

Weit weg von den Erinnerungen an den kleinen frechen Jungen oder den tapferen, ambitionierten jungen Mann, der Rouven einmal war, von dem blühenden Garten vor seinem Elternhaus und dem Fußballplatz, auf dem er immer gespielt hat, in Saal 1 im Prozessgebäude Stammheim vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart geht es nicht um die 29 Jahre des viel zu kurzen Lebens von Rouven Laur, die ihn auf diesen Mannheimer Marktplatz geführt haben. Es geht um die 25 Sekunden, die es beendet haben und in denen fünf weitere Menschen verletzt wurden. 

Oder wie es die Bundesanwaltschaft nennt: Mord und fünffacher versuchter Mord in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung. Wegen der besonderen Bedeutung und des staatsgefährdenden Charakters der Tat läuft der Prozess als Staatsschutzverfahren. Oder wie es das Gericht nennt: 5 St 2 BJs 231/24. Es sind bis Herbst insgesamt 53 Verhandlungstage angesetzt worden. Der nächste wird am 3. Juni sein, einen Tag nach Rouvens erstem Todestag. 

Über ein halbes Jahr Prozess erscheint viel, dafür, dass die gesamte Tat auf Video aufgenommen wurde, in dem man den Täter – der noch am Tatort festgenommen wurde – eindeutig erkennen kann. Doch es geht nicht nur um seine Schuld, sondern auch um die Frage, ob Sulaiman Ataee Nähe zum IS hatte und wie er sich radikalisiert hat. 

Aktuell sitzt Sulaiman Ataee isoliert in einer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart Stammheim, einem Hochsicherheitsgefängnis. Die JVA Stammheim ist vor allem durch die RAF bekannt geworden, in der Nacht zum 18. Oktober 1977 begingen die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe hier einst Selbstmord in ihren Zellen – die Todesnacht von Stammheim. 

Direkt nebenan steht das Hochsicherheitsgerichtsgebäude des Oberlandesgerichts Stuttgart. Es wurde 2019 als „modernstes Gericht Deutschlands“ in Betrieb genommen, 26 Millionen hatte der Bau gekostet. Durch die Nähe zum Gefängnis sollen riskante Gefangenentransporte vermieden werden. Hier findet der Prozess statt. 

Die Gerichtssäle muten eher wie Hallen an. Sie sind kühl ausgeleuchtet. Der Angeklagte sitzt hier hinter meterhohem Sicherheitsglas, die Kommunikation mit dem Verteidiger läuft über Funkanlagen. Die Zuschauerplätze sind vom Gerichtssaal ebenfalls durch Glasscheiben getrennt. Für Dolmetscher gibt es eigene Kabinen. Riesige Bildschirme sind im Saal angebracht, fünf Meter breit. Wenn die Zeugen aussagen, werden sie darauf projiziert – wie auch die Beweismittel. Auch das Video des Attentats. Die Tat wurde Bild für Bild besprochen.

Der erste Prozesstag: Weil Rouven nicht mehr da ist

Am Donnerstag, dem 13. Februar 2025 beginnt der erste Prozesstag. Die Medien verlieren sich förmlich in den szenischen Beschreibungen des Angeklagten. Die FAZ beschreibt ihn als „schmächtig“ wirkend, ohne den Bart könne er als Jugendlicher durchgehen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dagegen, er habe sich seit der Tat nicht verändert. In dem Video hatte er ganz und gar nicht schmächtig ausgesehen. Und auch nicht jugendlich. Eigentlich war es kaum zu glauben, dass er erst 25 Jahre alt gewesen sein soll. 

Wer von beiden nun Recht hat, kann man schwer beurteilen, denn Sulaiman Ataee hält sich auf den Fotos einen roten Hefter vor das Gesicht. Als ob nicht jeder in Deutschland gesehen hätte, wie er mit seinem Messer immer und immer wieder auf jeden einstach, der sich ihm in den Weg stellte. Insgesamt 15 Mal in unter einer halben Minute. 

Die Verteidiger des Angeklagten, Axel Küster und Mehmet Okur, bitten darum, den Angeklagten nicht vorzuverurteilen. Und natürlich gilt bis zum Urteil die Unschuldsvermutung. Doch sie fühlt sich unnatürlich an, wenn man die Tat selbst gesehen hat. Wieder und wieder und wieder, in Zeitlupe, als Screenshot, mit und ohne Ton.

In dem Gerichtssaal haben drei Frauen Platz genommen, alle blond und in schwarz gekleidet. Es sind die Mutter von Rouven und seine zwei Schwestern. Sie klagen als Nebenkläger. Die Mutter erklärt: „Wir sind da, weil Rouven nicht da ist.“ 

Nicht da. Wie soll man auch den Tod seines eigenen Kindes beschreiben? Eines Tages ist er aus seinem Kinderzimmer ausgezogen. Eines Tages ist er groß geworden und hat begonnen, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Eines Tages ist er morgens zur Arbeit gegangen und dann einfach nicht mehr wiedergekommen. Er ruft nicht mehr an. Er kommt nicht mehr mit seiner Freundin zum Essen. Er ist einfach nicht mehr da.

Der zweite Prozesstag: Selbstmitleid und Willkommenskultur 

Der zweite Prozesstag findet wieder an einem Donnerstag statt, dem 20. Februar. Am ersten Prozesstag hatten die Verteidiger angekündigt, sie würden im Prozess den Menschen hinter dem Täter zeigen. Schon am zweiten Prozesstag ist es dafür soweit: Suleiman Ataee selbst sagt erstmals aus – nicht zur Tat, sondern zu sich selbst. 

Er darf dafür hinter der Panzerglasscheibe hervorkommen und an einem Tisch direkt vor dem Richtern Platz nehmen. Dort schildert er seine Flucht aus Afghanistan mit seinem großen Bruder, 20.000 Euro hat sein Vater dafür investiert. Über zwei Jahre reiste er über Griechenland, Italien, Frankreich, bis er schließlich als 14-Jähriger im Jahr 2013 nach Deutschland kam. 

Suleiman spricht über seine Kindheit in Afghanistan. Als Kind hatte er dort große Angst gehabt, wie er erzählt – vor Bombenanschlägen und Messerangriffen. Der Mensch hinter dem Täter verlangt Mitleid für etwas, das ihm hätte passieren können, während er genau das anderen tatsächlich angetan hat. 

Er erzählt von seiner Zeit in Deutschland. Vieles war bereits vorher bekannt. Nach seiner Ankunft in Deutschland wird er in einem Kinderheim untergebracht. Er trainiert Taekwondo, gewinnt schon wenige Monate später seine ersten Pokale. Er bekommt eine Bildung geboten, wird Klassensprecher. Er macht den Realschulabschluss mit einer glatten Zwei, heiratet schon mit 18 Jahren, probiert sich in verschiedenen Jobs und besucht das Abendgymnasium. Er wird Familienvater von zwei kleinen Kindern.

Der deutsche Staat hat sich immer gut um ihn gekümmert. Afghanistan ist ein gefährliches Land und er musste nicht dorthin zurück. Stattdessen durfte er sich in Deutschland ein Leben aufbauen. Er profitiert sehr von dem System, das er auslöschen will – im Kampf für ein System, das es nicht so gut mit ihm meinen würde. In islamischen Ländern wie Afghanistan gibt es die Todesstrafe. Manchmal werden die von den Angehörigen der Opfer selbst durchgeführt. Häftlinge können ausgepeitscht, Geständnisse durch Folter erzwungen werden. 

Wäre Ataee in Afghanistan für einen Polizistenmord angeklagt – er hätte den Prozess wohl nicht erlebt. In Deutschland ist er den ganzen Tag umgeben von Polizisten und Justizvollzugsbeamten, doch sie tun ihm nichts. Obwohl er einen von ihnen ermordet hat. Die Familie seines Opfers und die weiteren Verletzten treten zivilisiert als Nebenkläger auf. Suleiman wird angehört, darf sich Anwälte nehmen. 

Es mag bei so grausamen, sinnlosen Taten wie diesen schwer einzusehen oder zu begreifen sein. Doch dieser deutsche Rechtsstaat ist genau das, wofür es sich gegen Menschen wie Suleiman zu kämpfen lohnt. Auch wenn er Menschen wie ihm zugutekommt.

Ein Geständnis und der Traum von Kamelen

Inzwischen hat Suleiman die Tat gestanden. Dass er gezielt den Islamkritiker Michael Stürzenberger angegriffen hat, dass er auch die anderen Mitglieder der Gruppierung verletzte und den Polizisten Rouven Laur. „Heute muss jemand sterben“, hatte er nach eigener Aussage während der Tat gedacht. Warum musste jemand sterben? Weil Suleiman durch den Krieg in Gaza schockiert war. Er hat die Videos der leidenden muslimischen Frauen und Kinder gesehen und „jeden Tag mit geweint“. 

Er empfand es als seine religiöse Pflicht, Ungläubige zu töten. Also zog er mit dem Messer los. Ein Vergeltungsakt gegen Unschuldige, wie rühmlich. Seine Anwälte beschreiben Suleiman als „netten, jungen Mann“. Der Verteidiger Mehmet Okur erklärt vor der Presse: „Der Mandant setzt sich jeden Tag in seiner Zelle mit der Tat auseinander. Er hat die Tat als Tragödie bezeichnet.“

Das soll wohl von Reue zeugen. Doch ist es das wirklich? Überdenkt Suleiman seine Tat, weil er sie bereut? Sieht er es als Tragödie an, dass ein Mensch gestorben ist? Oder bereut er nur, dass sein eigentliches Ziel tragischerweise überlebt hat? 

Von dem Hochsicherheitsgefängnis, dem großen kalten Gerichtssaal mit seinen Panzerglasscheiben und der lebenslangen Haft mit Sicherheitsverwahrung, die ihm bei besonderer Schwere der Schuld droht, scheint Suleiman sich jedenfalls nicht beeindrucken zu lassen. Suleiman sieht Deutschland nicht als seine Zukunft. Vor Gericht erklärt er, dass er damit rechnet, abgeschoben zu werden. In Afghanistan will er sich dann Kamele oder Schafe kaufen. Davon meint er, kann man dort ganz gut leben. 

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